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GEWALT/284: Kinderschutz - Gefährdung muss immer erkannt werden (SHÄB)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 6, Juni 2022

Gefährdung muss immer erkannt werden

von Dirk Schnack


KINDERSCHUTZ. Kinder und Jugendliche müssen besser geschützt werden: Diese Forderung erneuerte die Deutsche Gesellschaft für Kinderschutz in der Medizin (DGKiM) auf ihrer 13. Jahrestagung, die am 20. und 21. Mai online von den Heider Westküstenkliniken organisiert wurde.


Jedes von einer Kindeswohlgefährdung betroffene Kind, das an irgendeiner Stelle im Gesundheitssystem vorstellig wird, soll als Kinderschutzfall erkannt werden und die jeweils notwendige medizinische Expertise und Hilfe erhalten": Dieses Ziel unterstrich der DGKiM-Vorsitzende Dr. Bernd Herrmann aus dem Klinikum Kassel bei der Tagung in Heide. Die Gesellschaft forderte die Bundesregierung auf, eine flächendeckende, fachlich standardisierte und nachhaltige Versorgungsleistung für den Kinderschutz im Gesundheitssystem zu schaffen.

Das Gesundheitssystem müsse seinen Beitrag dazu leisten können, Kinder und Jugendliche zu schützen. Möglich sei dies nur mit flächendeckend vorgehaltenen und etablierten Strukturen. Deutlich wurde in Heide, dass dies längst nicht in ganz Deutschland der Fall ist. Fortschritte hat es dennoch gegeben. Als Beispiele nannte Herrmann die Zahl von inzwischen 247 von der DGKiM zertifizierten Kinderschutzmedizinern in Deutschland. Von den rund 360 Kinderkliniken bundesweit hat inzwischen rund die Hälfte Kinderschutzgruppen - 2008 waren dies laut Herrmann erst acht.


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"Es geht um das Wecken von Achtsamkeit für das Thema und die Schaffung eines Bewusstseins."
DR. THORSTEN WYGOLD
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Einzelne regionale Beispiele zeigen außerdem, welche Wege vor Ort möglich sind. Eines dieser in Heide vorgestellten Beispiele ist ein Projekt des 6K-Klinikverbundes in Schleswig-Holstein und der Diako Flensburg, die in Kooperation mit der Beratungsstelle "Wendepunkt" in Elmshorn ein Konzept erarbeitet haben, das Selbstbestimmung der betroffenen Kinder und Jugendlichen zulässt und zugleich Mitarbeitende davor schützt, unbeabsichtigte Grenzverletzungen zu begehen. Diese Themen sprechen die Kliniken ab jetzt in Einstellungsgesprächen an, außerdem sind sie Gegenstand von Fortbildungen und führen zu einer erhöhten Aufmerksamkeit der Mitarbeitenden, die vertraute Abläufe im Krankenhaus neu bewerten und bei Bedarf verändern. Das gemeinsam erarbeitete Schutzkonzept umfasst zehn Bausteine, von einer Risikoanalyse über Kriterien für die Personalauswahl bis zu einem Beschwerdemanagement. "Es geht um das Wecken von Achtsamkeit für das Thema und die Schaffung eines Bewusstseins dafür, dass Grenzverletzungen an Kindern und Jugendlichen immer wieder vorkommen, selbst dort, wo diesen geholfen werden soll", sagte Initiator Dr. Thorsten Wygold, Chefarzt der Heider Kinderklinik.

Ein anderes Beispiel ist die mobile Kinderschutzambulanz am Institut für Rechtsmedizin an der Universitätsmedizin Greifswald. Ein zunächst ehrenamtliches Projekt für Erwachsene in der Region stellte den Bedarf für Kinder fest: Die Zuweisungen durch Kinderkliniken und Jugendämter führte zum Erkennen von Kindesmisshandlung, sexueller Gewalt und Körperverletzung. Deshalb wurde eine niederschwellige Kinderschutzambulanz mit mobiler Ambulanz etabliert. Die Ambulanz bietet eine gerichtsfeste Verletzungsdokumentation mit forensischer Bewertung, einen 24-Stunden-Bereitschaftsdienst bei Notfällen für Fallbesprechungen am Telefon und auch für körperliche Untersuchungen sowie Fortbildungen und Schulungen in Fragen des Kinderschutzes sowie der Erkennbarkeit von misshandlungsbedingten Verletzungen. Seit dem Start 2020 wurde rund 200 Fällen nachgegangen, mit deutlichem Rückgang in den Lockdown-Monaten. Ein Problem ist die Weitläufigkeit im Land - im Durchschnitt legt die Ambulanz 70 Kilometer je Fall zurück und wendet fünf Stunden pro Fall auf.

Enge soziale Verflechtungen in dörflichen Strukturen und die Tabuisierung von Gewalt können speziell auf dem Land ein Problem sein. Susanne Günther vom Kinderschutzbund in Schleswig-Holstein forderte, diese besonderen Probleme bei Lösungskonzepten einzubeziehen.

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 6, Juni 2022
75. Jahrgang, Seite 22
Herausgeber: Ärztekammer Schleswig-Holstein
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-0, Fax: 04551/803-101
E-Mail: info@aeksh.de
Internet: www.aeksh.de
 
Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 29. Juli 2022

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