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INTERVIEW/017: Ersatzteillager Mensch - Erika Feyerabend zu Fragen linker Biomedizinkritik (SB)


Die bioethische Debatte aus den Institutionen in die Gesellschaft holen



Interview mit Erika Feyerabend am 24. März 2012 in Essen-Steele

Erika Feyerabend engagiert sich im gemeinnützigen Verein "BioSkop - Forum zur Beobachtung der Biowissenschaften und ihrer Technologien" für die Schaffung einer kritischen Öffentlichkeit im Umgang mit Fragen der Biomedizin und Biopolitik. In diesem Rahmen erscheint vierteljährlich die Zeitschrift BioSkop, der der newsletter behindertenpolitik beigefügt ist. Am 23. und 24. März veranstaltete BioSkop in Zusammenarbeit mit der Hospizvereinigung Omega e. V. eine Tagung zum Thema "Organspende - gesellschaftlich umstritten, öffentlich undurchschaubar, politisch gefördert", nach deren Abschluß die Organisatorin und Moderatorin des Treffens dem Schattenblick einige Fragen beantwortete.

Im Gespräch - Foto: © 2012 by Schattenblick

Erika Feyerabend
Foto: © 2012 by Schattenblick

Schattenblick: Erika, wie lange existiert BioSkop schon und wie hat sich die Initiative entwickelt?

Erika Feyerabend: BioSkop gibt es seit 1995. Entstanden ist es aus dem Verein No-Gen-Archiv. Das war eine Initiative, die Mitte der 80er Jahre aus der feministischen Auseinandersetzung mit Reproduktionstechnologie entstanden ist. Dazu gehörten auch Feministinnen, die in einer damals noch vorhandenen Krüppelbewegung engagiert waren. Aus diesem Raum heraus ist dann BioSkop entstanden. Das waren verschiedene Leute, die im Journalismus und in der Wissenschaft als linke bewegungsorientierte Aktivistinnen und Aktivisten tätig waren und die Bewegung No-Gen-Archiv aufgebaut haben. Sie haben sich dann assoziiert und weiter mit den Biotechnologien befaßt.

Das Ganze hat sich im Laufe der Jahre auf sozial- und gesundheitspolitische Fragen ausgeweitet. Wir haben dann angefangen, Tagungen zu organisieren. Schließlich kam die Überlegung auf, ein Dauerprojekt zu beginnen. Daraus ist die Zeitschrift BioSkop zur Beobachtung der Biowissenschaften entstanden mit dem Anliegen, alles, was in der Welt der Biowissenschaften und auch der Gesundheits- und Sozialpolitik passiert und was sehr kompliziert ist, zu übersetzen und zu bewerten für Menschen, die die Entwicklungen nicht ständig verfolgen können. Uns war es wichtig, ein Level an Auseinandersetzung aufrechtzuerhalten, was diese Fragen nicht individualisiert, sondern politisiert. Das war unser Ausgangspunkt. Ich habe überhaupt nichts gegen Wissenschaft, das ist nicht der Punkt, aber die Anbindung an politische und zivilgesellschaftliche BürgerInnenbewegungen hatte für uns Vorrang. Was in den Wissenschaften stattfindet ist zum Teil hochinteressant und erkenntnisförderlich. Von daher ging unsere Motivation dahin, dies für politisch Handlungswillige in dem Bereich der Gesellschaft, der uns zugänglich ist, fruchtbar zu machen.

SB: Ihr seid zu einer Zeit entstanden, als die Biomedizinkritik in der Linken noch eine relativ vitale Angelegenheit war und sich mehr Leute als heute dem Thema widmeten. So gab es in den 80er Jahren die Auseinandersetzung um Peter Singer, die Behindertenfrage wurde unter anderem in dem Film "Pannwitzblick" thematisiert und linke Kritik an der Verwissenschaftlichung sozialeugenischer und sozialdarwinistischer Politik artikuliert. Wie erklärst du dir, daß davon in der heutigen Linken nur noch so wenig präsent ist?

EF: Es hing damals mit einer Gesundheitsbewegung zusammen, die sich politisch zu artikulieren versuchte. Das waren durchaus Menschen, die im Gesundheitsbereich gearbeitet haben, aber auch in Teilen der Frauen-, Krüppel- und Menschenrechtsbewegung aktiv waren. Insbesondere die feministische und die Krüppelbewegung sind den Gang aller Bewegungen gegangen. Bewegungen sind eben nicht stabil, und durch verschiedene Prozesse, über die man stundenlang diskutieren könnte, haben sie aufgehört zu existieren. Und die außerparlamentarische Linke beschäftigt sich unter anderem deswegen nicht mit diesem Thema, weil diese Flügel in der Bewegung eigentlich nicht mehr existieren und es diesen Input, daß man das auch politisch und nicht nur ethisch sehen kann, einfach nicht mehr gibt.

SB: Anlässe gäbe es genug, die Frage nach der Verwertung des Menschen nicht nur durch Arbeit, sondern auch im erweiterten Sinne durch die Zurichtung des Menschen nach Kriterien eugenischer Art oder die starke Normierung im Sinne einer Schönheits- oder Fitneß-Ideologie zu thematisieren.

EF: Es gibt ja auch eine Kapitalisierung des Körpers selbst in seiner ureigenen Substanz. Das wäre auch ein Thema für die Linke, aber man dringt nicht wirklich durch.

SB: Auf der Tagung konnte man die Erfahrung machen, daß die
christlichen Lebensschützer inzwischen viel mehr Präsenz
auf diesem Feld zeigen.

EF: Ein großes Thema. Kurioserweise hat das zu einer dichotomen Situation geführt. So ist der politische Diskurs nach meinen Begriffen gebaut. Deswegen trauen sich viele Linke nicht mehr an das Thema heran. Das ist zum Teil der Dominanz der christlichen Lebensschützer in diesem Diskurs geschuldet. Es gibt in der Gegenüberstellung nur mehr liberale Positionen, in denen es um Autonomie und Selbstbestimmung geht, die im neoliberalen Diskurs verankert sind. Hauptsache, man weiß Bescheid und kann über den eigenen Körper verfügen. Diese Art von Verfügbarkeit wird als Autonomie und Freiheit beschrieben. Dann ist natürlich alles möglich von der pränatalen Diagnostik bis zur eugenischen Planung. Die Frage der Verfügbarkeit über den eigenen Körper ist völlig individualisiert und heruntergebrochen worden auf die Frage, wie mache ich es selbst.

Die Gegenposition wird von wertkonservativen Lebensschutzfraktionen dominiert, die extrem antifeministisch argumentieren. Ich habe große Probleme damit, daß sich diese Positionen zum Bündnis anbieten. Das machen wir als BioSkop nicht. Diese Gegenüberstellung wird von interessierter liberaler Seite bestärkt, weil die christlich Wertkonservativen in einer säkularen Gesellschaft definitiv nicht mehrheitsfähig sind. Wenn ich Technologiekritik im weitesten Sinne auf diese wertkonservative christliche Lebensschutzfraktion festmache, bleibt wenig Platz für eine linke politische Kritik an einer Kapitalisierung des Körpers mit den entsprechenden Macht- und Eigentumsverhältnissen, die damit verbunden sind.

Das ist für meine Begriffe ein Grund, warum sich Linke nicht mehr dem Thema widmen, abgesehen davon, daß die parlamentarisch organisierte Linke zum Teil in der eigenen Tradition wertkonservativ ist und somit die Entwicklung von Produktivkräften, die sich natürlich auch am Körper und in der Medizin entfalten können, auf diesem Feld gutheißen. Und auch das ist ein Grund dafür, warum sich eine linke Kritik gegen die offensichtliche Kapitalisierung und Normierung im Sinne dieser eugenischen Bevölkerungspolitik im weitesten Sinne nicht in relevanter Form positioniert und es in vielen Punkten auch nicht kann. Das ist nicht nur ein spezifisch biopolitisches Problem.

SB: Du meinst also, daß es mit dem positiven Verhältnis des traditionellen Marxismus zur technologischen Innovation zu tun hat?

EF: Ja. Der Bereich der Reproduktion, und ich meine das nicht verengt auf eine biologische Reproduktion, sondern das ganze Feld der medizinischen und pflegerischen Versorgung von Menschen, die aus dem Produktionsbereich herausgefallen sind, ist nicht das traditionelle Feld der Linken, sondern das der Produktion.

SB: In Anbetracht dessen, daß in dieser Gesellschaft immer mehr Menschen ausgegrenzt und für den Bereich der Produktion tatsächlich überflüssig werden, wäre eine parlamentarische Linke eigentlich gut beraten, wenn sie sich dieser Menschen mehr annehmen würde, um selber wieder handlungsfähiger zu werden und ein neues Subjekt der Bewegung zu entwickeln.

EF: Theoretisch richtig, in der praktischen Umsetzung ist das aber schwierig, weil man sich dann in diese Felder hineinbegeben muß. Es funktioniert nicht so, daß man aufsteht und sagt, ich habe hier eine Analyse und die zeigt mir, daß dieses Feld jetzt wichtig ist, und darum werde ich Texte oder sonst etwas dazu produzieren. Man muß überhaupt in diese Felder hineingehen, auch wenn man zunächst keine Bündnispartner hat. Man hat es da mit Wertkonservativen oder Pflegekräften bzw. mit Leuten zu tun, die in diesem Dienstleistungssektor arbeiten, und die sind jetzt nicht per se linksradikal oder ideologisch vorgebildet. Da sind die Anknüpfungspunkte und auch die Formen der Organisierung vollständig anders.

Man kann sein Bewegungsrepertoire, das man als Werkzeug der politischen Handlung entwickelt hat, nicht auf dieses Feld anwenden. Vielmehr muß man neu denken und sich manchmal auf Prozesse einlassen, die nicht mit den traditionellen linken Handlungs- und Bewegungsformen konform gehen und zum Teil auch unpolitisch wirken. Das fällt extrem schwer, zumal die außerparlamentarische Linke nicht wirklich in die Felder derjenigen, die in der Produktion unter prekärsten Verhältnissen arbeiten, hineingehen. Aber ich glaube, das ist extrem wichtig, so sehr man auch belächeln kann, daß wir früher vor den Werkstoren gestanden haben. Das ist natürlich eine sehr distanzierte Form der Kommunikation mit dem revolutionären Subjekt, das wir da gesucht haben. Und doch hatte das immer noch eine Vorstellung davon, daß wir dieses Feld begehen müssen. Ich halte es für ein schwieriges linkes Konzept, Führerschaft zu beanspruchen, indem man vorgibt, Bescheid zu wissen. Nicht einmal das ist der Fall. Politik auf diese Weise zu betreiben, ist sehr distanziert.

Ich glaube, wenn wir im Feld Gesundheit oder Transplantationsmedizin, jetzt einmal ganz vorsichtig gesagt, den Diskurs beeinflussen wollen, dann müssen wir in die Produktionsfelder hineingehen, und dazu gehören auch die Krankenhäuser. Das ist unglaublich schwierig. Diese Art von Aktivität liegt jenseits des traditionellen linken bewegungspolitischen Spektrums, das wir kennen. Da müßte man die Politik, die wir machen wollen - und ich halte immer noch an diesem Konzept fest -, wirklich anders aufstellen und möglicherweise überhaupt neu erfinden. In diesem Sinne von eigenen Traditionen Abstand zu nehmen ist ein schwieriger Prozeß, der auch mir manchmal schwerfällt, aber ich habe keine andere Idee dazu. Also versuche ich es.

SB: Dennoch gab es in den 70er Jahren durchaus entwickelte Theorien wie zum Beispiel die des SPK über Krankheit als Produzent der medizinischen Apparate und Wissenschaften. Wie würdest du an die damals geübte Kritik am Gesundheitswesen und an der Medizinaltechnokratie wieder anknüpfen?

EF: Das SPK war ja schon politisiert. Heute finden wir zum Beispiel bei den Patienten als der schwächsten Gruppe innerhalb des Gesundheitswesens kein SPK vor. Heute haben wir organisierte Patientengruppen, die etwas wollen, was wir nicht wollen, und die zum Teil wirklich von der Pharmawirtschaft gesteuert sind. Ihre Organisierungsformen knüpfen überhaupt nicht an die Frage der Norm- oder Nicht-Normerfüllung an, sondern halten sich an medizinische Kategorien, die schon Ausdruck einer übermächtigen normierenden Kraft der Medizin sind. Und da hineinzugehen ist unendlich mühselig, aber ich glaube, da führt kein Weg daran vorbei, wenn man das Feld der Gesundheitspolitik bzw. der Biopolitik im weitesten Sinne beackern will. Die Leute organisieren sich an Krankheitsbildern, manche sogar am Medikament. Was sich da alles biomedizinisch ausgedacht wurde, ist völlig abwegig. An vielen Punkten gibt es daher keine Einstiegsmöglichkeit, aber dann muß man eben Einstiegsmöglichkeiten suchen, die sich durchaus finden lassen. Mitunter trifft man auch auf Patientenorganisationen, die dem Paroli bieten, was man auf den ersten Blick gar nicht erkennt, sondern erst, wenn man sich mit den Leuten näher beschäftigt und nicht von außen sagt, aha, so und so ist das.

SB: Wie würdest du den poststrukturalistischen Einfluß, der zum Beispiel in der Gender-Frage sehr dominant ist und eng mit dem Begriff der Biopolitik verknüpft ist, auf die Möglichkeit zur Mobilisierung von sozialem Widerstand beurteilen?

EF: Schwach, aber dennoch schätze ich diese Theorien sehr. Für mich sind sie auch eine Leitplanke, aber die Verwissenschaftlichung der Fragen des Umgangs mit den Geschlechterverhältnissen oder auch mit dem Körper stellt ein großes Problem dar, weil sie an eine institutionalisierte Kritik in den Universitäten gebunden ist. Dabei kommt auch einiges heraus. Ich lese gern Bücher dazu, weil sie meine Erkenntnis fördern, das ist gar nicht die Frage, aber der Transfer in Handlung und Politik gelingt damit nicht, sondern es bleibt verwissenschaftlicht und folgt den Logiken der Konkurrenz innerhalb der Institution der Universität. Sicher, man trifft da auf ein unglaubliches Feld an Theoriebildung und Analysen, wo wir früher händeringend nach Texten gesucht hatten und glücklich waren, wenn wir etwas fanden. Sie sind zum Teil wirklich gut und viel umfangreicher als früher, aber es koppelt sich nicht mehr an Politik an, geschweige denn an irgendeine Bewegungspolitik.

Es bilden sich zwar, und nicht nur im wissenschaftlichen Feld, Eliten heraus, die aber, um es jetzt einmal ganz grob zu sagen, auf ganzer Linie versagen. Bewegung versagt natürlich auch, weil sie nicht mehr da ist, aber das Problem der Bewegung ist, daß du sie nicht machen kann. Sie ist irgendwie da oder nicht da, und das einzige, was man machen kann, ist, zu schauen, ob sich politische Ereignisse entwickeln, in denen so etwas wieder entstehen kann. Das kann aber nur gelingen, wenn man ständig versucht, diese Ereignisse aufzuspüren oder selber herzustellen. Aber aus diesem wissenschaftlichen Raum kommt wenig. Vielleicht wächst jetzt eine neue Generation von Wissenschaftlern heran. Wir hatten zum Beispiel Mona Motakef hier auf unserer Tagung, die sich nicht nur als Wissenschaftlerin, sondern als politische, in dem Fall feministische und linke Aktivistin versteht. Dann gibt es noch Leute an der Uni Jena wie Stephan Lessenich, der zum aktivierenden Sozialstaat schreibt, oder auch Stefanie Graefe, die sich als linke feministische Aktivistin und Wissenschaftlerin versteht und auch am dortigen Institut für Soziologie arbeitet, allerdings jetzt gerade in Lateinamerika ist.

Im Gespräch - Foto: © 2012 by Schattenblick

"Einsame Ruferin in der Diaspora der Neoliberalisierung"
Foto: © 2012 by Schattenblick

Vielleicht kommt eine Generation der 35- bis 40jährigen, die nocheinmal einen anderen Akzent setzt. Sobald sich Akteure in den Institutionen der Wissenschaft, wie wir heute beim Thema Transplantationsmedizin gesehen haben, berufen fühlen, zu beschreiben, was der Mensch, das Sterben, der Tod usw. ist, kommen mir so meine Zweifel, ob das wirklich gut ist. Man kommt sich dann vor wie eine einsame Ruferin in der Diaspora der Neoliberalisierung. Aber irgendwann kommen dann Leute, auf die du dich beziehen kannst, die eine Autorität per se über ihre gesellschaftliche Zuschreibung haben, die etwas allgemeineres repräsentieren, auf das man sich berufen kann. Möglicherweise ändern sich dann auch diese Kräfteverhältnisse. Auf dieser Suche bin ich ständig. Manchmal klappt es und manchmal auch nicht. Ich bin nicht ganz hoffnungslos.

SB: Ihr seid in der Schärfe Eurer Kritik sehr unabhängig zum Beispiel im Verhältnis zur institutionalisierten Kritik in den Wissenschaften.

EF: Da bin ich auch stolz darauf (lacht).

SB: Ich nehme an, du hast ein konkretes Selbstverständnis, das verhindert, daß du dich auf eine Weise kaufen läßt, wo dann die Kritik nur noch halbgar wäre, weil man plötzlich Verpflichtungen hätte wie viele NGOs, die auf diese Weise zahnlos geworden sind?

EF: Zu spät, ich bin über 55 Jahre (lacht). Bei mir funktioniert das nicht mehr. Nein, auch wenn die Lage prekär ist und du jedes Jahr von neuem nicht weißt, wie es weitergeht. Das absorbiert natürlich unglaublich viele Kräfte. Was wir bräuchten, ist so minimal, das kann man sich gar nicht vorstellen, aber wenn nicht einmal das vorhanden ist, wird es schon problematisch. Auf der einen Seite bist du unabhängig und konzentrierst dich auf den Inhalt, und das macht auch meine Lust an der Auseinandersetzung aus, sonst würde ich das nicht machen. Auf der anderen Seite ist es ein ständiger Kampf gegen den Verlust dieser Möglichkeit, was gar nicht so einfach ist. Es ist nun einmal so, daß man für Systemkritik nicht gut bezahlt wird. Immerhin wird man derzeit nicht bedroht, und das ist auch schon etwas. Es gab auch andere Zeiten.

SB: Wie bist du auf die verschiedenen Referentinnen und Referenten für diesen Kongreß gekommen, und wie habt ihr euer Programm zusammengestellt?

EF: Das hat kein wirkliches System. Ich bin hier und dort unterwegs, spreche mit vielen Leute und viele kennen mich. Ich lese zum Beispiel einen Text von Mona Motakef irgendwo im Netz oder in irgendeiner Zeitschrift, weil ich gerade recherchiere, wie es mit der Transplantationsmedizin weitergeht. Es ist ein guter Text, fundiert, unabhängig und kritisch, also sage ich mir, diese Frau muß ich kennenlernen. Ich rufe sie an und sage, das ist ein toller Text, und wir müssen uns einmal treffen. Beim Treffen tauschen wir uns aus, und damit ist eine Verbindung hergestellt.

Es gibt überall eine Suche nach Austausch und Diskussion, nach kollektiven Orten mit Leuten, die in diesem Bereich tätig sind und das auch politisch verstehen, auch wenn das Feld nicht gerade gut bestellt ist. Da gibt es viele mehr oder weniger einsame Blüten. Ein anderes Beispiel ist Sigrid Graumann, die jetzt allerdings nicht vorgetragen hat, aber ich hätte sie genausogut einladen können. Sie arbeitet seit Jahren zur Frage der Normierung, man kennt sich, hat einmal mehr und einmal weniger miteinander zu tun. Die Transplantationsmedizin ist seit einiger Zeit wieder mehr in der politischen Diskussion, weil auch konkrete gesellschaftspolitische Entscheidungen anstehen. Martina Keller, die auf der Tagung gesprochen hat, arbeitet investigativ und hat die Möglichkeit, zu den Brennpunkten hinzugehen und die Dinge, die da laufen, sehr konkret und materiell aufzudecken und darüber zu berichten. Sie ist uns seit Jahren verbunden. Das ist eine wunderbare Kombination, investigativer Ansatz im Journalismus und politische Initiative.

Heinrich Lang habe ich eigentlich über den Staatstrechtler Wolfgang Höfling sozusagen in den Blick genommen, der ja noch kritisch zu der Frage der Transparenz im Transplantationssystem forscht. Das sind dann die Oppositionellen, die man im Bereich der Kritik an der rechtlichen Fassung des Transplantationswesens finden kann. Man könnte mit dem Thema eine ganze Woche füllen, aber der Diskurs wird zumeist von Ärzten bestimmt, bestenfalls noch von den Betroffenen. Gisela Meyer hat erzählt, wie die Betroffenen unter dem Entscheidungsangebot leiden, was ziemlich beeindruckend war. Ich finde es wirklich schade, daß niemand über die Pflegekräfte redet. Es ist ohnehin schwierig, Menschen, die aktuell in der Pflege sind und mit Explantation und Hirntoten zu tun haben und dann noch bereit sind, über ihre Erfahrungen zu sprechen, für eine so kleine Öffentlichkeit wie diese Tagung zu mobilisieren. Das ist die Ausnahme. Es gibt auch Leute innerhalb der Deutschen Stiftung Organtransplantation, die versuchen, ihren Job gut zu machen und dann auf Widersprüche treffen. Sie werden dann unter Androhung von extremen Geldleistungen, falls sie in der Öffentlichkeit etwas sagen, mundtot gemacht. Darüber zu reden, was im Transplantationswesen stattfindet, ist extrem reglementiert. Ich fände es wichtig, das öffentlich zu machen, aber es ist praktisch unmöglich.

SB: Du warst am Mittwoch in Berlin bei der Veranstaltung des Deutschen Ethikrats und bist mit einer Phalanx von Organspendebefürwortern konfrontiert gewesen. Wie würdest du diese Veranstaltung aus deiner persönlichen Erfahrung beschreiben und welchen Stellenwert mißt du ihr in der Serie von Ereignissen oder öffentlichen Darbietungen dieser Art zu?

EF: Erkenntnisförderlich wie unsere Tagung hier fand ich es in Berlin nicht gerade (lacht). Ich fand es interessant, daß der Deutsche Ethikrat Herrn Shewmon [2] überhaupt eingeladen hatte. Ich werte das als Zeichen dafür, daß diese naturwissenschaftlich-medizinisch konnotierte Kritik eine Relevanz besitzt, an der anscheinend auch der Deutsche Ethikrat, der der Transplantationsmedizin und der Entwicklung innerhalb der Biomedizin gegenüber positiv eingestellt ist, nicht vorbei kommt. Ich finde es auch interessant, ob sich die Bundesärztekammer daraufhin genötigt sieht, ihm Leute gegenüberzustellen, die ein gewisses symbolisches Kapital haben. Herr Montgomery (Präsident der Bundesärztekammer) geht hin und sagt: Transplantation ist prima! Was wollt ihr eigentlich? Der Hirntod ist kein Problem, und überhaupt läuft hier alles ganz wunderbar. Herr Angstwurm, der an der Hirntodrichtlinie mitgeschrieben hat, sagt das auch. Es gib ein paar Dissidenten, die in der Linie sind, die noch brutaler wird. Herr Birnbacher war innerhalb der Bundesärztekammer einer der Taufpaten für die philosophisch begründete Gleichsetzung von Tod und Hirntod. Auch er sagt jetzt, ich habe eingesehen, daß wir das so nicht mehr machen können und irgend etwas anderes erfinden müssen. Hauptsache, die Transplantationsmedizin geht weiter. Aber die Sicherheit, die die Befürworter die ganze Zeit hatten, scheint nun brüchig zu werden. Jedenfalls hat die Veranstaltung des Deutschen Ethikrats in meinen Augen einen Hinweis darauf gegeben. Ob die Verunsicherung wieder verschwinden wird, hängt davon ab, ob diese Debatte Teilöffentlichkeiten oder auch relevante Öffentlichkeiten dauerhafter als bisher erreicht, wenngleich mit der reinen Kritik an diesem Hirntodkonzept nicht viel gewonnen ist. Die Transplantationsmedizin müßte in der Gesamtheit ihrer Problematik begriffen werden und nicht nur in der Frage, ob die Spender, die heutzutage explantiert werden, tot oder lebendig sind. Aber ich halte das für ein Fenster der Möglichkeit, das sich auftut, und das fand ich interessant.

Erika Feyerabend mit SB-Redakteur - Foto: © 2012 by Schattenblick

Gespräch in der Bar des GREND
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Die Bioethik wird selbstevident als etwas Hochanständiges und um Menschlichkeit Bemühtes ausgewiesen. In den 90er Jahren gab es doch recht starke Kritik an der Bioethik-Konvention des Europarats, die die Frage von Versuchen an nicht einwilligungsfähigen Patienten betraf. Inwiefern bist du der Meinung, daß auch eine Kritik am Anspruch der Bioethik erforderlich ist?

EF: Das ist absolut notwendig. Es ist kein ethisches, sondern ein politisches Problem. Dabei bleibe ich. In den 80er und 90er Jahren war Bioethik ein sehr umkämpfter, aber negativ konnotierter Begriff. Das ist er heute nicht mehr. Allerdings sind das Großbegriffe, die sehr interpretationsoffen sind. Der Hirntod zeigt als Begriff an, daß es sich hierbei um Tod handelt. Beim Begriff der Bioethik macht sich alle Welt eine Vorstellung von gutem und schlechtem Handeln, als ginge es um die Bewertung des Handelns. Das ist nicht der Fall. Das Ganze ist von vorne bis hinten politisch. Aber die Rückeroberung dieses Feldes gelingt heutzutage nicht mehr mit dem Begriff der Biopolitik, weil er inzwischen so uferlos geworden ist, daß er nichts mehr bezeichnet. Das Schlimme an der institutionalisierten Bioethik ist, daß sie wesentlich als handlungsanweisend und ratgebend für politischen Entscheidungen verstanden wird. Dabei hat die Sparte der utilitaristischen Ethik, weil sie so pragmatisch und lösungsorientiert ist, das Feld der Bioethik weitgehend besetzt. Das halte ich für überhaupt keine gute Entwicklung. Gleichzeitig ist der Begriff so offen, als ob da alle möglichen Arten von Ethik Platz hätten. Das ist aber nicht der Fall. Die Leute, die in den Ethikräten und Ethikkommissionen sitzen, sind alle darauf orientiert, Lösungen unter den gegebenen Verhältnissen zu finden. Und das machen sie auch. Diese Gremien sind auch nicht pluralistisch besetzt, so sind kaum Leute mit unterschiedlichen philosophischen Theorien darunter. Eigentlich handelt es sich um eine Verfahrensmaschine, die rein pragmatisch darauf ausgerichtet ist, die Abläufe in den Institutionen der Wissenschaft oder im Krankenhaus nicht zu stören.

SB: Erika, vielen Dank für das lange Gespräch nach diesem langen Tag, den wir heute mit Vorträgen und Diskussionen verbracht haben.

Fußnoten:

[1] AUFRUF/086: Jetzt BioSkop retten (BioSkop)
http://schattenblick.org/infopool/buerger/fakten/bfaa0086.html

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/medizin/report/morb0004.html

 Am Abend auf dem Grendplatz - Foto: © 2012 by Schattenblick

Aufgang zum Kulturzentrum GREND in Essen-Steele
Foto: © 2012 by Schattenblick

24. Mai 2012