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BUCH/075: Arzneimittelwirkungen verstehen - Medikamente gezielt einsetzen (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 8/2010

Buchrezension
Sachkundige Aufklärung und ausgewogene Weiterbildung

Rezensiert von Prof. Dr. Karlheinz Engelhardt


Arzneimittelwirkungen verstehen - Medikamente gezielt einsetzen: eine Rezension des Werkes von Lüllmann, Mohr und Hein durch Prof. Dr. Karlheinz Engelhardt.


Arzneimitteltherapie spielt für alle Fächer der Medizin eine große Rolle, sodass viele Ärzte die Notwendigkeit sehen, sich über Nutzen und Nachteil eines Arzneimittels objektiv zu informieren. Leider sind viele Fortbildungen Industrie-gesponsert, sodass eine ausgewogene Darstellung nicht gewährleistet ist. Dieses in der 17. Auflage herausgekommene Werk ist ein in viele Sprachen übersetzter Klassiker, der Ärzten und Studenten als unabhängiger Ratgeber dienen kann. Bei der Darstellung der ACE-Hemmer, Bronchodilatatoren, Antihypertonika, nichtsteroidalen Antirheumatika, Parkinsonmittel und anderer wichtiger Arzneistoffgruppen werden uns pathophysiologische Zusammenhänge und das sinnvolle Eingreifen der Medikamente plastisch vor Augen gestellt. In ihrem Vorwort schreiben die Autoren: "Die Medizin und speziell die Arzneimitteltherapie unterliegen einem enormen Wissenszuwachs von Jahr zu Jahr. Um immer die optimale Therapie für seine Patienten anwenden zu können, muss der Arzt ständig - bis zu seinem Ruhestand - lernen und sich fortbilden." Dabei ergibt sich das Problem: "Wo erhalte ich objektive, nicht merkantil verfärbte Informationen und wie kann ich mir selbst ein Urteil bilden?"

Das Buch bringt eine wünschenswerte Kritik der von der Pharmaindustrie herausgegebenen "Roten Liste" mit ihren verwirrenden 8.778 Präparaten im Jahre 2009, oft sinnlosen Kombinationen und überflüssigen Analogwirkstoffen ("me too" Medikamente). Der Arzt kann vom "Lüllmann" in vieler Hinsicht profitieren: Er kann sich über die einzelnen Wirkstoffe, ihre Haupt-, Nebenwirkungen und Interaktionen klug machen. Er wird immer gut beraten, z.B. über einen Kalzium-Kanal-, Beta- Blocker, über Morphin, Paracetamol, Clozapin, ein atypisches Neuroleptikum. Wenn man von solchen Einzelstoffen ausgeht, bekommt man Respekt und ist bestrebt, so viel wie nötig und so wenig wie möglich zu verordnen. Für den praktizierenden Arzt ist es wertvoll, dass die Autoren in gesonderten Abschnitten Therapiekonzepte vorstellen.

Im Abschnitt über die Arzneimittelanamnese heißt es, dass fünf bis zehn Prozent der in ein Krankenhaus Eingewiesenen an Arzneimittelnebenwirkungen leiden. Deshalb ist die Medikamentenanamnese essenziell. Auch während des Klinikaufenthaltes können unerwünschte Arzneimittelwirkungen auftreten, sodass der Arzt ständig die Folgen seiner Therapie beobachten sollte. Ein Kapitel enthält Placebotherapie, Homöopathie und Phytotherapie. Placebotherapie sei erlaubt, "wenn eine echte Pharmakotherapie nicht möglich oder nicht notwendig ist und wenn beim Arzt das Bewusstsein vorhanden ist, mithilfe einer Scheintherapie eine Psychotherapie zu betreiben." Wenn der Patient aber den Betrug bemerkt, verliert er das Vertrauen. Außerdem wird ein Placebos verschreibender Arzt nie den Erfolg eines Homöopathen oder Anthroposophen haben, der an sein Mittel glaubt und deshalb niemals das Bewusstsein eines Betrugs hat. Gemeinsamer Glaube von Patient und Arzt an eine Heilmaßnahme wirkt als "Superplacebo". Überzeugend zeigen die Autoren die Irrationalität der beiden homöopathischen Grundprinzipien: der "Potenzierung" durch Verdünnung und der "Ähnlichkeitsregel". Die Erfolge der Homöopathie und anderer alternativer Verfahren sind durch Kontextfaktoren zu erklären, zu denen die Patient-Arzt-Beziehung, Zeit und Zuhören gehören. Aus der Geschichte dieser Erfolge könnte die Schulmedizin viel lernen.

Von wo aus immer sich der Leser diesem Buch nähert - er wird stets sachkundig aufgeklärt und ausgewogen weitergebildet. Die Autoren haben keine finanziellen Konflikte, die den Inhalt beeinflussen könnten. Der Rezensent empfiehlt wärmstens dieses seit Jahren bewährte, mit vielen hilfreichen Abbildungen, Überblicken und Hervorhebungen versehene Werk.

Prof. Dr. Karlheinz Engelhardt, Kiel


Heinz Lüllmann, Klaus Mohr, Lutz Hein,
Pharmakologie und Toxikologie: Arzneimittelwirkungen verstehen - Medikamente gezielt einsetzen;
17. Auflage, Thieme, Stuttgart 2010, 666 Seiten.


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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 8/2010 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2010/201008/h10084a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de


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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt August 2010
63. Jahrgang, Seite 38
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-119, -127, Fax: -188
E-Mail: aerzteblatt@aeksh.org
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. September 2010