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ARTIKEL/432: Interview mit Chr. Meyer zu den Auswirkungen des AMNOG auf die Arztpraxen (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 2/2011

Interview

"Rabattverträge werden zu einem Oligopol in der Branche führen"


Christoph Meyer zu den Auswirkungen des AMNOG auf die Arztpraxen und zu den Folgen der Rabattverträge für die Pharmaindustrie.


Das AMNOG sorgt für Chaos in Apotheken, Verwirrung in Arztpraxen und stürzt Generikafirmen in Existenznöte. Dieser Eindruck drängte sich manchem Beobachter nach den Erfahrungen der ersten Wochen des Jahres auf, nachdem die Praxissoftware vieler niedergelassener Ärzte bei der Verordnung der gewohnten Medikamente diese plötzlich als nicht erstattungsfähig anzeigte. Hinzu kommen Verwirrungen über die Packungsgrößen. Diese wurden flexibler gefasst, um den Austausch von Präparaten zu erleichtern. Das schleswig-holsteinische Ärzteblatt sprach über die Probleme mit Christoph Meyer. Meyer hat als Hausarzt und als Vorsitzender der Q-Pharm, einer Tochtergesellschaft der Ärztegenossenschaft Nord, die Auswirkungen der Neuregelungen an zwei Fronten erfahren.


Herr Meyer, mit dem AMNOG wurden die Packungsgrößen der Medikamente flexibler gefasst. Das sollte sich eigentlich positiv auswirken. Welche Erfahrungen haben Sie als Hausarzt damit gesammelt?

Meyer: Von positiven Auswirkungen habe ich nichts bemerkt - im Gegenteil. Nehmen Sie zum Beispiel die Spannbreite bei den Packungsgrößen: In der Vergangenheit hatten viele Hersteller Präparate mit einer N-Normierung im Markt, deren Inhalt genau der Tablettenzahl entsprach, die der Patient benötigte. Danach konnte sich der verordnende Arzt richten. Wenn sein Patient ein Medikament sieben Tage lang einmal pro Tag einnehmen sollte, hat er ein Präparat verordnet, das exakt diese Tablettenzahl in der Packung beinhaltete. Seit der Neuregelung sind für N1-Packungen nur noch Abweichungen von 20 Prozent zur Tablettenzahl 20 erlaubt - also Packungsgrößen zwischen 16 und 24.

Das bedeutet, dass Patienten unter Umständen viel mehr Tabletten ausgehändigt bekommen, als sie einnehmen dürfen?

Meyer: Ja, das beinhaltet jede Menge Risiken. Es kann vorkommen, dass mit der gewohnten Verordnung einer N1-Packung der Patient ungewollt mehr Antibiotikum erhält als geplant. So nimmt er mehr Tabletten ein, als der Arzt ihm verordnet hat. Außerdem besteht die Gefahr, dass damit Medikamentenmüll entsteht, dessen Produktion und Entsorgung viel Geld kostet. Bei unsachgemäßer Entsorgung kommt die Belastung für die Umwelt hinzu. Und wie kommt das Signal bei uns Ärzten an? Seit vielen Jahren werden wir von Beratungsapothekern gedrängt, so sparsam wie möglich zu verordnen. Jetzt wird per Gesetz eine solche Verschwendung von Medikamenten ermöglicht - dieses Signal halte ich für verheerend.

"Bei aller berechtigten Kritik wird oft vernachlässigt, dass Innovationen aus dem Bestreben heraus, Geld zu verdienen, entstanden sind."

Das ist aber nicht das Einzige: Viele Ärzte berichten, dass ihre gewohnten Medikamente seit Jahresbeginn nicht mehr erstattungsfähig sein sollen. Was ist da passiert?

Meyer: Auch das ist eine Folge der neuen Packungsgrößenverordnung. Ich habe das als verordnender Arzt selbst erlebt mit Präparaten, von denen ich als Vorsitzender der Q-Pharm weiß, dass die Anzeige der Praxissoftware falsch ist. Mit anderen Worten: Meine Software zeigt ein Präparat als nicht erstattungsfähig an, obwohl es erstattungsfähig ist. Der Grund ist einfach: Die Praxissoftware ist noch nicht auf die neue Packungsgrößenvereinbarung in allen Einzelheiten eingestellt. Das führt die verordnenden Ärzte in die Irre: Sie weichen unter Umständen von ihrem gewohnten Präparat ab.

... mit der Folge für Patienten, dass sie auf ein anderes Medikament umsteigen müssen und für die Generikafirmen, dass sich Marktanteile erheblich verschieben.

Meyer: Tatsächlich führt das Chaos dazu, dass manche Firmen erheblich betroffen sind. Nicht nur wir bei Q-Pharm spüren empfindliche Umsatzeinbußen, weil unsere Präparate fälschlicherweise von der Praxissoftware als nicht erstattungsfähig ausgewiesen werden. Der gesamte Markt ist betroffen.

Sie sind also darauf angewiesen, dass die Software so schnell wie möglich an die neuen Gegebenheiten angepasst wird. Wann wird das sein?

Meyer: Ein Komplettupdate erfolgt nur ein Mal im Quartal und viele Kollegen nutzen die Möglichkeiten des monatlichen Online-Update nicht. Das ist unser Problem: Ein System, das die Ärzte eigentlich verlässlich informieren soll, führt zu einer Desinformation.

Wie beurteilen Sie die derzeitige Situation im Arzneimittelmarkt, der durch Rabattverträge komplett durcheinandergewirbelt wird?

Meyer: Ich glaube, dass die Rabattverträge mittelfristig zu einem Oligopol in der Pharmabranche führen werden. Durch die Rabattverträge unterbieten sich die Hersteller gegenseitig so lange, bis nur noch wenige große Player im Markt verbleiben. Die anderen Hersteller werden Opfer einer ruinösen Preisbildung. Und dann wird es für die Krankenkassen und damit für die Versichertengemeinschaft deutlich teurer.

Haben sich die Hersteller das nicht mit ihrer Hochpreispolitik in Deutschland selbst zuzuschreiben?

Meyer: Das ist nur zum Teil richtig. Bei aller berechtigten Kritik wird oft vernachlässigt, dass Innovationen aus dem Bestreben heraus, Geld zu verdienen, entstanden sind. Natürlich hat es auch Fehlentwicklungen gegeben, hier ist die eigentliche Intention des AMNOG zu begrüßen. Aber die derzeitige Entwicklung im preisstabilisierenden Generikamarkt führt dazu, dass sich sogar etablierte Firmen aus dem Markt zurückziehen. Das ist schlecht für den Wettbewerb und wird in einem Oligopol münden.

Gibt es denn eine praktische Empfehlung für die tägliche Praxis?

Meyer: Ja, die Kolleginnen und Kollegen sollten sich verstärkt auf ihre Verordnungshoheit besinnen und die Arzneimittel, mit denen sie vertraut sind und die sie bisher erfolgreich eingesetzt haben, konsequent mit Arzneimittelnamen und dem "aut idem"-Kreuz verordnen. So fördern sie die Compliance der Patienten, weil der Patient das erhält, was wir ihm im Behandlungsgespräch erklärt und verordnet haben.

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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 2/2011 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2011/201102/h11024a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Februar 2011
64. Jahrgang, Seite 28 - 29
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. März 2011

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