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EPIDEMIE/123: Forschung - Hohe Erregerbelastung bei Zeugung reduziert Sterblichkeit der Kinder bei Epidemien (idw)


Max-Planck-Institut für demografische Forschung - 16.04.2014

Hohe Erregerbelastung bei Zeugung reduziert Sterblichkeit der Kinder bei Epidemien

Generationenübergreifender Abwehrmechanismus beim Menschen belegt



Rostock. Kinder, die gezeugt wurden, während eine schwere Infektionskrankheit grassierte, sind später widerstandsfähiger auch gegen andere Erreger. Das belegten Forscher des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung (MPIDR) in Rostock nun erstmals am Beispiel von tödlichen Masern- und Pocken-Epidemien in der kanadischen Provinz Québec des 18. Jahrhunderts: Kinder, die dort während der Masernwelle der Jahre 1714/15 gezeugt wurden, starben deutlich seltener am Ausbruch der Pocken 15 Jahre später als Kinder, die vor den Masern gezeugt worden waren.

Dieses Forschungsergebnis veröffentlichte der MPIDR-Wissenschaftler Kai Willführ jetzt zusammen mit Mikko Myrskylä von der London School of Economics and Political Science im Wissenschaftsjournal "PLOS ONE".

"Wir belegen erstmals für den Menschen, dass Eltern ihre Kinder quasi auf kommende Krankheiten vorbereiten können", sagt Biodemograf Kai Willführ. "Der Mechanismus kann dabei weder rein genetisch sein, noch ist die entwickelte Resistenz auf einzelne Erreger beschränkt." Einen solchen Weitergabe-Mechanismus zwischen Eltern und Kind nennen Wissenschaftler "funktionalen trans-generationalen Effekt": Die Eltern, die zum Zeitpunkt der Empfängnis eine erhöhte Belastung durch Masernerreger erlebten, gaben den Kindern nicht nur mehr Schutz gegen diesen einen Infekt mit. Die Abwehr von Erregern funktionierte in der nächsten Generation offenbar generell besser, auch im Kampf gegen andere Krankheiten wie die gefährlichen Pocken.


Ansprechpartner

Kai Willführ
MPIDR-Autor des Artikels (spricht Deutsch und Englisch)
E-MAIL: willfuehr@demogr.mpg.de

Silvia Leek
MPIDR Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
E-MAIL: leek@demogr.mpg.de


Diese Pressemitteilung finden Sie unter
www.demogr.mpg.de/go/generation-abwehr
(online ab 17. April)

Original-Veröffentlichung:
Kai Willführ, Mikko Myrskylä: Disease Load at Conception Predicts Survival in Later Epidemics in a Historical French-Canadian Cohort, Suggesting Functional Trans-Generational Effects in Humans, PLOS ONE

Weitere Informationen finden Sie unter
http://dx.plos.org/10.1371/journal.pone.0093868

Zu dieser Mitteilung finden Sie Anhänge unter:
http://idw-online.de/de/attachment35483
Pressemitteilung als PDF


+++ Pocken-Sterblichkeit sank auf ein Siebtel +++
Der Zeitpunkt ihrer Empfängnis entschied für viele der Kinder während der Pockenepidemie um das Jahr 1730 über Leben oder Tod: Die Wahrscheinlichkeit, an den Pocken zu sterben, lag für während der Masernwelle 1714/15 gezeugte Kinder nur bei einem Siebtel der "normalen" Sterbewahrscheinlichkeit ihrer Geschwister, die vor dem Masernausbruch gezeugt und geboren worden waren. Der Preis dafür war allerdings hoch: Die Sterblichkeit der während der Pocken so widerstandsfähigen Kinder war in der Zeit zwischen den Krankheitswellen 1714/15 und 1730 dreimal so hoch wie die der gegen Pocken anfälligeren Geschwister. "Offenbar ist das Abwehrsystem der Kinder auf eine Welt mit hoher Erregerbelastung optimiert, wenn sie bei der Zeugung hoch war", sagt MPIDR-Forscher Willführ. Zu einer Welt mit wenigen Erregern passt es dann aber anscheinend weniger gut und funktioniert schlechter.

+++ Eltern gaben den Kindern mehr mit als schlichte Immunität +++
"Die Masern können nur während der Zeugungs- und Schwangerschaftsphase einen Anreiz gesetzt haben, den die Eltern dann auf die nächste Generation übertrugen", sagt Kai Willführ. Denn als die Kinder, die während der Hochphase der Masernepidemie gezeugt wurden, zur Welt kamen, war die Masernwelle schon wieder vorbei - die Erreger also nicht mehr in der Umwelt. Dass die Kinder schlichtweg immun geworden sind, lässt sich ausschließen. Es ist zwar möglich, dass die Mutter ihre eigene Immunisierung durch Antikörper an den Nachwuchs weitergibt. Das funktioniert während der Schwangerschaft über die Plazenta und nach der Geburt über die Muttermilch. Doch diese Abwehr schützt nur vor derselben Krankheit, gegen die auch die Mutter immun war. Das wären im Untersuchungsfall die Masern gewesen. Die Kinder waren aber besonders widerstandfähig gegen eine ganz andere Krankheit, nämlich die Pocken. Die Wissenschaftler konnten die Sterblichkeitseffekte der verschiedenen Krankheiten erstmals trennen, da sie die Lebensverläufe der Kinder jeweils einzeln exakt nachvollzogen und dabei gleichzeitig die Verbindung zu den Geschwistern mit einbezogen. Dazu untersuchten sie für die Geburtsjahrgänge von 1705 bis 1724, wie sich deren Sterblichkeit bis zum Jahr 1740 entwickelte. Die Daten über Geburten und Todesfällen stammen aus Abschriften alter Kirchenbücher, die die historische Bevölkerung des St. Lawrence Tals in der kanadischen Provinz Québec geführt hatte.

+++ Über das MPIDR +++
Das Max-Planck-Institut für demografische Forschung (MPIDR) in Rostock untersucht die Struktur und Dynamik von Populationen: von politikrelevanten Themen des demografischen Wandels wie Alterung, Geburtenverhalten oder der Verteilung der Arbeitszeit über den Lebenslauf bis hin zu evolutionsbiologischen und medizinischen Aspekten der Alterung. Das MPIDR ist eine der größten demografischen Forschungseinrichtungen in Europa und zählt zu den internationalen Spitzeninstituten in dieser Disziplin. Es gehört zur Max-Planck-Gesellschaft, einer der weltweit renommiertesten Forschungsgemeinschaften.
www.demogr.mpg.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution763

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Max-Planck-Institut für demografische Forschung, Silvia Leek, 16.04.2014
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. April 2014