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DEPRESSION/094: "Winterblues" - Seele in Not (welt der frau)


welt der frau 11/2010 - Die österreichische Frauenzeitschrift

DEPRESSION
Seele in Not

Von Susanna Sklenar


Im November beginnt für viele Menschen der "Winterblues". Niedergeschlagenheit und Traurigkeit machen sich breit. Doch wie können Betroffene eine depressive Verstimmung von einer klinischen Depression unterscheiden? Wann ist man ernsthaft krank und wann bloß schlecht drauf? Den Unterschied zu (er-)kennen kann lebensrettend sein.


Es ist, als ob sich ein trüber Schleier übers ganze Leben legt. Als ob die Seele auf unerklärliche Weise in ein tiefes Loch fällt - in einen Abgrund, der jegliches Licht aussperrt und mit ihm die Freude am Leben. Ein Zustand, von dem zunehmend mehr Menschen betroffen sind.

Wer an einer Depression leidet, ist ernsthaft krank. Die Diagnose "affektive Störung" ist weder eine Stimmungsschwankung noch Charakterschwäche, sondern eine potenziell lebensgefährliche Erkrankung. In der Umgangssprache wird das Wort "Depression" allerdings recht inflationär benützt, um eine Mischung von Gefühlen wie Trauer, Frustration, Kränkung oder Enttäuschung zu beschreiben. Mit einer echten Depression hat das aber nichts zu tun. In Österreich durchlebt jeder fünfte Mensch mindestens einmal im Leben eine Depression, wobei Frauen fast doppelt so oft betroffen sind wie Männer. Aufgrund der Häufigkeit und der jährlich steigenden Tendenz wurde dieses Leiden von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) daher bereits als "Krankheit des Jahrhunderts" eingestuft.


Noch immer ein Tabu

Doch der Entschluss, sich professionelle Hilfe zu holen, fällt vielen schwer - oft deshalb, weil psychische Erkrankungen in unserer Gesellschaft immer noch stark tabuisiert werden. Das führt dazu, dass Depressionen erst sehr spät diagnostiziert und behandelt werden. So vergehen vom Anfang der Beschwerden bis zum richtigen Therapiebeginn im Schnitt ganze zehn Jahre. Und: Nur 20 Prozent der PatientInnen werden richtig behandelt, die Hälfte der Krankheitsfälle wird gar nicht erkannt.


So fühlt sich Depression an

Die Krankheit umfasst drei Leitsymptome: Die depressive Stimmung hält die meiste Zeit des Tages an; sie geht einher mit Interesseverlust und Freudlosigkeit und bewirkt einen verminderten Antrieb oder gesteigerte Ermüdbarkeit. Als zusätzliche Symptome gelten eingeschränkte Konzentration und Aufmerksamkeit, Schlaf- und Appetitstörungen, vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, Schuldgefühle, pessimistische Zukunftsperspektiven und Selbstmordgedanken bis hin zu Suizid-Verhalten.

Darüber hinaus werden verschiedene Depressionstypen unterschieden:

Unipolare Depression:
Eine Phase dauert Wochen bis Monate, ohne Behandlung im Durchschnitt sechs bis neun Monate. In höherem Lebensalter werden die Phasen länger. Etwa 15 Prozent der Patienten erleben eine einmalige Episode; bei 45 Prozent ist diese wiederkehrend (rezidiv).

Bipolare Depression:
Die Stimmungslage wechselt zwischen abgrundtiefer Niedergeschlagenheit (Depression) und extremer Euphorie (Manie). Das persönliche Erleben der Umwelt verändert sich, die Patientin/der Patient verliert den Realitätssinn. Die Zahl der manisch-depressiven Episoden ist individuell verschieden. Betroffen sind rund 30 Prozent der depressiven PatientInnen.

Dysthymie:
Diese chronische Form der depressiven Verstimmung erfüllt nicht alle Kriterien für das Vollbild der Depression. Von einer Dysthymie spricht man, wenn die Depression (trotz Therapie) länger als zwei Jahre andauert. Die Patientin/Der Patient kann zwischendurch zusätzlich noch depressive Episoden haben.

Saisonal abhängige Depression (SAD):
Etwa zwei Prozent der Erwachsenen leiden an SAD, Tendenz steigend. Frauen sind viermal so häufig betroffen wie Männer. Die drei wichtigsten Kriterien:
1. Die Symptome zeigen sich im Herbst bzw. Winter.
2. Nachlassen oder Verschwinden der Symptome zwischen Mitte Februar und Mitte April.
3. Auftreten solcher depressiven Episoden in drei Kalenderjahren, wobei mindestens zwei dieser drei Jahre aufeinander folgen.

Als Ursache gilt Lichtmangel - er bewirkt eine erhöhte Melatoninproduktion des Körpers in den dunklen Wintermonaten und führt zu einem schnelleren Absinken des Serotoninspiegels im Gehirn. Gute Behandlungsmethode ist die Lichttherapie. Zum Einsatz kommen Lampen mit großer Lichtstärke (2.500 bis 10.000 Lux), die es auch für die Heimanwendung gibt. Wer an SAD leidet, sollte täglich 15 Minuten bis zwei Stunden vor der Lichtquelle sitzen.


Die Suche nach der Ursache

Was eine Depression tatsächlich auslöst, ist auch heute noch nicht geklärt. Für ihren Verlauf ist eine Vielzahl von psychischen, genetischen und biochemischen Faktoren verantwortlich.

Veranlagung: Bis vor zwei Jahrzehnten wurde zwischen genetisch (endogenen) und psychosozial bedingten (psychogenen) Depressionen unterschieden. Heute gilt diese Unterscheidung als obsolet. Ist allerdings ein Elternteil betroffen, erhöht sich das Erkrankungsrisiko der Kinder um 10 Prozent, sind beide betroffen, steigt es auf 50 Prozent.

Körper & Psyche: Die Auffassung, Depression sei ausschließlich durch einen Mangel an bestimmten Botenstoffen (speziell Serotonin und Noradrenalin) zu erklären, hält modernen Prüfmethoden nicht stand. Meistens sind seelische Verletzungen von ausschlaggebender Bedeutung. Aber auch körperliche Erkrankungen (etwa eine Durchblutungsstörung im Gehirn oder eine Unterfunktion der Schilddrüse) können eine Depression bewirken.


WEGE AUS DEM TIEF

Medikamentöse Therapie: Die Wirkung der meisten Antidepressiva setzt rasch ein, d.h. innerhalb der ersten beiden Behandlungswochen, sofern das Medikament richtig dosiert wurde. Bei der Auswahl sollte nicht zuletzt auf die unterschiedlichen Nebenwirkungen geachtet werden: Manche Präparate machen müde, andere senken den Blutdruck oder schwächen Libido und Potenz.

Psychotherapie: Die Psychotherapie gilt als Alternative und Ergänzung zur medikamentösen Therapie - je nach Art der Erkrankung und Persönlichkeit der/des Betroffenen. TherapeutInnen setzen hier auf kognitive Verhaltenstherapie, psychodynamische Therapie, interpersonelle (wurde in den USA speziell für depressive Menschen konzipiert) oder systemische Psychotherapie.

Alternatives & Komplementäres: Schlafentzug bzw. partielles Wachbleiben kann hilfreich sein (nur in Absprache mit der Ärztin/dem Arzt), bei einer SAD bewährt sich Lichttherapie. Ebenso gewinnt die Phytotherapie mit pflanzlichen Mitteln (allen voran Johanniskraut) an Bedeutung.


HILFREICHE STIMMUNGSMACHER BEI DEPRESSIONEN

Frische Luft:
Für alle, die an einer depressiven Verstimmung bzw. SAD leiden: Starten Sie möglichst viele Tage gleich nach Sonnenaufgang mit einem ein- bis zweistündigen Aufenthalt im Freien.

Südreise:
Wirkt nur bei Winterblues: Flucht. Laut SAD-ForscherInnen verschwinden Traurigkeit, Müdigkeit und Antriebsschwäche oft bereits nach wenigen Tagen, sobald die PatientInnen in sonnigere Gegenden reisen.

Honig & Früchte:
Auch das Essen spielt eine wichtige Rolle: Nicht ohne Grund bekommen viele Menschen im Winter Heißhunger auf Süßigkeiten. Der Genuss von Schokolade lässt den Spiegel von Endorphinen im Gehirn ansteigen, die wiederum beruhigen. Doch die überflüssigen Kalorien machen langfristig träge. Probieren Sie also lieber mal ein Brot mit Honig oder Trockenfrüchte wie Datteln, Apfelringe, Mango, Feigen oder Marillen.

Energiefrühstück:
Ein frisches Frühstück macht munter. Schon beim Frühstück können Sie Ihrem Körper etwas Gutes tun. Morgens statt des üblichen Kaffees einen Energiedrink (zum Beispiel Milch mit püriertem Obst oder Joghurt mit Fruchtsaft) auf den Frühstückstisch stellen.

Farbenspiele:
Auch die häusliche Umgebung beeinflusst unsere Stimmung. Antworten Sie auf graue und triste Landschaften, indem Sie ihre gewohnte Umgebung ein bisschen farbiger einrichten.

Entspannung & Genuss:
Sorgen Sie für schöne Augenblicke und die richtige Entspannung. Für manche ist es ein gemütlicher Nachmittag zu Hause, eingekuschelt auf dem Sofa mit einem spannenden Buch. Für andere sind es der Kinobesuch mit FreundInnen und der anschließende gesellige Abend. Einige Menschen erholen sich am besten durch ein Aromabad mit Kräutern und ätherischen Ölen. Wichtig ist auf jeden Fall die Loslösung vom Alltag.

Sport:
Regelmäßiger Sport unter freiem Himmel (zwei- bis dreimal die Woche 30 bis 45 Minuten) fördert das Wohlbefinden. Probieren Sie's mal mit Laufen, (Nordic) Walking, Radfahren, Skifahren, Skilanglauf oder Eislaufen - und denken Sie daran: Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Bekleidung bzw. Ausrüstung!

Mutmachbücher:
Lesen Sie ein aufmunterndes, positives Buch - entweder einen heiteren Roman oder einen der neuen Ratgeber, die mit anregenden Tipps punkten:

Sabine Wehner-Zott:
"Die Seele heilen"
Ein Mutmachbuch für Depressive und ihre Angehörigen
GU Verlag, 240 Seiten, 17,50 Euro

Josef Giger-Bütler:
"Endlich frei", Schritte aus der Depression
Verlag Beltz, 330 Seiten, 20,50 Euro

Brigitte Bösenkopf:
"Mut zur Lebensfreude"
Lustvoll leben, lieben und arbeiten
Goldegg Verlag, 248 Seiten, 19,80 Euro


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Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift,
November 2010, Seite 50-52
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
Herausgeberin: Katholische Frauenbewegung Österreichs
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Die "welt der frau" erscheint monatlich.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Dezember 2010