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SCHLAGANFALL/354: Das Schlaganfall-Netzwerk Schleswig-Holstein (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 6/2015

Schlaganfall
Abgestimmt im Netz

Von Dirk Schnack


Vier Zentren arbeiten im Schlaganfall-Netzwerk zusammen. Ziel ist, dass jeder Patient in die passende Einrichtung kommt.


Eine dauerhafte Behinderung oder Pflegebedürftigkeit zählen zu den Schreckensszenarien, die viele Menschen gerne verdrängen. Wenn es dazu kommt, ist kein Krankheitsbild so häufig dafür verantwortlich wie der Schlaganfall. Alle drei Minuten tritt in Deutschland ein Schlaganfall auf, damit ist er die häufigste neurologische Akuterkrankung. Und es sind immer häufiger auch jüngere, mitten im Berufs- und Familienleben stehende Menschen betroffen.

Umso wichtiger sind Prävention und Akutbehandlung. Dabei gibt es jedoch nach wie vor Verzögerungen. Bis die richtige Entscheidung über Lysetherapie, Katheterbehandlung oder Operation und den dafür passenden Behandlungsort getroffen ist, können schon schwerwiegende Langzeitfolgen für die Betroffenen eingetreten sein. Um solche Folgen zu vermeiden, hat sich im Norden das Schlaganfallnetzwerk Schleswig-Holstein gegründet. Vier neurologische Kliniken in Kiel, Neumünster, Rendsburg und Schleswig - alle verfügen über eine nach den Kriterien der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) zertifizierte Stroke Unit - arbeiten bislang in dem Netzwerk, das von der Kieler Uni-Neurologie koordiniert wird und ein Einzugsgebiet von rund 750.000 Menschen hat. Ziel dieser Zusammenarbeit ist es, dass jeder Patient die passende Behandlung so schnell wie möglich erhält. Damit setzen die Beteiligten das von der Deutschen Schlaganfall Gesellschaft entwickelte Konzept der neurovaskulären Netzwerke um. In insgesamt 16 Regionen wird bundesweit an Pilotprojekten für solche Konzepte gearbeitet, um die interdisziplinäre Zusammenarbeit ortsübergreifend unter den Stichworten einheitlich, verlässlich und qualitätsgesichert zu verbessern. Schleswig-Holstein war dabei vergleichsweise früh am Start. Die DSG hält diese Netze für den "nächsten Schritt in der Entwicklung der Schlaganfallversorgung in Deutschland", wie DSG-Past-Präsident Prof. Joachim Röther sagte.

Warum selbst unter den zertifizierten Zentren noch Abstufungen bestehen und manche Patienten in Kiel eine für sie geeignetere Behandlung erhalten können als an anderen Standorten, erläuterte Netz-Initiator Prof. Günther Deuschl aus Kiel an einem Beispiel: "Die notwendige Routine für eine Thrombektomie haben in ganz Schleswig-Holstein vielleicht 15 Mediziner. Davon arbeiten allein fünf bei uns im Universitätsklinikum am Kieler Standort." Mit anderen Worten: Nicht jeder Standort des Netzwerkes kann die notwendigen personellen und infrastrukturellen Voraussetzungen vorhalten. Ob ein solcher Eingriff erforderlich ist, entscheiden die beteiligten Netzwerkkollegen nach klar definierten Regeln. Andere Behandlungen dagegen werden vor Ort in den Stroke Units der beteiligten Kliniken vorgenommen. "Es geht nicht darum, alle Patienten an eine bestimmte Klinik zu bringen, wohl aber darum, so schnell wie möglich an den jeweils passenden Behandlungsort", sagt Deuschl. Bei rund 2.800 Schlaganfallpatienten, die die vier Zentren im Jahr behandeln, könnte auch keines von ihnen alle Fälle allein übernehmen. Kiel als größtes Zentrum behandelt jährlich rund 1.150 Patienten.

Um so abgestimmt wie im Norden zusammenarbeiten zu können, ist Vertrauen zwischen den Beteiligten in den Zentren erforderlich. Offiziell gegründet wurde das Netzwerk wie berichtet im November 2014, vorausgegangen waren aber zehn Jahre, in denen sich die Beteiligten immer besser kennenlernten und das Vertrauen langsam wachsen konnte. Deuschl hofft, dass in den kommenden drei Jahren auch die Zusammenarbeit mit den übrigen zertifizierten Stroke Units im Land so intensiviert werden kann, dass das Netzwerk noch deutlich wachsen wird, wobei für den Präsidenten der Europäischen Neurologenvereinigung primär wichtig ist, dass Schlaganfallpatienten überhaupt in die zertifizierten Zentren gelangen. "Das Qualitätsdelta zwischen den nicht zertifizierten und den zertifizierten Einrichtungen ist viel größer als zwischen den zertifizierten und den Kliniken des Netzwerkes", sagt Deuschl. Die Ärzte in den Kliniken stünden vor der Herausforderung "zu erkennen, wo die eigenen Grenzen der Klinik erreicht sind" und wo andere den Patienten besser helfen könnten.

"Netze sind der nächste Schritt in der Entwicklung der Versorgung."

Wo sind die Grenzen der eigenen Klinik? Dies zu erkennen und zu akzeptieren, ist eine der wichtigsten Herausforderungen für die Beteiligten in der Schlaganfallversorgung. Die Kliniken im Netz erkennen diese Grenzen an.

Im Netzwerk, so die Einschätzung des Kieler Oberarztes und Leiters des koordinierenden Zentrums, PD Dr. Andreas Binder, haben die beteiligten Ärzte diese Herausforderung angenommen. Nicht nur diese: "Alle arbeiten nach den gleichen Regeln." Jeder Arzt im Netzwerk ist bereit, nach Leitlinien zu arbeiten und an Studien teilzunehmen. Derzeit arbeitet man an SPACE2, ARISE und RASUNOA mit, vier weitere Studien sind geplant. "Wir kommen als Netzwerk auf höhere Fallzahlen und können daher stärker zu Studien beitragen als Einzeleinrichtungen", sagt Binder.

Weitere Themenfelder, in denen das Netzwerk Fortschritte erreichen will, sind:

• Die Schnittstellen zwischen den Kliniken und dem Rehabereich sowie dem ambulanten Bereich sollen so gestaltet werden, dass weniger Brüche entstehen.

• Die Fortbildung der Teilnehmer soll mit gemeinsamen Veranstaltungen intensiviert werden.

• Die Kontakte zur Selbsthilfe sollen ausgebaut werden. Ein kürzlich von Betroffenen und Angehörigen gegründeter Schlaganfallring Schleswig-Holstein ist dabei ein wichtiger Ansprechpartner.

• Die Öffentlichkeitsarbeit soll zu einer besseren Prävention beitragen.

Die zahlreichen Bemühungen sollten aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in der Vergangenheit schon zahlreiche Fortschritte gegeben hat. Die fachübergreifende interdisziplinäre Versorgung hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Die Einrichtung von Stroke Units, bessere Diagnostik, innovative Medikamente und Öffentlichkeitsarbeit haben ihren Beitrag zu den Verbesserungen geleistet. Das heißt für Deuschl aber nicht, dass man sich auf den Erfolgen ausruhen sollte. Er verweist auf jährlich rund 265.000 Schlaganfallpatienten. "Schlaganfall ist eine Volkskrankheit mit schwerwiegenden Konsequenzen für die Betroffenen. Wir haben die Pflicht, die Behandlung so zu organisieren, dass die Patienten sicher sein können, die für ihr Krankheitsbild passende Behandlung und den dafür ausgebildeten Arzt zu bekommen."



ZUWEISUNGEN

Bei Verdacht auf einen Schlaganfall wählen Sie sofort die Telefonnummer 112. Der Rettungsdienst wird die schnellstmögliche medizinische Behandlung im nächstgelegenen geeigneten Krankenhaus veranlassen. Für notfallmäßige Vorstellungen von Fußgängerpatienten stehen die Notfallambulanzen der jeweiligen Kliniken rund um die Uhr zur Verfügung. Für eine telefonische Voranmeldung nehmen Sie bitte unter folgenden Telefonnummern Kontakt auf:

• Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Zentrale Notaufnahme, Telefon 0431 597 4820, Diensthabender Arzt Neurologie/Neurochirurgie über Telefon 0431 597 0

• Friedrich-Ebert-Krankenhaus Neumünster, Zentrale Notaufnahme, Telefon 04321 405 4754

• Helios Klinik Schleswig, Zentrale Notaufnahme, Telefon 04621 812 1731 (Akutaufnahme und Schlaganfall), Telefon 04621 812 0 (Zentrale)

• imland Klinik Rendsburg, Zentrale Notaufnahme, Telefon 04331 200 2305 (Notfallaufnahme nach Schlaganfall), Telefon 04331 200 0 (diensthabender Neurologe)


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 6/2015 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2015/201506/h15064a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Prof. Günther Deuschl aus der Kieler Uni-Neurologie will mit seinen Kollegen im Schlaganfall-Netzwerk erreichen, dass Patienten dort versorgt werden, wo ihnen am besten geholfen werden kann.

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
68. Jahrgang, Juni 2015, Seite 14 - 15
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juli 2015

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