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HERZ/1261: Kieler Herzchirurgen implantieren ein neues Kunstherzsystem (SHÄB)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 11, November 2021

Vorreiter für Kunstherz

von PM/RED


HERZCHIRURGIE. Implantation eines neuen Kunstherzsystems durch Kieler Herzchirurgen. Das UKSH hat das System als erstes Haus in Deutschland implantiert.


Im Gegensatz zu den etablierten und in der Vergangenheit implantierten Systemen, welche im überwiegenden Fall linksventrikulär eingesetzt werden und als sogenanntes LVAD (Left Ventricular Assist Device) ein permanentes Linksherzunterstützungssystem darstellen, ist das jüngst in Kiel implantierte Device ein echtes Kunstherzsystem oder TAH, Total Artificial Heart. Die beiden Systeme unterscheiden sich grundsätzlich voneinander: Beim LVAD verbleibt das Patientenherz insitu und eine Pumpe unterstützt den linken Ventrikel, wohingegen beim TAH beide Herzkammern vollständig reseziert und durch das Kunstherzsystem ersetzt werden. Somit können auch Patienten mit terminalem biventrikulärem Pumpversagen versorgt werden.

"Das System stellt eine entscheidende Weiterentwicklung in der Therapie der dauerhaften Herzunterstützungssysteme dar, da es uns erlaubt, die damit versorgten PatientInnen im Regelfall mit guter Lebensqualität nach Hause zu entlassen", sagt Prof. Assad Haneya, stellvertretender Direktor der Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie. "Die technischen Weiterentwicklungen der letzten Jahre, die sich in dem System widerspiegeln, erlaubten eine weitere Miniaturisierung und Optimierung, sodass gezeigt werden konnte, dass eine Entlassung nach Hause bei dem neuen System mehrheitlich gelingt und explizit angestrebt werden kann", sagte Haneya.

Der Patient litt an einer terminalen biventrikulären, rechts-führenden Herzinsuffizienz, weshalb er Monate zuvor bereits im niederländischen Leiden für eine Herztransplantation gelistet wurde. In den vergangenen Wochen kam es aber zu einer Verschlechterung seines Zustandes, der trotz eingeleiteter intensivmedizinischer Maßnahmen nicht stabilisiert werden konnte. Bei eingesetztem Sekundärorganversagen entschied das Heart Team gemeinsam mit dem Patienten, die Implantation als Ultima Ratio-Operation durchzuführen.

Die neunstündige Operation des bereits am Herzen voroperierten Patienten verlief erfolgreich und der Patient befindet sich auf dem Weg der Besserung. "Dass diese völlig neuartige Operation so gut gelang, lag insbesondere auch an der hervorragenden interdisziplinären und interprofessionellen Zusammenarbeit der Experten aus den verschiedenen beteiligten Fachbereichen", sagte Haneya. PD Dr. Gunnar Elke, Oberarzt der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, der die Operation anästhesiologisch begleitete, ergänzte: "Neben den bekannten anästhesiologischen Besonderheiten, die bei komplexen Herzoperationen beachtet werden müssen, waren vor allem die andersartigen Regulationsmechanismen der Hämodynamik eine neue Herausforderung."

"Unmittelbar nach Aktivierung des Systems kam es bereits zum Operationsende zu einer deutlichen Kreislaufstabilisierung bei unserem Patienten, und die kreislaufwirksame Medikation konnte binnen weniger Stunden signifikant reduziert werden. Das Kunstherz läuft stabil und unterstützt den Patienten zu hundert Prozent. Die Funktionsweise des TAH basiert auf Membranpumpen mit hervorragenden hämokompatiblen Eigenschaften, da ausschließlich biologisches Gewebe in Blutkontakt kommt", sagte Dr. Bernd Panholzer, Leiter der herzchirurgischen Intensivstation des UKSH in Kiel. "Es kann analog zum nativen Herzen - und im Unterschied zum LVAD - ein pulsatiler Fluss erzeugt werden, und das System passt sich den Bedürfnissen des Patienten durch einen Autoregulationsmechanismus an. Wir können sogar auf die Gabe hochdosierter Blutverdünnung verzichten und sind überzeugt, auch weiteren PatientInnen zu besserer Lebensqualität verhelfen zu können", so Panholzer.

Die Herzinsuffizienz zählt zu den Volkskrankheiten und ist eine der häufigsten Todesursachen der westlichen Welt. Je nach Ursache stehen unterschiedliche Behandlungsmöglichkeiten sowohl der Grunderkrankung als auch der Herzinsuffizienz in Ihrer Ausprägung zur Verfügung. "In der Regel gelingt es, Patienten mit Medikamenten oder interventionellen Verfahren, wie der Versorgung mit implantierbaren Herzschrittmachern oder Defibrillatoren, von Ihren Symptomen zu befreien oder diese zu lindern. In schweren Fällen können wir durch die Implantation von Herzunterstützungssystemen als letzte Behandlungsoption neben der Herztransplantation die Prognose der Patienten entscheidend verbessern. Da LVAD primär der Unterstützung der linken Herzkammer dienen, profitieren Patienten mit rechts- oder biventrikulärem Herzversagen oft nicht von diesen Systemen", sagte Dr. Alexander Reinecke, Leiter der Ambulanz für Terminale Herzinsuffizienz am UKSH in Kiel.

Der Patient ist nach Implantation des Kunstherzens weiterhin ein Kandidat für eine Herztransplantation, welche unverändert die angestrebte Behandlungsoption darstellt und in den nächsten Monaten oder Jahren erfolgen soll. Mithilfe des Kunstherzens als überbrückende Langzeitlösung im Rahmen der terminalen biventrikulären Herzinsuffizienz konnte man dem Patienten nun wieder Zeit verschaffen, bis das geeignete Spenderherz zur Verfügung steht.

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 11, November 2021
74. Jahrgang, Seite 33
Herausgeber: Ärztekammer Schleswig-Holstein
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
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Internet: www.aeksh.de
 
Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 7. Dezember 2021

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