Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → KRANKHEIT

FORSCHUNG/477: Hoffnung für Übergewichtige (idw)


Helmholtz Zentrum München / Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt - 31.07.2014

Hoffnung für Übergewichtige



Neuherberg, 31.7.2014. Es gibt verschiedene Arten von Fettgewebe, die im Stoffwechsel unterschiedliche Aufgaben erfüllen: weißes, beiges und braunes. Forschern am Helmholtz Zentrum München und der Harvard Medical School ist es nun erstmals gelungen, spezifische Oberflächenproteine zu identifizieren, mit deren Hilfe man die drei Arten unterscheiden kann. Dadurch lassen sich neue Behandlungsmöglichkeiten für Adipositas* entwickeln. Die Arbeiten wurden im Fachjournal 'Science Translational Medicine' veröffentlicht.

Fett ist nicht gleich Fett. So unterscheidet man zwischen weißem, braunem und beigem Fettgewebe. Jedes dieser Gewebe hat unterschiedliche Funktionen und spielt eine jeweils eigene Rolle im Stoffwechsel. Im menschlichen Körper stellt das weiße Fettgewebe den mit Abstand größten Anteil dar, es dient in erster Linie als Energiedepot. Die braunen Fettzellen hingegen erzeugen direkt Wärme aus dem gespeicherten Fett. Sie sind im erwachsenen menschlichen Körper nur an wenigen Stellen zu finden, kommen jedoch bei Säuglingen vor, und auch bei Nagetieren. Zusätzlich kennt man noch beige Fettzellen, welche eine besondere Art brauner Fettzellen darstellen. Sie entstehen innerhalb des weißen Fettgewebes vor allem bei Kälteeinfluss.

Einem Forscherteam um Dr. Siegfried Ussar vom Institut für Diabetes und Adipositas (IDO) am Helmholtz Zentrum München, Partner im Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD), und Professor C. Ronald Kahn vom Joslin Diabetes Center und der Harvard Medical School ist es nun gelungen, die unterschiedlichen Fettzellen anhand ihrer Oberflächenproteine ganz spezifisch zu unterscheiden. Dies eröffnet Hoffnung auf eine neue Behandlungsmethode für Fettleibige und Diabetiker.

Weißes Fettgewebe begünstigt Diabetes

Da das weiße Fettgewebe die Entstehung von Typ-2-Diabetes begünstigt und deshalb immer mehr Menschen unter Zuckerkrankheit leiden, sucht die moderne Medizin nach Wegen, das braune Fettgewebe dazu einzusetzen, Fett zu verbrennen. "Durch seine Funktion als Wärmekraftwerk des Körpers besitzt das braune Fettgewebe die Funktion, große Mengen an Energie, welche ansonsten im weißen Fettgewebe gespeichert werden, zu verbrennen", sagt Erstautor Ussar. Aus diesem Grund stellt die Aktivierung des braunen Fettgewebes durch Medikamente einen attraktiven Ansatz zur Behandlung von Adipositas und der daraus resultierenden Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes dar.

Die Menge an braunem Fettgewebe ist individuell sehr verschieden. Bisher konnte man seinen Anteil allerdings nicht zuverlässig erfassen. Alle gängigen Verfahren beruhen auf der Messung der Aktivität dieses Gewebes; diese ist jedoch stark von äußeren Bedingungen abhängig, etwa von der Temperatur oder der Ernährung. Die neu entdeckten Oberflächenproteine bieten nun eine völlig andere Möglichkeit. Außerdem erlauben sie es, Wirkstoffe gezielt in das braune Fettgewebe zu bringen, indem man sie an diese Proteine ankoppeln lässt.

Hoffnung für Dickleibige

Die Aktivierung des braunen Fettgewebes ist aktuell eine der größten Hoffnungsträger in der Bekämpfung der Adipositas*. Sie ermöglicht es, Übergewicht zu verringern, ohne zwingend die Kalorienzufuhr zu reduzieren. Aus diesem Grund beschreiben unzählige Publikationen aus der Grundlagenforschung neue potenzielle Mechanismen zur Aktivierung oder Vermehrung des menschlichen braunen Fettgewebes. "Die Übertragung dieser Forschungsergebnisse in die Praxis scheitert jedoch häufig daran, dass die identifizierten Mechanismen auch wichtige Funktionen in anderen Organen haben und es so zu unkalkulierbaren Nebenwirkungen kommen kann", erläutert Ussar. "Unsere Forschungsarbeiten zeigen jedoch einen Ausweg aus diesem Dilemma, da die von uns entdeckten Oberflächenmarker sehr spezifisch für die einzelnen Fettarten und unabhängig von der metabolischen Aktivität sind."

Die Wissenschaftler hoffen, durch die Weiterentwicklung ihrer Forschungsergebnisse Wirkstoffe gezielt zum braunen Fettgewebe bringen und so eventuelle Nebenwirkungen stark reduzieren zu können. "Wir sind bereits dabei, zum Teil in der eigenen Gruppe und in Kollaboration mit anderen Gruppen am Helmholtz Zentrum München, spezifische Moleküle herzustellen, die diese Oberflächenproteine erkennen, um diese anschließend auf ihre Wirksamkeit zu untersuchen", so Ussar. "Unser Ziel ist es, im nächsten Schritt gemeinsam mit Partnern aus der Industrie diese Moleküle für die Benutzung im Menschen weiterzuentwickeln."


Original-Publikation:
Ussar, S. et al. (2014). ASC-1, PAT2, and P2RX5 are cell surface markers for white, beige, and brown adipo-cytes, Science Translational Medicine, doi: 30 July 2014, Vol. 6, Issue 247, p. 247ra103, DOI: 10.1126/scitranslmed.3008490

Link zur Fachpublikation:
http://stm.sciencemag.org/content/6/247/247ra103.short?rss=1


Das Helmholtz Zentrum Münchenverfolgt als Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt das Ziel, personalisierte Medizin für die Diagnose, Therapie und Prävention weit verbreiteter Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus und Lungenerkrankungen zu entwickeln. Dafür untersucht es das Zusammenwirken von Genetik, Umweltfaktoren und Lebensstil. Der Hauptsitz des Zentrums liegt in Neuherberg im Norden Münchens. Das Helmholtz Zentrum München beschäftigt rund 2.200 Mitarbeiter und ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, der 18 naturwissenschaftlich-technische und medizinisch-biologische Forschungszentren mit rund 34.000 Beschäftigten angehören. Das Helmholtz Zentrum München ist Partner im Deutschen Zentrum für Diabetesforschung e.V.
http://www.helmholtz-muenchen.de/

Das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung e.V. bündelt Experten auf dem Gebiet der Diabetesforschung und verzahnt Grundlagenforschung, Epidemiologie und klinische Anwendung. Mitglieder des Verbunds sind das Deutsche Diabetes-Zentrum DDZ in Düsseldorf, das Deutsche Institut für Ernährungsforschung DIfE in Potsdam-Rehbrücke, das Helmholtz Zentrum München - Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, die Paul Langerhans Institute des Carl Gustav Carus Universitätsklinikums Dresden und der Eberhard-Karls-Universität Tübingen sowie die Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz e.V. und die Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren. Ziel des DZD ist es, über einen neuartigen, integrativen Forschungsansatz Antworten auf offene Fragen in der Diabetesforschung zu finden und einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung von Prävention, Diagnose und Therapie des Diabetes mellitus zu leisten.
http://www.diabetesforschung.com/index.html

Das Institut für Diabetes und Adipositas (IDO) erforscht die Erkrankungsmechanismen des Metabolischen Syndroms mit systembiologischen und translationalen Ansätzen. Mittels zellulärer Systeme, genetisch modifizierter Mausmodelle und klinischer Interventionsstudien sollen neue Signalwege und Zielstrukturen entdeckt werden. Ziel ist die interdisziplinäre Entwicklung innovativer Therapieansätze zur personalisierten Prävention und Behandlung von Adipositas, Diabetes und deren Begleiterkrankungen. Das IDO ist Teil des Helmholtz Diabetes Center (HDC).
http://www.helmholtz-muenchen.de/ido/index.html

Fachlicher Ansprechpartner
Dr. Siegfried Ussar, Helmholtz Zentrum München
Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt (GmbH)
Institut für Diabetes und Adipositas
Ingolstädter Landstr. 1, 85764 Neuherberg
E-mail: siegfried.ussar@helmholtz-muenchen.de

* Adipositas: Hierbei handelt es sich um Fettleibigkeit, eine Ernährungs- und Stoffwechselkrankheit mit starkem Übergewicht, die durch eine über das normale Maß hinausgehende Vermehrung des Körperfettes mit krankhaften Auswirkungen gekennzeichnet ist. Sie wird in der Regel durch Überernährung und Bewegungsmangel verursacht und durch genetische Faktoren begünstigt. Adipositas-Patienten leiden auch vermehrt unter Typ-2-Diabetes.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution44

*

Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Helmholtz Zentrum München - Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt
Susanne Eichacker, 31.07.2014
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. August 2014