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DEMENZ/382: Interview - Ich bin in letzter Zeit so albern geworden (Alzheimer Info)


Alzheimer Info, Ausgabe 1/18
Nachrichten der Deutschen Alzheimer Gesellschaft Selbsthilfe Demenz

Interview
"Ich bin in letzter Zeit so albern geworden"


Nathalie Fink* ist 53 Jahre alt und hat vor rund 18 Monaten die Diagnose FTD erhalten. Seit einem Jahr besucht sie die "Erinnerungswerkstatt" der Alzheimer Gesellschaft Hamburg.

Alzheimer Info: Sie sind an einer Frontotemporalen Demenz erkrankt. Erinnern Sie noch, welche Veränderungen Sie am Anfang bei sich bemerkt haben?

Nathalie Fink: Ich habe auf einmal ganz verrückte und gefährliche Sachen gemacht. Ich war damals als Haushaltshilfe beschäftigt. Es gab dann öfter Sachen, die ich nicht richtig gemacht habe oder Aufgaben, die ich nicht zu Ende geführt habe.

Einmal habe ich bei einem älteren Ehepaar gebügelt. Beide waren pflegebedürftig, konnten sich auch in der Wohnung nicht mehr gut bewegen. Am nächsten Tag hat meine Kollegin bemerkt, dass ich das Bügeleisen gar nicht ausgestellt hatte. Zum Glück ist nichts passiert.

Die Probleme häuften sich, ich habe zum Beispiel die Wäsche nicht wiedergefunden. Meine Vorgesetzte hat mich dann irgendwann zu sich gerufen und gesagt, es wären zu viele Fehler passiert, ich solle zum Arzt gehen. Ich wusste, sie hat Recht.

Ich habe auch zu Hause ständig irgendwas gesucht, nichts mehr wiedergefunden. Mein Sohn hatte mir Geld gegeben, das ich aufbewahren sollte. Ich habe es gut weggelegt, aber ich wusste schon fünf Minuten später nicht mehr, wo ich es hingetan habe. Oder ich verlege die Geschenke von meinen Kindern. Das sind selbstgemachte Sachen, die ich besonders gut aufheben will. Aber ich weiß nicht mehr, wo ich sie hingetan habe. Ich werde dann ganz panisch, aber wiederfinden kann ich es nicht.

Auch kann ich mir nicht mehr gut merken, was mir meine Kinder erzählen. Ich weiß, das sind wichtige Sachen, aber es ist dann doch irgendwie leider weg. Termine muss ich mir alle aufschreiben, sonst geht gar nichts. Ich vergesse sogar zu trinken. Dafür habe ich jetzt eine Trink-App auf meinem Handy, die mich regelmäßig an das Trinken erinnert.

Ich habe auch bemerkt, dass ich nicht mehr so gut sprechen kann, mir fehlen Worte oder die richtigen Begriffe. Wenn ich unter Druck stehe, ist es besonders schlimm. Dann stottere ich und kann den Satz nicht beenden.

Meine Kinder sagen, ich bin in letzter Zeit so albern geworden, ich bin wohl richtig aufgedreht. Ich selbst merke das gar nicht. Ich denke, wir machen Spaß, aber ich kann wohl die Grenzen nicht mehr sehen. Ich kann nicht an den Gesichtern der Kinder erkennen, ob sie etwas noch gut finden oder schon genervt sind. Die müssen dann ganz deutlich zu mir sagen: "Mama, Schluss jetzt. Das ist nicht lustig. Hör auf." Ich brauche so deutliche Ansagen, sonst merke ich das nicht.

Mein Umfeld sagt, manchmal mache oder sage ich Sachen, die man nicht machen sollte. Ich weiß es nicht, aber ich glaube, sie haben Recht.

Ich habe mich dann immer mehr überfordert gefühlt: Rechnungen bezahlen, der ganze Papierkram ... Ich bin auf einmal nicht mehr durchgestiegen und hatte auch Angst, ob ich mich noch um meine Kinder kümmern kann. Die sind zwar alle schon erwachsen, aber auch mit 20 oder 25 braucht man ja seine Mutter. Ich war zu der Zeit sehr mutlos und verzweifelt und wusste nicht, wie es weiter gehen sollte.

Welche Hilfen bekommen Sie jetzt? Und wie geht es Ihnen zurzeit?

Also, inzwischen geht es mir wieder richtig gut. Zweimal die Woche kommt jemand zu mir und hilft mir im Alltag. Ich muss mich um vieles nicht mehr kümmern, zum Beispiel Rechnungen bezahlen. Ich habe jemanden, der mich zum Arzt begleitet, der wichtige Termine für mich macht. Und wenn mich etwas belastet, kann ich anrufen.

Ich arbeite auch wieder ehrenamtlich, ich helfe bei der "Tafel" mit, das ist eine schöne Aufgabe, ich komme unter Leute. Außerdem besuche ich seit einiger Zeit die "Erinnerungsgruppe" bei der Alzheimer-Gesellschaft. Die Gruppe hat mir sehr geholfen. Am Anfang wusste ich gar nicht, wie das mit der Vergesslichkeit weitergeht. In der Gruppe haben wir darüber gesprochen, die anderen haben ja ähnliche Probleme. Ich freue mich auch, wenn wir über alte Zeiten sprechen, dass ich dann doch nicht alles vergessen habe, dass vieles wieder im Kopf ist.

Aus der Gruppe hat einer mal gesagt: "Man muss die Demenz nicht akzeptieren, man kann versuchen, an sich zu arbeiten. Aber dennoch muss man die Schwierigkeiten annehmen und versuchen, so gut es geht damit zu leben." Und das versuche ich. Ich bin nicht nur auf Hilfe angewiesen, sondern ich kann auch noch vieles und meine Selbständigkeit ist nicht ganz verloren.

Vielen Dank für das Gespräch!


Das Interview führte Maren Niebuhr-Rose, Alzheimer Gesellschaft Hamburg e.V.

(*) Name von der Redaktion geändert.

*

Quelle:
Alzheimer Info, Ausgabe 1/18, S. 6 - 7
Nachrichten der Deutschen Alzheimer Gesellschaft Selbsthilfe Demenz
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Das Alzheimer Info erscheint vierteljährlich.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. September 2018

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