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DEMENZ/220: Demenz-WGs - "Kontrolle von außen gibt es nicht" (Alzheimer Info)


Alzheimer Info, Ausgabe 3/15
Nachrichten der Deutschen Alzheimer Gesellschaft Selbsthilfe Demenz

Ambulant betreute Wohngemeinschaften für Menschen mit Demenz in Berlin: "Kontrolle von außen gibt es nicht"

Gespräch von Hans-Jürgen Freter mit Klaus Pawletko


Berlin ist auch die Hauptstadt der ambulant betreuten Wohngemeinschaften. Wie war die Entwicklung, wie ist es um die Qualität bestellt? Dies erläutert Klaus Pawletko, der Geschäftsführer des Vereins "Freunde alter Menschen", der 1996 die bundesweit erste ambulant betreute WG gegründet hat.


Frage: Berlin ist die Stadt mit den meisten ambulant betreuten Wohngemeinschaften in Deutschland. Wie ist es dazu gekommen?

Klaus Pawletko: Derzeit gibt es knapp 600 ambulant betreute WGs in Berlin, allerdings nicht nur für Menschen mit Demenz. Eine so große Zahl war auch deshalb möglich, weil wir hier lange Zeit einen recht entspannten Wohnungsmarkt hatten. Es gab genug große und bezahlbare Wohnungen. Seit einigen Jahren wird es allerdings auch in Berlin enger auf dem Wohnungsmarkt.

Frage: Wie ist die aktuelle Situation?

Klaus Pawletko: WGs sind keine Selbstläufer mehr. Es gibt einen Überhang an Plätzen, und wenn jemand stirbt, ist es oft schwierig Nachmieter zu finden. Leerstände können eine WG in finanzielle Schwierigkeiten bringen, denn der Vermieter will schließlich die Miete für die gesamte Wohnung kassieren. Die Tendenz ist, dass große ambulante Pflegedienste viele WGs betreuen. Wenn dann etwas in einer WG frei ist, empfehlen sie ihren Klienten in eine von ihnen betreute WG zu ziehen.

Frage: Wie ist es mit der Beteiligung der Angehörigen?

Klaus Pawletko: In vielen WGs haben die Mieter keine Angehörigen, die sich um sie kümmern können. Dann sind rechtliche Betreuer zuständig, die allerdings nicht die Zeit haben, um sich intensiv zu kümmern. Dabei ist es so, dass rechtlichen Betreuern von WG-Bewohnern sogar 1,5 Stunden mehr bezahlt werden als bei Heimbewohnern. Doch oft gibt es eine unheilige Allianz: Die Pflegedienste signalisieren dem Betreuer, dass er sich gar nicht einmischen muss, und der spart sich Zeit.

Frage: Wie sind die Preise und stimmen die Leistungen?

Klaus Pawletko: In Berlin gilt bei Pflegestufe 2 und "erheblichem allgemeinen Betreuungsbedarf" eine Tagespauschale von 102,41 EUR bzw. gut 3.000 EUR im Monat (hinzu kommen Kosten für Miete, Nebenkosten und Haushaltsgeld). Doch leider ist nicht definiert, was der ambulante Dienst dafür leisten muss. Es gibt keine Qualitätskriterien und keinen Personalschlüssel. In vielen WGs kommt examiniertes Personal nur kurz rein, um die medizinische Behandlungspflege zu übernehmen. Ansonsten ist oft nur eine Hilfskraft da, die Betreuung, Kochen und Putzen übernehmen muss und oft entsprechend überlastet ist.

Frage: Welche Prüfungen machen die Heimaufsicht und der Medizinische Dienst der Krankenversicherung?

Klaus Pawletko: Die Heimaufsicht kann nur prüfen, ob Mietverträge und Pflegeverträge getrennt sind. Wenn das der Fall ist, ist sie nicht zuständig. Der MDK macht lediglich Stichprobenprüfungen. Dabei wird nur geprüft, ob die Dokumentation stimmig ist und die Bewohner in einem guten pflegerischen Zustand sind, nicht aber ob es eine Tagesstrukturierung oder Beschäftigungsmöglichkeiten gibt usw. Doch auch die Mitarbeiter des MDK sind völlig überlastet.

Frage: Es gibt also keine wirksamen Kontrollen?

Klaus Pawletko: Auf Kontrolle von außen können wir nicht setzen. Das große Manko ist, dass es oft keine Kontrolle von innen gibt, also durch Angehörige oder rechtliche Betreuer.

Frage: Was kann getan werden, um die Situation zu verbessern?

Klaus Pawletko: Es sollte klar definiert werden, was von einem ambulanten Dienst an Pflege und Betreuung erwartet werden kann, wie viele Mitarbeiterinnen mit welcher Qualifikation anwesend sein müssen usw. Ferner sollten Pflegedienste, die an der Gründung einer WG beteiligt sind, eine verpflichtende Beratung in Anspruch nehmen müssen. Dann würde ich mir auch spezielle Beratungsstellen wünschen, die Angehörige und Betroffene kompetent beraten können.

Frage: Sie haben viele kritische Punkte genannt. Ist das Modell der WGs in Berlin gescheitert? Wie würden Sie die Entwicklung zusammenfassen?

Klaus Pawletko: Insgesamt ist die große Zahl an WGs erfreulich. Es gibt viele, in denen es gut läuft und in denen die Leute sich wohl fühlen. Es ist begrüßenswert, dass eine Wahlmöglichkeit zwischen Heim und WG besteht. Allerdings gibt es auch WGs, wo es wo es Pflegediensten vor allem um einen möglichst hohen Profit geht.

Frage: Was raten Sie Angehörigen, die sich für eine WG für Menschen mit Demenz interessieren?

Klaus Pawletko: Ambulant betreute WGs sind ein geeignetes Modell für alle, die sich für ein individuelles Leben in einer kleinen Gemeinschaft interessieren. Doch man sollte sich vorher z. B. bei einem Pflegestützpunkt oder einer anderen Beratungsstelle genau informieren und sich die in Frage kommenden WGs genau ansehen, mit anderen Angehörigen, Bewohnern und Mitarbeiterinnen des ambulanten Dienstes sprechen und die Pflege- und Mietverträge genau unter die Lupe nehmen.Wer selbst eine WG gründen möchte, sollte sich unbedingt gründlich beraten lassen, denn es gilt einige rechtliche und finanzielle Fragen zu beachten.

Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch!

Die Fragen stellte Hans-Jürgen Freter, DAlzG

Infos:
www.famev.de
www.wg-qualitaet.de
www.berlin.de/sen/soziales/themen/pflege-und-rehabilitation/wohngemeinschaften/

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Quelle:
Alzheimer Info, Ausgabe 3/15, S. 10 - 11
Nachrichten der Deutschen Alzheimer Gesellschaft Selbsthilfe Demenz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Oktober 2015

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