Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → GESUNDHEITSWESEN

RECHT/433: Patientenverfügung - Die aktuelle Rechtslage (IPPNWforum)


IPPNWforum | 117|18 | 09
Mitteilungen der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

Patientenverfügung - Die aktuelle Rechtslage

Von Ivonne Johann


Im Jahr 2003 führte die Klage eines Betreuers zu einem langen Weg durch die Instanzen der Rechtsprechung. Bei seinem Vater, der infolge eines Herzinfarktes an einem hypoxischen Hirnschaden (Hirnschädigung infolge schwersten Sauerstoffmangels im Gehirn) im Sinne eines Apallischen Syndroms litt, war die zuvor begonnene Ernährung über eine PEG-Sonde nicht eingestellt worden. Er hatte jedoch vorher in schriftlicher Form festgelegt, dass er für den Fall der Einwilligungsunfähigkeit und "irreversiblen Bewusstlosigkeit" sowie "schwerster Dauerschäden seines Gehirns" die Einstellung der künstlichen Ernährung wünscht.


Die erste Instanz, das Vormundschaftsgericht, lehnte den Antrag ab, mit dem Verweis, keine Rechtsgrundlage für eine Entscheidung zu haben. Das Oberlandesgericht Schleswig verneinte eine Genehmigungspflicht durch das Vormundschaftsgericht. Der Bundesgerichtshof schließlich entschied, dass für die Einstellung der Ernährung über eine PEG-Sonde bei einem nicht mehr einwilligungsfähigen Patienten zunächst das Vormundschaftsgericht eingeschaltet werden muss.

Damit schränkt der Bundesgerichtshof die Gültigkeit der Patientenverfügung ein. Allerdings weist der BGH auch darauf hin, dass eine Einwilligung des Vormundschaftsgerichts nicht notwendig ist, wenn ärztlicherseits eine solche Behandlung nicht notwendig oder medizinisch nicht indiziert ist. So soll nach Auffassung des BGH ein Vormundschaftsgericht vor allem in Konfliktsituationen eingeschaltet werden.

Die Entscheidungszuständigkeit der Vormundschaftsgerichte entsteht laut BGH aus der Gesamtschau des Betreuungsrechts, insbesondere des § 1904 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). In diesem Paragraf ist nicht auf die Betreuungssituation von Patienten mit einer Patientenverfügung hingewiesen. Eine Gesetzgebung mit genauer Definition von Verbindlichkeit und Reichweite der Patientenverfügung und eine Änderung des Betreuungsgesetzes ist nach wie vor dringend notwendig. Im Jahr 2004 hat Bundesjustizministerin Zypries ihren Gesetzentwurf zur Patientenverfügung nach heftiger Kritik zurückgezogen. Aktuell gibt es im Bundestag drei fraktionsübergreifende Gesetzentwürfe:


Der Stünker-Entwurf:

Der Entwurf des SPD-Abgeordneten Stünker ist bislang der einzige Entwurf, der offiziell in den Bundestag eingebracht und debattiert wurde. Ihm liegt zu Grunde, dass das Selbstbestimmungsrecht des Patienten absoluten Vorrang vor dem Lebensschutz hat und eine strikte Beachtung der Verfügung gefordert wird. Der Entwurf enthält keine Reichweitenbegrenzung. Das bedeutet, dass ein Patiententestament auch dann Gültigkeit besitzt, wenn es sich nicht um eine unheilbare und tödlich verlaufende Krankheit handelt. Forderungen des Patienten, die den Arzt zu strafrechtlichen Handlungen zwingen, wie zum Beispiel Tötung auf Verlangen, sind unwirksam. Die Patientenverfügung muss schriftlich verfasst sein, aber nicht in regelmäßigen Abständen bestätigt werden. Der Betreuer hat zu prüfen, ob die in der Patientenverfügung beschriebene Situation den aktuellen Umständen entspricht und dem Willen des Betreuten Ausdruck verleiht. Das Vormundschaftsgericht soll nur noch in Konfliktfällen zwischen Behandlungsteam und Betreuer angerufen werden. Besteht Einigkeit über Erteilung, Nichterteilung oder Widerruf, muss das Gericht nicht eingeschaltet werden. Eine Zulässigkeit ärztlicher Maßnahmen trotz Ablehnung des Patienten besteht nicht. Der Patientenwille muss beachtet werden, unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung.


Bosbach-Entwurf:

Der Entwurf des CDU-Abgeordneten Bosbach orientiert sich vor allem am Lebensschutz. Das bedeutet, dass die Reichweite der Patientenverfügung auf unheilbare und tödlich verlaufende Erkrankungen begrenzt ist. Keine Reichweitenbegrenzung soll nur für Verfügungen gelten, die nach umfassender ärztlicher und rechtlicher Aufklärung verfasst worden sind, notariell beglaubigt und nicht älter als fünf Jahre sind. Aktive Sterbehilfe bleibt verboten.

Die Patientenverfügung muss schriftlich formuliert sein und in Abständen von fünf Jahren neu bekräftigt werden. Der Betreuer hat die Aufgabe, den festgelegten Willen des Betreuten über Einwilligung oder Nichteinwilligung in ärztliche Maßnahmen Geltung zu verschaffen. Die Genehmigung eines Vormundschaftsgerichts für Nichteinwilligung oder Widerruf der Einwilligung in eine lebenserhaltene Maßnahme ist in der Regel notwendig. Sie ist nur dann nicht notwendig, wenn eine unheilbare und tödlich verlaufende Krankheit vorliegt.


Zöller-Entwurf:

Die Gesetzesvorlage des CSU-Abgeordneten Zöller will für Einzelfallbetrachtung Raum lassen und lehnt schematische Lösungen ab. Wie beim Stünker-Entwurf ist hier die Verbindlichkeit des Patiententestaments nicht durch Art und Stadium der Erkrankung begrenzt. Die Tötung auf Verlangen wird abgelehnt. Der Betreuer hat den Willen des Betreuten bei dessen Willensunfähigkeit zur Geltung zu bringen. Die Einschaltung des Vormundschaftsgerichts ist nur notwendig, wenn Betreuer und Behandlungsteam keine Einigung erzielen. Die Patientenverfügung soll schriftlich verfasst sein und in regelmäßigen Abständen bestätigt werden.

Der Stünker-Entwurf wird derzeit von rund 200 Abgeordneten unterstützt. Auch Gita Neumann von der Bundeszentralstelle für Patientenverfügung sprach sich für diesen Entwurf aus: Der Wille des Patienten und sein Recht auf Selbstbestimmung werden anerkannt. Er darf durch seinen Betreuer eine Behandlung abbrechen oder ablehnen, auch wenn er selbst nicht mehr äußerungsfähig ist, denn es gibt ein Recht auf Leben, aber keine Lebenspflicht.

Im Gegensatz dazu steht der Entwurf von Bossbach, der mit der Reichweitenbegrenzung den Geltungsbereich des Patientenwillens einschränkt und somit auch die Selbstbestimmung des Bürgers. In manchen Fällen kann es dadurch zu Zwangsbehandlung von Patienten kommen, zum Beispiel die Fortführung einer künstlichen Ernährung trotz Ablehnung durch den Patienten. Auf welche Art der gesetzlichen Regelung sich die Abgeordneten einigen, bleibt abzuwarten. Immer wahrscheinlicher ist ein Verschieben auf die nächste Legislaturperiode. Jeder sollte sich eingehend mit diesem Thema beschäftigen und sich gegebenenfalls medizinische und juristische Beratung holen. Angebote von Ärzten und Vereinigungen sollten dazu weiter ausgebaut werden. Jede Patientenverfügung sollte individuell verfasst und auf den jeweiligen Wille des Patienten ausgelegt sein.

Anfang 2009 traf sich der AK Medizin und Gewissen, um sich eingehend mit dem Thema Patientenverfügung, insbesondere der aktuellen Rechtslage, zu befassen. Das nächste Treffen findet am 18./19. September zum Thema "Medizin und Medien" in Köln statt. Interessenten können sich bei Ivonne Johann (ivonne.johann(at)web.de) melden. Der Arbeitskreis verfügt über einen festen Stamm von Teilnehmern, die Treffen sind kleine Fortbildungsveranstaltungen innerhalb der IPPNW zu Themen der Medizinethik geworden. Seit 2009 werden für die Veranstaltungen auch Fortbildungspunkte beantragt.

Ivonne Johann
AK Medizin und Gewissen


Anmerkung der Redaktion: Am 18.6.09 hat sich der Bundestag für den Stünker-Entwurf entschieden.


*


Quelle:
IPPNWforum | 117|18 | 09, S. 32-33
Herausgeber:
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland
Anschrift der Redaktion:
IPPNWforum
Körtestr. 10, 10967 Berlin
Tel. 030/69 80 74-0, Fax: 030/69 38 166
E-Mail: ippnw@ippnw.de
Internet: www.ippnw.de

IPPNWforum erscheint jeden zweiten Monat.
Preis 3,50 Euro je Exemplar. Der Bezugspreis für
Mitglieder ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. November 2009