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FINANZEN/525: Sozioökonomische Folgen von Kopfschmerzen (idw)


Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft - 24.06.2011

Medikamentenkosten, Arbeitsausfall, Mehrfacherkrankungen - Sozioökonomische Folgen von Kopfschmerzen


Kopfschmerzen verursachen enorme Kosten. Dabei müssen sowohl die direkten Kosten (für Behandlung und Vorbeugung von Kopfschmerzen) als auch die indirekten Kosten (durch Arbeits- und Produktivitätsausfall) berücksichtigt werden. Weiterhin entstehen tertiäre Kosten, also Folgekosten einer falschen Kopfschmerztherapie oder einer Invalidität. Die Angaben im folgenden beziehen sich jeweils auf Kosten etc., die innerhalb eines Jahres entstehen.

Wohl kaum ein anderes Volksleiden als Kopfschmerzen weist eine solche Diskrepanz zwischen niedrigen direkten, hohen indirekten und tertiären Kosten auf. Für Deutschland liegen keine exakten Berechnungen über die volkswirtschaftlichen Kosten durch Kopfschmerzen und Migräne vor. Es gibt jedoch eine Modellrechnung aus dem Jahr 2004 (Institut für Gesundheitsökonomie der LMU München), bei der die direkten und indirekten Kosten durch Migräne ermittelt worden sind. Eine Übersicht über diese Zahlen gibt die Tabelle am Ende. Am einfachsten zu ermitteln sind die Kosten der ärztlich zu Lasten der Krankenkassen verschriebenen Migränemedikamente. Sie werden auf circa 70 Millionen Euro geschätzt. Sehr viel ungenauer sind die Kosten zu ermitteln, die durch die Selbstmedikation der Betroffenen entstehen. Hier wird - in Abhängigkeit von einer Prävalenzrate der Migräne zwischen vier und 16 Prozent - geschätzt, dass zwischen 100 und 500 Millionen Euro an Kosten entstehen.

Berücksichtigt man, dass die frei verkäuflichen Schmerzmittel in der Einzeldosis wesentlich billiger sind als die rezeptpflichtigen, so kann man schließen, dass über zehnmal so viel Medikamentendosen von den Betroffenen selbst gekauft als rezeptiert werden.

Im stationären Bereich verursacht die ärztliche Behandlung der Migräne Kosten in Höhe von circa 30 Millionen Euro. Diese Zahl beinhaltet die Krankenhausaufenthalte, die primär wegen Migräne entstehen; diese Kosten lassen sich aufgrund der ICD-Statistiken der Krankenhäuser relativ gut erfassen. Die Kosten der migränespezifischen ambulanten ärztlichen Behandlung ist sehr viel schwieriger zu ermitteln. Hier wird geschätzt, dass - wieder in Abhängigkeit einer Prävalenz der Migräne zwischen vier und 16 Prozent - zwischen 40 und 150 Millionen Euro als ambulante Kosten durch Migräne verursacht werden.

Die indirekten Kosten durch Migräne können ebenfalls nur grob geschätzt werden. Durch Fehltage am Arbeitsplatz - bezogen auf alle sozialversicherungspflichtigen Tätigkeiten - entstehen zwischen einer und vier Milliarden Euro an Kosten. Nicht ganz so hoch, aber immer noch ein Vielfaches der Therapiekosten, sind die Kosten durch die aufgrund von Migräne eingeschränkte Produktivität am Arbeitsplatz. Hier wird die Summe grob auf ein bis drei Milliarden Euro geschätzt. Für die tertiären Kosten - durch Invalidität, falsche Behandlung etc. - ist eine Modellrechnung noch viel schwieriger. Hier kann beispielhaft nur angefügt werden, dass die Dialysekosten, die durch Patienten verursacht werden, die vorher einen Schmerzmittelabusus betrieben haben, auf 300 Millionen Euro geschätzt werden.

Die bisherigen Ausführungen bezogen sich auf die Migräne. Es wird geschätzt, dass durch sämtliche andere Kopfschmerzarten zusammen und insbesondere durch den Kopfschmerz vom Spannungstyp, der zwar leichter als Migräne ist, aber auch eine höhere Prävalenz aufweist, noch einmal eine ähnlich hohe Summe an Kosten verursacht werden. Für die Arbeitsplätze in Deutschland bedeutet dies, dass - ausgehend von einer durchschnittlichen Migräneprävalenz in Deutschland von 11,3 Prozent bis circa vier Millionen Erwerbstätige an einer Migräne gelitten haben. Bei einer durchschnittlichen Zahl von 2,8 Migränetagen pro Monat ergibt sich eine Gesamtzahl von etwa 130 Millionen Tagen mit Migräne pro Jahr in der erwerbstätigen Bevölkerung. Von diesen Tagen entfallen etwa 73 Millionen auf Arbeitstage, davon werden etwa 50 Prozent versäumt und rund 50 Prozent in verminderter Produktivität verbracht. Allein die Fehltage durch Migräne pro Jahr sind der Jahresarbeitszeit von 185.000 Vollerwerbstätigen äquivalent. Für den Spannungskopfschmerz und die anderen Kopfschmerzarten muss zusammen von einer deutlich höheren Prävalenz ausgegangen werden. Diese wird aber durch die geringere individuelle Kopfschmerzhäufigkeit und -intensität wieder ausgeglichen, sodass die volkswirtschaftliche Nettobelastung - auch an verlorener Arbeitszeit - durch alle anderen Kopfschmerzarten noch einmal ähnlich so hoch sein dürfte wie durch die Migräne.



Ansprechpartner:

Prof. Dr. med. Dr. phil Stefan Evers
DMKG Mitglied, Präsident des International Headache Congress 2011
Leitender Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Neurologie
Universitätsklinikum Münster
Albert-Schweitzer-Str. 33
48129 Münster
E-Mail: everss@uni-muenster.de

Generalsekretärin und Pressesprecherin
PD Dr. med. Stefanie Förderreuther
Neurologische Klinik der LMU München
Ziemssenstrasse 1, 80336 München
E-Mail: Steffi.Foerderreuther@med.uni-muenchen.de


Kosten durch Migräne

(Schätzung in Anlehnung an Erhebungen des Instituts für Gesundheitsökonomik, München 2004)

Direkte Kosten

Kosten der ärztlich rezeptierten Migränemedikamente: 67 Mio. €
Kosten frei verkauften Migränemedikamente: 92-490 Mio. €
Kosten der ambulanten ärztlichen Behandlung wegen Migräne; 36-148 Mio. €
Kosten der stationären Behandlung wegen Migräne: 26 Mio. €

Indirekte Kosten

Fehltage am Arbeitsplatz: 1-3,9 Mrd. €
Eingeschränkte Produktivität am Arbeitsplatz: 0,7-2,9 Mrd. €

Tertiäre Kosten

z.B. Dialysekosten von Patienten mit Schmerzmittelabusus: 307 Mio. €



Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.dmkg.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/de/institution1238


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft, Rita Wilp, 24.06.2011
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juni 2011