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BUCH/182: Der verkaufte Patient - Wie Ärzte und Patienten betrogen werden (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 12/2008

Der verkaufte Patient.
Wie Ärzte und Patienten von der Gesundheitspolitik betrogen werden

Rezension von Dr. Martin Gattermann


Bibliographische Angaben: Renate Hartwig, Pattloch Verlag, München 2008, ISBN 978-3-629-02204-2, 16,95 Euro

Renate Hartwig, Bestsellerautorin über "Scientology - Ich klage an" (1994), wendet sich vehement gegen den Ausverkauf unseres bislang von sozialer Verantwortung getragenen Rechtsstaates. In den "so genannten Gesundheitsreformen" sieht sie einen zentralen und systematischen Angriff auf das freie Arzttum, dem sie den "Bürgerpatienten" als Schutz und zur wechselseitigen Stärkung zur Seite stellt. Dreh- und Angelpunkt ihrer Kritik - und als Prüfstein - ist die so genannte elektronische Gesundheitskarte, mit Befürwortern und "verflochtenen" Verfechtern auch innerhalb der etablierten ärztlichen Selbstverwaltung. Sie will die Einführung der Karte mit allen Mitteln verhindern.

Jüngst sind zeitgleich mehrere "Aufdeckungsbücher" zum politisch gewollten Verfall unseres Gesundheitswesens erschienen. Renate Hartwig ist in Abgrenzung zu anderen Autoren bewusst und machtvoll eine Patientin. Sie möchte ihre Mitpatienten, also die gesetzlich Versicherten, mobilisieren - und politisch wachrütteln. Ein implodierendes Sozialsystem, die Kapitulation der demokratisch legitimierten Führenden vor - oder ihr Arrangement mit - dem Kapital, dem sie ihre vom Volk nur geliehene Macht verkauften: Ihr Spannungsbogen ist mitreißend, aufrüttelnd und deprimierend zugleich. Sie warnt vor "Denunzianten, Verrätern, Intriganten und Rufmördern" und wagt es dabei persönlich, sich sehr weit aus dem Fenster zu lehnen. Sie nennt Ross und Reiter, wohl wissend, dass sie sich damit einer Phalanx "gegnerischer" Rechtsanwälte exponiert.

Wer jemals in der Diskussion um die E-Card mitreden will oder gar glaubt, diesen wahrlich orwellschen Mechanismus ganz verstanden zu haben, muss ihr Buch lesen. Sie erweitert den Einsichtshorizont ihrer Leser von der ersten bis zur letzten Seite. Ihr Credo: Mit dem Zugänglichmachen des Geheimnisses eines Arztsprechzimmers für eine mediale Welt und eine riesige Schar von "Berechtigten" (zwei Millionen Menschen dürfen auf die Daten Aller zugreifen!) beraubte sich der Arzt seines genuinsten Erfolgsgeheimnisses, nämlich der Verschwiegenheitspflicht. Er hörte mit dieser Digitalisierung der Daten seiner Patienten eigentlich auf, als Vertrauensperson zu existieren.

So, wie der Arztroman im Grunde ein Frauenroman ist (die Heldin bewegt die Geschichte, die ärztliche Hauptfigur und die Seelen der Leser), so ist "Der verkaufte Patient" notwendigerweise der Antagonist zum "verkauften - und sich verkaufenden - Arzt". Beide sind gemeinsam Hoffnungsträger von Renate Hartwig und, wenn sie sich ihrer politischen Mitverantwortung und Macht bewusst werden und Zivilcourage zeigen, Motor und Angelpunkt eines Widerstandes des ganzen Volkes gegen seine schleichende Entdemokratisierung in unserer "nachchristlichen" Zeit.

Das Buch von Renate Hartwig gehört nicht nur in den Themenkreis alternder und bedenkentragender Ärztestammtische, sondern in jedes Wartezimmer. Soviel Politisierung darf, ja, muss sein. Es ist ab sofort Pflichtlektüre einer jeden Ärztin und eines jeden Arztes, wenn es darum geht zu begreifen, was mit und um uns geschieht. Das Kapitel "Der Arzt meines Vertrauens" (S. 21-23) gehört auf jeden ärztlichen Nachttisch, gleich neben dem Telefonapparat.

Rezensent: Dr. Martin Gattermann, Pestalozzistr. 16, 25826 St. Peter-Ording


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 12/2008 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2008/200812/h081204a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de


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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Dezember 2008
61. Jahrgang, Seite 68
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Karl-Werner Ratschko (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-119, -127, Fax: -181
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Januar 2009