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AUSLAND/1494: Afrika - Wirtschaft und Armut wachsen parallel (medico international)


medico international - rundschreiben 03/09

"Trickle down" verkehrt

Afrika: Wirtschaft und Armut wachsen parallel

Von Hendrike Braun


Mr. Banda lebt auf dem Land in Malawi. Seit einiger Zeit ist der 41Jährige schwer krank. Zum wiederholten Mal hat man bei ihm Tuberkulose festgestellt. Und nun auch noch HIV/Aids. Aufgrund seiner Krankheit konnte Mr. Banda seine Familie nicht mehr versorgen. Die Familie hat ihn mittlerweile verlassen - auf der Suche nach anderen Überlebensmöglichkeiten.

Mr. Banda hat zwar einen Platz in einem Programm zur Behandlung mit antiretroviralen Medikamenten, aber es fehlen ihm die sozialen und finanziellen Ressourcen, daran teilzunehmen. "Ich habe niemanden, der mich ins Krankenhaus bringt, dort pflegt und mit Essen versorgt. Die Leute im Dorf, die mir sonst helfen, sind zu arm, um zum Krankenhaus zu kommen." Solange es sein Gesundheitszustand erlaubte, schleppte er sich zu Fuß ins Behandlungszentrum. Doch mittlerweile schafft sein Körper die Strecke nicht mehr, die Behandlung und die zusätzlichen seelischen und körperlichen Belastungen sind einfach zuviel. Jetzt sitzt er zu Hause und weiß nicht, ob er noch einmal in der Lage sein wird, die lebensrettende Therapie wieder aufzunehmen.

Die Geschichte von Mr. Banda gilt dem afrikanischen Gesundheitsnetzwerk EQUINET (Regionales Netzwerk für gleichen Gesundheitszugang in Ost- und im südlichen Afrika) als exemplarisch für die gesundheitlichen Dilemmata im subsaharischen Afrika. Viel internationales Geld und nationale Gesundheitsressourcen in Form von Personal und Infrastruktur fließen in die Bekämpfung von HIV/Aids. Doch die Programme funktionieren vor allen Dingen auf dem Land nur unzureichend, weil sie den gesundheitlichen und sozialen Kontext allzu häufig missachten. Die HIV/Aids-Problematik ist das sichtbarste Phänomen für Exklusion und Marginalisierung von Millionen Menschen in Afrika. Die niederschmetternde Gesundheitsstatistik der afrikanischen Länder lässt sich in wenigen Zahlen auf den Punkt bringen: 10 Prozent der Weltbevölkerung lebt in Afrika. Jedoch finden sich hier 25 Prozent der weltweiten Krankheitsbelastungen, vor allem durch HIV/Aids. Dennoch stellt Afrika weniger als 1 Prozent an globalen Gesundheitsausgaben und lediglich 2 Prozent der Gesundheitsbelegschaft. Das afrikanische Gesundheitsnetzwerk EQUINET, dem auch medico-Partner aus Simbabwe angehören, macht diese Rechnung in seiner jüngsten Analyse der regionalen Gesundheitsprobleme im südlichen und östlichen Afrika auf. Der Titel dieser ausführlichen Beschäftigung mit der Lage und den möglichen Auswegen ist Programm: "Reclaiming the Resources for Health" - "Wir fordern die Ressourcen für Gesundheit zurück".

In ihrer Studie stellen die Gesundheitsaktivisten fest, dass sich das neoliberale Versprechen auf Wohlstand und Entwicklung nicht erfüllt hat. Am Ende von Strukturanpassungsprogrammen, nicht enden wollendem Schuldendienst, Marktliberalisierung lautet das Ergebnis: In Afrika ist trotz Wirtschaftswachstum die Zahl der Armen gewachsen. Es gab also keinen vielbeschworenen Trickle-Down-Effekt (Wenn die Reichen reicher werden, bekommen auch die Armen mehr ab). Das Gegenteil ist der Fall. Weil die Reichen reicher wurden, wurden die Armen ärmer. So zumindest kann man die Zahlen interpretieren: Laut der Equinet-Studie stieg das Bruttoinlandsprodukt in den untersuchten afrikanischen Ländern in den vergangenen Jahren an. Gleichzeitig sank der Human Development Index (HDI), eine Kennziffer, die nicht nur das Bruttoinlandsprodukt berücksichtigt, sondern auch Faktoren wie die Lebenserwartung oder den Bildungsgrad der Menschen.

An diesem Abgrund zwischen wirtschaftlicher Gesundheit für wenige und Krankheit für viele setzt Equinet an. Afrika, so die These des Netzwerkes, habe die Ressourcen für eine gute Gesundheit für alle. Und Ressourcen sind dabei durchaus im wörtlichen Sinne gemeint. Denn 80 Prozent der Exporte Afrikas bestehen aus Rohstoffen. Eine verbesserte Gesundheitssituation kann, so die Analyse von Equinet, nur durch einen anderen Einsatz dieser Ressourcen und vor allen Dingen der durch ihren Export erbrachten Einnahmen erfolgen. Das Netzwerk verweist darauf, dass die afrikanischen Regierungen bereits 2001 im Abkommen von Abuja festgelegt hatten, 15 Prozent der Staatseinnahmen für Gesundheit aufwenden zu wollen. Für die afrikanische Zivilgesellschaft ein Angelpunkt, um auch die eigenen Regierungen in die Pflicht zu nehmen.

Die Vorgaben von Abuja sind bislang nicht eingehalten worden. Sie teilen das traurige Schicksal von Selbstverpflichtungen der reichen Länder. Noch immer liegen die Ausgaben im Gesundheitsbereich zum Teil weit unter 10 Prozent der ohnehin kleinen staatlichen Budgets. Vor allem das Abfließen der finanziellen Ressourcen aus der Region gefährdet die Erreichung dieses Ziels. In Lesotho beispielsweise leben 29 Prozent der Bevölkerung mit HIV/Aids. Für ihre Behandlung stehen jährlich 25 Dollar zur Verfügung. Für die Abzahlung der Auslandsschulden verwendet Lesotho dagegen 38 Dollar pro Kopf und Jahr. Ein Beispiel, das die afrikanischen Gesundheitsaktivisten darin bestärkt, ein "Abuja plus" zu fordern. Ohne internationale Unterstützung würden die Länder ihr selbst gestecktes Ziel nicht erreichen. "Abuja plus" müsse darin bestehen, für die Aufrüstung der öffentlichen Gesundheit in den ärmsten Ländern internationale Finanzierungen und den Erlass der Auslandsschulden zu gewährleisten.

Deutsche Zusammenfassung der Studie "Reclaiming the Resources for Health" (PDF) finden sie uner:
www.medico.de


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Quelle:
medico international - rundschreiben 03/09, Seite 12-13
Herausgeber: medico international, Burgstraße 106
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Oktober 2009