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AUSLAND/1427: Israel - Physicians for Human Rights (medico international)


medico international - Newsletter 1/2009 vom 7. Januar 2009

01.01.2009 Israel/Palästina - Physicians for Human Rights - Israel

Von der Einsamkeit im eigenen Land und der Pflicht zur Einmischung


1987, zwanzig Jahre nach der israelischen Besetzung der palästinensischen Gebiete in Westbank und Gazastreifen begann die erste Intifada, der Volksaufstand gegen die Okkupation. Nicht länger nur von außen, von Stützpunkten in Jordanien, Libanon oder Syrien kämpften Palästinenser gegen die in allen Kriegen siegreichen Israelis, sondern auch die Menschen unter der "liberalsten Besatzung der Welt", wie sie die israelische offizielle Politik gerne bezeichnete, wehrten sich mit vielfältigen, überwiegend gewaltfreien Mitteln und mit den Steinen der Jugendlichen und Kinder, die zum Symbol dieses Aufstands, der ersten Intifada werden sollten. Die offensichtliche Ungleichheit der Waffen zwischen der hochgerüsteten Israelischen Armee und den Aufständischen löste auch in der Israelischen Gesellschaft eine Welle von Protesten und kritischem Aktivismus aus, die Forderung nach der Gültigkeit der Menschenrechte auch in den Besetzten Gebieten und nach einem Ende der Besatzung fand mehr und mehr Zustimmung in einer liberalen Öffentlichkeit. Hunderte von Gruppen entstanden, Hunderte zerfielen wieder, als die Lösung des Konflikts auch mit den Oslo-Verträgen in keine sichtbare Nähe rückte, als sich für eine konsequente Aufgabe der Besatzung keine stabilen politischen Mehrheiten in Israel fanden. Eine der wenigen Initiativen mit langem Atem, die damals entstanden, sind die Physicians for Human Rights - Israel (PHR).

Unter der Leitung der Psychiaterin Ruchama Marton machten sich ein Dutzend israelische ÄrztInnen kurz nach Beginn der Intifada auf den Weg nach Gaza, um sich ein eigenes Bild von den Folgen der Auseinandersetzungen zu machen - sie sahen junge Menschen mit mehrfachen Knochenbrüchen, etliche davon entstanden bei den Versuchen, sich vor Schlägen zu schützen, Verletzungen, die gezielt schwere Schäden zur Folge haben sollten und einen miserablen Zustand der staatlichen Krankenhäuser, die die Versorgung der Bevölkerung unter der Besatzung sicherstellen sollten. Dies war die Initialzündung zur Gründung der Physicians for Human Rights in Israel. Das erklärte Ziel der Organisation ist die Verteidigung und Förderung der medizinischen Menschenrechte für alle BewohnerInnen Israels und der Besetzten Gebiete als eine Voraussetzung für Soziale Gerechtigkeit und eine Verpflichtung gegenüber der Internationalen Menschenrechte. Vor allem die Unterordnung von medizinischer Versorgung unter andere politische Ziele greifen sie offensiv an - der Kampf gegen jede Art von Folter und besonders die Einbindung von medizinischem Personal in diese Praktiken gehört zu ihren zentralen Arbeitsfeldern. Sie dokumentieren, lobbyieren und greifen mit konkreten Projekten ein, wenn sie diese Rechte auf eine menschenwürdige medizinische Versorgung verletzt sehen. Ihrem Verständnis nach darf PHR-Israel nicht nur die Rolle eines Beobachters einnehmen, der die Wunden notdürftig flickt und die Zerstörungen durch den Konflikt zur Kenntnis nimmt. Als Ärzte übernehmen sie Verantwortung für die Heilung von Kranken und Verletzten. Als israelische Organisation jedoch kennen sie den israelischen Besatzungsapparat und sehen es als ihre Pflicht an, ihr Wissen zu nutzen und gegen die Besatzung initiativ zu werden.


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Vielfältige Initiativen sind im Laufe der 14 Jahre entstanden:

Child Medical Care Fund - Kostenübernahme im Krankheitsfall

Mangelnde und ungenügende Gesundheitsversorgung für die BewohnerInnen der besetzten Gebiete wurden nicht nur mit Petitionen beim Obersten Gerichtshof in Israel thematisiert, sondern auch mit Mobilen Kliniken, die gemeinsam mit Partnern wie der Palestinian Medical Relief Society (PMRS) in der Westbank organisiert werden, direkt angegangen. Oft ergeben sich aus diesen Tagesreisen mit bis zu 10 jüdischen und arabischen israelischen ÄrztInnen zu abgelegenen Dörfern weitergehende Aufgaben wie die Organisation spezialisierter medizinischer Hilfe in israelischen Krankenhäusern für komplizierte Fälle. Zugleich finanziert der von den PHR eingerichtete Child Medical Care Fund seit 1992 Behandlungen, die das nach den Oslo-Verträgen unabhängige, aber chronisch unterfinanzierte palästinensische Gesundheitssystem nicht sicherstellen kann. Besonders im Zuge der sog. "Zweiten Intifada" der aktuellen Intifada hat dieser Arbeitsschwerpunkt enorm an Bedeutung gewonnen, weil die Ausgangssperren und Straßenblockaden der israelischen Armee die medizinische Versorgung der ländlichen Gebiete häufig nahezu unmöglich macht. Denn trotz erfolgter Lockerungen seit dem Frühjahr 2005 sind Orte wie Jenin oder Nablus noch massiv von diesen Blockaden betroffen.


Wissenstransfer und Ausbildung - Israelisch-palästinensische Seminare

Auch nach dem Abzug der israelischen Armee aus dem Gazastreifen sind die gemeinsamen Projekte von PMRS und PHR-I im Gazastreifen und der Westbank bedeutsam. Geplant ist eine zukünftige Versorgung von chronischen Kranken (z.B. Diabetes, Brustkrebs), die einen Wissenstransfer in gemeinsamen Seminaren für Ärzte und Gesundheitsarbeiterinnen ebenso ermöglichen wie längerfristige Kooperationen über die sich immer weiter verstärkenden Grenzen beider Gesellschaften hinweg.


Gleiche Rechte für die arabischen BürgerInnen in Israel

Ebenso wichtig wie der Kampf für eine sichere und menschenwürdige Gesundheitsversorgung der PalästinenserInnen in Westbank und Gaza-Streifen ist die Kampagne zur Sicherung eines gleichen und gerechten Zugangs der arabischen BürgerInnen von Israel - fast 20% der gesamten Bevölkerung Israels - die immer noch "BürgerInnen zweiter Klasse" sind und ihre Städte, Stadtteile und Dörfer weniger gut versorgt sind wie die ihrer jüdischen Nachbarn.


Beduinen in der Negev-Wüste - Die unregistrierten Dörfer

In einer besonders benachteiligten Situation befinden sich die arabischen Beduinen, die in der Negev-Wüste leben. Ihre traditionelle Lebensweise und etablierten Dörfer werden von der israelischen Regierung und Verwaltung fast immer missachtet, Umsiedlungen in eilig errichtete Neubausiedlungen vor allem dann verfügt, wenn ihr Land für Militärzwecke, Naturschutzgebiete oder Industrieansiedlung gebraucht wird. Die PHR-Israel arbeiten gemeinsam mit ihnen für einen respektvollen Umgang mit Ihren Traditionen, für eine an ihre Lebensweise angepasste Gesundheitsversorgung und gegen ihre Diskriminierung und Ausgrenzung aus der israelischen Gesellschaft.


Open Migrant Worker Clinic - Gesundheitsversorgung für Arbeitsmigranten

Eine weitere Gruppe von Menschen in Israel mit ungesichertem Zugang zu einer guten und menschenwürdigen Gesundheitsversorgung sind die ca. 250.000 ArbeitsmigrantInnen und ihre Kinder, die kaum dauerhafte gesicherte Aufenthaltsrechte bekommen und damit von der regulären medizinischen Versorgung nur unzureichend erreicht werden. Hier ist auch die Open Migrant Worker Clinic der PHR in Tel Aviv eine wichtige Einrichtung, die nicht nur vielen Tausend Patienten jährlich unmittelbare Hilfe leistet, sondern auch die Probleme dieses "unsichtbaren" Teils der israelischen Gesellschaft thematisiert und auf Abhilfe dringt.


Das Recht auf Gesundheit in israelischen Gefängnissen

Von großer Bedeutung ist auch die Arbeit für gute medizinische Versorgung von Inhaftierten in israelischen Gefängnissen, besonders die unter Administrativrecht verhafteten PalästinenserInnen in Gefangenenlagern. Hierzu zählt auch die wachsame Beobachtung, Öffentlichmachung und Verhinderung von Folter im Zusammenhang mit Verhören während der Haft und der Rolle der Gefängnis-Mediziner bei diesen Maßnahmen. Die Verurteilung von Folter durch den Obersten Gerichtshof in Israel 1999 war dabei ein wichtiger Erfolg, wird aber in der Praxis immer noch vielfach missachtet.


Medico international unterstützt die Arbeit der PHR-Israel:
Mittel für die juristischen Auseinandersetzungen, Kosten für die wöchentlichen Fahrten der mobile clinics in die Westbank, die laufenden Kosten der Open Migrant Worker Clinic; weil alle BewohnerInnen des Landes ein Recht auf Gesundheit haben - ungeachtet ihrer ethnischen Herkunft oder ihres Aufenthaltstatus.

Projektstichwort:
Medico fördert die Arbeit unserer Partner in Israel/Palästina mit jährlich ca. 90.000 Euro Spenden und zusätzlichen öffentlichen Mitteln. Dies wollen wir auch zukünftig fortsetzen. Spenden Sie unter dem Stichwort: Israel-Palästina


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Quelle:
Herausgeber: medico international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Januar 2009