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STELLUNGNAHME/060: Präventionsgesetz - Besser dies als gar nichts (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 4/2015

Präventionsgesetz
"Besser dies als gar nichts"

Von Horst Kreussler


Sozialmedizinisches Kolloquium in Lübeck: Kritik am Gesetzentwurf, aber auch Erleichterung.


Zum 1. Januar kommenden Jahres soll das "Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention" (Präventionsgesetz) in Kraft treten - im vierten Anlauf. Wiederum hagelte es Kritik am Gesetzentwurf, auch die zur Anhörung in Berlin geladene Deutsche Gesellschaft für Public Health (DGPH) reagierte nicht begeistert. Ihr Präsident, Prof. Ansgar Gerhardus (Versorgungsforschung Universität Bremen) erläuterte den Diskussionsstand und die Sicht der DGPH in einem Referat beim 121. Sozialmedizinischen Kolloquium in Lübeck.

Der mit Anmerkungen 64 Seiten umfassende Entwurf, so ist unter www.bmg.bund.de (BR-Drucks. 640/14 v. 29.12.2014) nachzulesen, geht aus von einer demografisch begründet steigenden Krankheitslast und daraus folgender verstärkter Gesundheitsförderung und Prävention. Da alle bisherigen Versuche mit Aufklärung, Information, Appellen an die Selbstverantwortung und begrenzten Fördermaßnahmen offenbar wenig gebracht bzw. nicht die Richtigen erreicht haben, unternimmt der Gesetzgeber mit dem jetzt vorgelegten Entwurf einen neuen Anlauf. Ziel sei, heißt es einleitend, unter Einbeziehung der Sozialversicherungsträger (hier ist vor allem der Gesetzlichen Krankenversicherung gemeint) und der Privaten Kranken- und Pflegeversicherung die Gesundheitsförderung und Prävention insbesondere in den Lebenswelten der Menschen (wie Kindergarten, Schule, Sportstätte, Betrieb) zu stärken. Außerdem soll die Früherkennung von Krankheiten weiterentwickelt und das Zusammenwirken von betrieblicher Gesundheitsförderung und Arbeitsschutz verbessert werden. Für diese Ziele will das Gesetz die strukturellen Voraussetzungen schaffen und bringt dazu eine Fülle von Änderungen und Ergänzungen der Sozialgesetzbücher. So wird z. B. § 1 SGB V ergänzt, wo u.a. die Pflicht der Krankenversicherung als Solidargemeinschaft festgelegt wird, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern: "Das umfasst auch die Förderung der gesundheitlichen Eigenkompetenz und Eigenverantwortung der Versicherten." Allerdings findet sich dieses Recht im Gesetzentwurf im weiteren kaum noch, und Gerhardus bezweifelte beim Lübecker Kolloquium überdies, ob der (bisher wenig erfolgreiche) Ansatz noch sinnvoll sei.

Die bisherige Gesundheits- und Präventionsförderung der Versicherten durch ihre Krankenkassen soll erheblich verstärkt werden mit einer Anhebung der Ausgaben von drei auf zunächst 3,17 und dann sieben Euro pro Versicherten. Insgesamt sind 200 bis 250 Millionen Euro zusätzlich und damit insgesamt über 500 Millionen Euro vorgesehen.

Dabei sollen sieben spezifische Gesundheitsziele berücksichtigt werden, deren Auswahl und bunte Mischung in Erstaunen versetzt: drei Volkskrankheiten (Diabetes Typ 2, Brustkrebs, Depression), ein riskantes Verhalten (Tabakkonsum) und zwei Gesundheitsziele (gesund aufwachsen, gesund älter werden) stehen bei diesen Zielen im Fokus. Der Referent machte in Lübeck keinen Hehl aus seiner Vermutung, dass in der Eile der Vorbereitung einfach Stichworte aus informellen Beratungen von Experten (www.gesundheitsziele.de) übernommen wurden.

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) soll 35 Millionen Euro von den Kassen bekommen zur flächendeckenden Information - doch wie könne eine Bundesstelle selbst mit regionalen Partnern sinnvoll kleinräumig vor Ort tätig werden, zweifelte Gerhardus. Die BZgA soll auch die Geschäftstelle der neuen Nationalen Präventionskonferenz beherbergen, die Rahmenempfehlungen und alle vier Jahre einen Präventionsbericht abgibt. Hier wie auch beim beratenden Nationalen Präventionsforum seien aber keineswegs alle relevanten Gruppen dabei, kritisierte Gerhardus. Fakt ist, dass ärztliche Organisationen nicht vertreten sind - die Bundesärztekammer nannte dies inakzeptabel. Ärzte kommen aber im Präventionsgesetz vor (§ 25 Abs. 1 n.F.), so bei der Beratung von Patienten und der Ausstellung von Präventionsempfehlungen, bei den (eventuell verstärkten) Gesundheitsuntersuchungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene sowie beim Schwerpunkt Impfen. Für die BÄK ist dies zu wenig, sie wünscht ein umfassendes ärztliches Präventionsmanagement mit entsprechender Honorierung.

Aber selbst da, wo medizinische Fachleute wie die Kinder- und Jugendpsychologen vermehrt eingebunden werden sollen, stieß der Gesetzentwurf laut Gerhardus auf die Kritik ebendieser Experten, weil es nicht sinnvoll erscheine, jedes (unauffällige) Kind einem psychologischen Screening zu unterziehen. Und schließlich stelle sich die Frage, ob eine Zertifizierung aller Präventionsleistungen wirklich die Gesundheitsversorgung verbessern könne.

Die DGPH hat, so ihr Präsident, bereits durchaus kritisch zum Präventionsgesetz Stellung genommen. Im Grundsatz geht es der Gesellschaft vor allem darum, im Sinne der Ottawa-Charta von 1986 ("Gesundheit für alle") stärker sozialpolitisch vorzugehen und bei vielen Menschen erst die entsprechenden Möglichkeiten für eigenverantwortliche Gesundheitsprävention zu schaffen - also nicht nur in den Lebenswelten fördern, sondern die Lebenswelten verändern. Umgekehrt könne es die soziale Ungleichheit verstärken, wenn die Gruppen gefördert würden, die dazu ohnehin schon bessere Möglichkeiten hätten.

Ein anderer grundsätzlicher Kritikpunkt sei die Fixierung auf die Sozialkassen, die doch primär für ihre Mitglieder und nicht für die Allgemeinheit zuständig seien. In der Tat scheint es so, als ob der Gesetzgeber dem Sprichwort folgt: Wer zahlt (ganz überwiegend Krankenkassen), bestimmt die Musik. Auf der anderen Seite seien Ansätze zu gerechteren Maßnahmen und Absichtserklärungen für die Zukunft erkennbar, so Gerhardus.

So rang sich die Mehrheit der DGPH und auch ihr Präsident im Ergebnis zum "eher halbvollen als halbleeren Glas" durch: "Dieser Entwurf ist endlich doch besser als gar nichts." Dem mochte auch Prof. Alexander Katalinic für die Kolloquiumsveranstalter DRV Nord, MDK und UKSH (Lübeck) nicht widersprechen: Das Präventionsgesetz werde einen Entwicklungsprozess einleiten, an dem auch die medizinischen Fachgesellschaften beteiligt sein dürften.


Info

7 EUR sollen die Krankenkassen pro Versicherten für die Präventionsförderung zahlen.

500 Mio. Euro sollen damit künftig insgesamt in die Prävention fließen.

35 Mio. Euro sollen davon an die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gehen - was politisch umstritten ist.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 4/2015 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2015/201504/h15044a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
68. Jahrgang, April 2015, Seite 16
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. April 2015

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