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RECHT/632: Interview - Gutachtertätigkeit für die Sozialgerichte bringt Abwechlung zur Praxis (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 2/2019

Gutachter
Abwechslung zur Praxis

Interview von Dirk Schnack mit Gutachter Dr. Kay Liebchen


Vielen niedergelassenen Ärzten fehlt die Zeit für eine gutachterliche Tätigkeit. Dr. Kay Liebchen nimmt sich die Zeit seit Jahren - und hat es nicht bereut.


Dr. Kay Liebchen (56) ist Orthopäde in Schleswig und einer der wenigen niedergelassenen Ärzte unter den Gutachtern in Schleswig-Holstein. Gutachten fertigt er seit seiner Weiterbildung in Damp von 1989 bis 1993 an. Inzwischen erstellt er rund 60 Gutachten pro Jahr neben seiner Praxistätigkeit. Über seine Gutachtertätigkeit sprach Dr. Liebchen mit Dirk Schnack.


Herr Liebchen, warum nehmen Sie es auf sich, neben der Praxistätigkeit noch Gutachten für die Sozialgerichte zu erstellen?

Dr. Kay Liebchen: Weil es für mich eine willkommene Abwechslung außerhalb des therapeutischen Rahmens darstellt. Es ist mir wichtig, auf der Basis gutachterlicher Kriterien einschätzen zu können, wie sich gesundheitliche Einschränkungen für die Betroffenen im Berufsleben und im privaten Umfeld auswirken. Von meiner langjährigen sozialmedizinischen Erfahrung profitieren nicht nur die Gerichte, sondern auch meine eigenen Patienten sehr.

Wie haben Sie Gutachter "gelernt"?

Liebchen: In meiner Facharztweiterbildung war eine bestimmte Zahl an Gutachten erforderlich und mein weiterbildender Chefarzt in Damp hat darauf großen Wert gelegt. Nach und nach erlangte ich durch intensives begleitendes Literaturstudium mehr Routine. Zudem absolvierte ich im vergangenen Jahr das Fortbildungscurriculum "Gutachterliche Tätigkeit" bei der Ärztekammer Berlin und kann das auch nur empfehlen.

Was macht die Fortbildung so wertvoll?

Liebchen: Sie hilft, sich als Arzt mit der juristischen Terminologie vertraut zu machen und sich in die Denkweise von Juristen einzufinden.

Ist die Tätigkeit mit EUR 75,00 pro Stunde angemessen bezahlt?

Liebchen: Ich finde schon. Der finanzielle Aspekt ist ein gewichtiges, aber nicht das entscheidende Argument für die Gutachtertätigkeit. Das Interesse an sozialmedizinischen Fragestellungen und die Möglichkeit, das langjährig erworbene fachliche Wissen einbringen zu können, stellt das deutlich gewichtigere Argument dar.

Wie lange benötigen Sie für ein Gutachtenaktenstudium?

Liebchen: Das variiert von Fall zu Fall. Der umfangreichste Aktenberg war einmal 1 Meter hoch; ich arbeitete rund 20 Stunden daran. Das ist aber nicht der Normalfall. Im Durchschnitt benötige ich 2 bis 3 Stunden pro Fall. Mit steigender Routine gelingt die Erfassung des Sachverhaltes schneller.

"Vor Gericht ist meine medizinische Expertise gefragt. Den weiteren Verlauf eines Verfahrens kann ich nicht beeinflussen." Dr. Kay Liebchen

Welche Erfahrung haben Sie im Gerichtssaal gesammelt?

Liebchen: Überwiegend positive. Es herrscht meistens eine konstruktive Atmosphäre. Nur in wenigen Ausnahmefällen kommt es vor, dass Rechtsvertreter provokanter auftreten. Ich reagiere darauf genauso, als wenn in der Praxissituation ein Patient verbal entgleist - alles nicht persönlich nehmen und sich darüber im Klaren sein, dass unangemessenes Verhalten zumeist nur die Reaktion auf eine ungünstige Prozesslage darstellt.

Kommt es vor, dass Patienten simulieren?

Liebchen: Sehr selten. Ich untersuchte einmal einen Profisportler, der eine Schulterverletzung vortäuschte. Dies ließ sich jedoch in unbeobachteten Momenten schnell an seinen unauffälligen Bewegungsmustern erkennen. Ich habe ihn darauf angesprochen und er gab es sofort zu. Die meisten Menschen sind aber offen und ehrlich; sie bedanken sich nicht selten für die umfängliche Untersuchung.

Als Gutachter sind Sie in einer anderen Rolle als der behandelnde Arzt. Können Patienten das immer trennen?

Liebchen: Meistens ja, weil ich den Ablauf der gutachterlichen Exploration zu Beginn der Untersuchung und meine Rolle als Gutachter ausführlich beschreibe. Als Gutachter helfe ich auf eine andere Weise als gewohnt und dies motiviert mich stets aufs Neue positiv, weiterhin als Gutachter tätig zu sein.

Vielen Dank für das Gespräch!


20

Stunden Aktenstudium - so umfangeich war der Zeitaufwand für einen Fall, in den sich Dr. Kay Liebechen einmal einarbeiten musste. Dies ist die Ausnahme geblieben: Im Durchschnitt reichen rund zwei Stunden.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 2/2019 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2019/201902/h19024a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
72. Jahrgang, Februar 2019, Seite 30
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. März 2019

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