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POLITIK/2116: Proteste der Arztpraxen - positives Fazit (SHÄB)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 4, April 2023

Praxen im Blickpunkt - nur nicht beim Minister

von Dirk Schnack


ARZTPRAXEN. Das Verhältnis zwischen den Standesvertretern im ambulanten Bereich zu Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) hat viel Luft nach oben. In Schleswig-Holstein machte zuletzt besonders die Ärztegenossenschaft Nord deutlich, wo er ansetzen könnte.


Für die über den Jahreswechsel gemeinsam durchgeführte Protestkampagne von Ärztegenossenschaft Nord, fachärztlichen Berufsverbänden und des Dachverbandes der Praxisnetze Schleswig-Holstein zogen die Initiatoren im vergangenen Monat ein positives Fazit. "Mit dieser Informationskampagne haben wir die niedergelassene Ärzteschaft wieder in den Blickpunkt der Politik und Medien gerückt", sagte der stellvertretende Vorsitzende der Genossenschaft und Koordinator der Kampagne, Dr. Axel Schroeder. Themen der Kampagne waren wie berichtet die Abschaffung der Neupatientenregelung, die Ausweitung der Budgetierung, die prekäre Finanzsituation in den Arztpraxen, Inflation, Kostensteigerungen, explodierende Energiekosten, Fachkräfte- und Ärztemangel sowie zunehmende Administration und Bürokratie.

"Die Gesundheitsversorgung droht zu kippen. Wir benötigen dringende Reformen in der medizinischen Versorgung."
Dr. Svante Gehring

Der Vorsitzende der Genossenschaft, Dr. Svante Gehring, verwies im März auf den nach seiner Überzeugung bestehenden Handlungsbedarf: "Die Gesundheitsversorgung droht zu kippen. Wir benötigen dringende Reformen in der medizinischen Versorgung." Von Reformen erwartet er in erster Linie neue Strukturen im stationären und ambulanten Bereich und eine solide Reform der Finanzierung. Gehring sagte mit Blick auf Lauterbachs jüngste Reformen: "Ständige Spargesetze lösen die Probleme nicht. Sie ähneln eher einem blinden Aktionismus als einer nachhaltigen Reform." Hausarzt Gehring ist auch amtierendes Mitglied im Vorstand der Ärztekammer. Nach seiner Ansicht bilden Fallpauschalen und Einheitlicher Bewertungsmaßstab (EBM) den Leistungsaufwand nicht mehr ausreichend ab. Gleiches gelte für die "überfällige Novellierung der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ)".

Verschärft wird die Situation nach Darstellung der Genossen durch das Festhalten an der Budgetierung der Leistungen in den Arztpraxen, was Gehring als "Relikt aus den neunziger Jahren, einer Zeit der Ärzteschwemme" bezeichnete.

Deutlich persönlicher wurde im vergangenen Monat der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands (SpiFa) in Richtung Bundesgesundheitsminister, den der Verband wie einen "Lobbyisten der Krankenhäuser" wahrnimmt. Grund: Auf dem Krankenhausgipfel habe sich Lauterbach "im Gleichschritt mit dem Vorstandsvorsitzenden der DKG, Herrn Dr. Gaß" für eine vollumfängliche Ambulantisierung fachärztlicher Leistungen in Deutschland am Krankenhaus ausgesprochen. SpiFa-Chef Dr. Dirk Heinrich aus Hamburg sagte dazu: "Dies ist eine volle Breitseite gegen die niedergelassenen Fachärztinnen und Fachärzte. Sie sollen zu Gunsten des letzten, maroden und unwirtschaftlichen Kreiskrankenhauses weichen."

Damit entfiele nicht nur der dringend notwendige Wettbewerb um Qualität, sondern auch die Effizienz der Patientenversorgung. Heinrich warf Lauterbach die einseitige Bevorzugung eines Sektors vor, statt auf Kooperation und Verzahnung der bislang getrennten Sektoren zu setzen. Er warnte: "Jedem muss klar sein, dass in einem solchen Falle auch sämtliche Nachbehandlungen nach ambulanten Operationen dann im Krankenhaus stattfinden müssen. Wie das finanziell, personell und räumlich dargestellt werden soll, bleibt völlig rätselhaft." Heinrich sprach von "unausgegorenen Ideen" und erinnerte daran, dass große Veränderungen im Gesundheitswesen nur im Konsens gelingen.

Gegenwind für den Minister und seine Pläne gab es auch von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Deren Vorsitzender Dr. Andreas Gassen forderte nach Lauterbachs Auftritt auf dem "Krankenhausgipfel": "Politik muss vor allem die bereits funktionsfähigen ambulanten Strukturen stärken." Er erinnerte an die Leistungsstärke der Praxen, die aktuell jährlich rund 600 Millionen Behandlungsfälle verzeichnen und damit den Großteil der Patientenversorgung stemmen. Gassen ordnete die Fallzahl ein: "Vergleicht man das mit den rund 20 Millionen Behandlungsfällen in den Krankenhäusern - die das System nach Aussagen der Krankenhäuser schon an den Rand des Kollaps' bringen -, da wird schnell klar, wo auch perspektivisch vor allem Patientenversorgung stattfinden wird."

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 4, April 2023
76. Jahrgang, Seite 19
Herausgeber: Ärztekammer Schleswig-Holstein
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 12. Mai 2023

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