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ARTIKEL/1347: Interkulturelle Kommunikation - Kultursensible Ausbildung von Medizinern notwendig (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 6/2014

Interkulturelle Kommunikation
Das Recht auf Verstehen und Verstandenwerden

Von Anne Mey


Dolmetscher häufig für Diagnose und Aufklärung notwendig, Finanzierung aber unklar. Kultursensible Ausbildung von Medizinern notwendig.


"Eine Schlange kriecht durch meinen Körper." Wenn ein Patient so seine Symptome schildert, stehen wohl die meisten mitteleuropäischen Mediziner vor einem erheblichen Verständnisproblem. Herz-Kreislauf-Beschwerden? Ein neurologisches Problem? Weder noch - tatsächlich will der Patient damit zum Ausdruck bringen, dass sich seine Schmerzen nicht auf eine körperliche Region oder ein Organ begrenzen lassen. So schildert Ramazan Salman, Medizinsoziologe und Sozialwissenschaftler am Ethno-Medizinischen Zentrum Hannover (EMZ), bei einem Vortrag der Patriotischen Gesellschaft und der Ärztekammer Hamburg zum Thema interkulturelles Arzt-Patienten-Verhältnis einen typischen Konfliktfall. Mithilfe eines Heilers seien bei dem Patienten mit den undefinierbaren Symptomen schließlich psychosomatische Schmerzen und eine schwere Depression diagnostiziert worden. Diese Situation verdeutlicht eindrücklich, dass nicht nur sprachliche Barrieren ein Problem sind, sondern auch kulturelle und religiöse Weltansichten die Verständigung von Ärzten und Patienten maßgeblich beeinflussen. In Anbetracht der Tatsache, dass jeder fünfte Einwohner in Deutschland einen Migrationshintergrund hat und der Ärztemangel die Zuwanderung von ausländischen Medizinern begünstigt, wurde in Hamburg über die interkulturelle Kompetenz von Ärzten und den entsprechenden Handlungsbedarf diskutiert.

Viele wissenschaftliche Studien zeigten, dass selbst wenn Arzt und Patient die gleiche Sprache sprechen, der Patient 40 bis 80 Prozent der Informationen direkt nach dem Gespräch wieder vergesse. Von den Details, die er behalten habe, könne er jedoch auch gerade einmal 50 Prozent korrekt wiedergeben, so Claudia Mews, Fachärztin für Allgemeinmedizin am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) und Moderatorin der Veranstaltung. Dies zeige, dass die Kommunikation zwischen Arzt und Patient an sich schon äußerst fehleranfällig sei. Bei Menschen, die die deutsche Sprache nicht beherrschen, seien somit auch die Gesundheitschancen deutlich geringer, ergänzte Salman. "Verlängerte und erschwerte Diagnostik, verspätete Zugänge zu adäquaten Therapien und daraus resultierende lange und oftmals ineffektive Patientenkarrieren erhöhen sehr leicht den Kostenfaktor und sorgen für Versorgungsdefizite", schildert der Medizinsoziologe die Folgen.

Dr. Emine Cetin, Gynäkologin am Pränatalzentrum Hamburg, sieht in fehlenden Sprachkenntnissen auch Probleme begründet, ihrer ethischen und ärztlichen Aufklärungspflicht, gerade im prä-operativen Bereich, nachzukommen. Dolmetscher könnten hier Abhilfe schaffen, werden aber, wenn überhaupt, nur von den privaten Kassen übernommen. "Bei den gesetzlichen Krankenkassen haben die Patienten den Anspruch nicht. Ihnen wird der Schwarze Peter zugeschoben und sie müssen das selbst organisieren", so die türkischstämmige Medizinerin. Prof. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, erkennt das Finanzierungsproblem ebenfalls und sieht hier den Staat in der Pflicht, denn man könne nicht erwarten, dass Ärzte oder Krankenhäuser Dolmetscherleistungen aus ihren gedeckelten Budgets bezahlten. Das UKE tut im Moment jedoch genau das: Die Klinik finanziert ihre benötigten Dolmetscher selbst und gibt dafür im Jahr eine sechsstellige Summe aus, wie Niels-Jens Albrecht, Leiter der Arbeitsgruppe Migration und Gesundheit am UKE, mitteilte. Der telefonische Dolmetscherdienst, den man vor einigen Jahren ausprobierte, habe wenig Anklang gefunden, inzwischen setze man nur noch auf Dolmetscher, die für das medizinische Übersetzen ausgebildet und vor Ort verfügbar sind. Dies habe auch rein praktische Gründe: Wenn ein nicht-deutschsprachiger Patient die Einwilligung zur einer Operation gibt, müssen dies nicht nur der Patient und der Arzt bezeugen, sondern auch der Dolmetscher mit seiner Unterschrift bestätigen. Derartige Probleme treten aber nicht nur bei Migranten auf, auch plötzlich erkrankte Touristen aus allen Teilen der Welt bedürfen der Unterstützung von medizinischen Dolmetschern, da sich Familie und Freunde selten in der ärztlichen Fachsprache auskennen und daher nur bedingt zur Übersetzung eignen.

Das semantische Verstehen ist jedoch nur eine Seite der Medaille. Auch der kultursensible Umgang mit verschiedenen Menschen aus anderen Ländern muss erlernt werden. So schildert Gynäkologin Cetin ihre Erfahrung aus der Praxis: "Bei einer russischen Patientin weiß ich, dass ich mich ganz klar ausdrücken muss. Wenn ich da anfange, wie bei der deutschen Patientin, die ganze Differenzialdiagnose und die Wahlmöglichkeiten aufzublättern, interpretiert die Patientin das als Unsicherheit. Sie bekommt von mir keine klaren Ansagen. Mit diesem mitteleuropäischen Vorgehen helfe ich weder der Patientin noch mir." Die Sensibilisierung für solche kulturellen und religiösen Eigenheiten hat der integrierte Modellstudiengang Medizin "iMed" am UKE zum Ziel.

"Ärzte und Pflegepersonal sehen sich in ihren Bemühungen mit sprachlichen, kulturellen und zuweilen auch religiösen Hürden konfrontiert."
Ramazan Salman

Hier können die Studenten als Begleitstudium "Interkulturelle Kompetenz und internationale Medizin" wählen. Neun Semester beschäftigen sich die angehenden Ärzte dann mit den Tücken der Kommunikation auf verschiedensten Ebenen. Selbst am UKE tätige Mediziner kämen auf ihn zu und würden die neuen Lerninhalte gern noch nachholen, da sie in ihrem Studium noch nicht enthalten waren, so der Leiter des Lehr-Forschungsprojektes Albrecht.

Das EMZ geht das Problem vonseiten der Patienten an und hat das Gesundheitsprojekt MiMi ins Leben gerufen, um erfolgreiche, gut integrierte Migranten in 50-stündigen Schulungen zu Lotsen für Gesundheit auszubilden. Sie sollen ihre Landsleute dabei unterstützen, das deutsche Gesundheitssystem sinnvoll zu nutzen und sich so auch besser zu integrieren. Auch in Schleswig-Holstein wird dieses Projekt seit 2007 erfolgreich durchgeführt.

Aber nicht nur Patienten haben mit der deutschen Sprache zu kämpfen, auch immer mehr Ärzte aus dem Ausland, die bisher nur Sprachkenntnisse auf umgangssprachlichem Niveau nachweisen mussten, drängen in unser Gesundheitssystem. Laut Montgomery erleben wir derzeit die größte Völkerwanderung seit der Antike: "Das sind Menschen aus Pflegeberufen und Ärzte, die sich aus den unterentwickelten Ländern Afrikas und Asiens in den Westen bewegen. Das führt dazu, dass in den sehr reichen Industriestaaten wie USA, Neuseeland oder Australien zwischen 30 und 40 Prozent der dort tätigen Ärzte ihre Ausbildung in einem Entwicklungsland bekommen haben und dann mit diesem volkswirtschaftlich teuren Gut ihr Heimatland verlassen." Dies sei auch in Deutschland zunehmend ein Problem, da die Sprachkenntnisse häufig mehr als dürftig seien.

Die bisherigen Sprachprüfungen seien für die medizinische Arbeit nicht ausreichend. Daher kündigte Montgomery die baldige Einführung von Fachsprachenprüfungen an, um die Kommunikation auf zwei Ebenen abzusichern: zwischen Arzt und Patient, aber auch zwischen den Ärzten aus unterschiedlichen Sprachräumen. Denn es sei genauso fatal, wenn ein Arzt seinen hilfsbedürftigen Patienten nicht versteht wie wenn sich zwei Ärzte am Operationstisch nicht austauschen und Anweisungen geben oder verstehen können. Die Ablegung der medizinischen Sprachprüfung solle an den Ärztekammern stattfinden.

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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 6/2014 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2014/201406/h14064a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Juni 2014
67. Jahrgang, Seite 64 - 65
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz-Joseph Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juli 2014

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