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ARTIKEL/1346: Deutsche Hebammen bekommen Unterstützung für Reformen (Securvital)


Securvital 3/2014 - Juli-September
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen

Geburten
Bereit machen für Neues

Von Peter Kuchenbuch


Der Streit um die Berufshaftpflicht wirkt: Deutsche Hebammen bekommen Unterstützung für Reformen. Ihre niederländischen Kolleginnen sind in vielen Belangen Vorbild.


Europas Gesundheitssysteme tun sich 2014 schwer mit ihren Hebammen. In Frankreich streiken Anfang des Jahres Tausende in den Kliniken, weil ihnen kein gleichberechtigter Status gegenüber den Ärzten eingeräumt wird. In Österreich haben die Hebammen Nachwuchssorgen und müssen dringend offene Stellen besetzen. Das übernehmen deutsche Hebammen zum Beispiel in Vorarlberger Kliniken. Deutsche Hebammen hält es nicht mehr in ihrer Heimat, auch nicht mehr in ihrem Beruf, weil sie woanders bessere Verdienst- und Arbeitsbedingungen finden. Und die Hebammen in den Niederlanden? Die haben fast alles richtig gemacht, heißt es.

Niederländische Hebammen haben sich straff und zentralistisch organisiert und werden im Gegenzug vom Staat mit weitreichenden Kompetenzen in die Gesundheitsversorgung eingebunden. Hebammen sind dort Schlüsselfiguren in der medizinischen Schwangerenversorgung und haben einen klaren Auftrag als erste Ansprechpartnerinnen für werdende Mütter und junge Familien. Wohnortnähe ist dabei oberste Prämisse. Frauen mit einem unauffälligen Schwangerschaftsverlauf werden bis zur Geburt und darüber hinaus nur von Hebammen betreut - Frauenärzte sind außen vor.

Weniger Kaiserschnitte

2011 brachte jede vierte Niederländerin ihr Kind zuhause zur Welt. Fast jedes zehnte Baby wurde darüber hinaus in einer der rund 500 Hebammeneinrichtungen geboren. Während in den Niederlanden fast jedes dritte Kind das Licht der Welt jenseits von Kliniken erblickt, ist es in Deutschland nur jedes fünfzigste.

Niederländische Hebammen stärken nach eigenem Bekunden auch aus wirtschaftlichen Gründen die Strukturen für natürliche Geburten. »Das minimiert die Wahrscheinlichkeit von unnötigen medizinischen Eingriffen jedweder Art und ist bei einem zugleich hohen Versorgungsniveau auch noch kostensparend«, argumentiert der niederländische Hebammenverband KNOV. Ein Vergleich der Kaiserschnittraten verdeutlicht dies: In Deutschland liegt die Quote bei rund 30 Prozent, in den Niederlanden ist sie mit etwa 15 Prozent (2008) um die Hälfte niedriger.

Diese starke Rolle der Hebammen im Gesundheitssystem unterliegt einer strengen Berufsordnung. Für deren Regulierung sind das Gesundheitsministerium und der Hebammenverband verantwortlich. Zu den hohen Anforderungen gehört beispielsweise ein Minimum von 40 Geburten pro Jahr - unabhängig vom Status als angestellte oder freiberufliche Hebamme. Um in einem bestimmten Qualitätsregister geführt zu werden, müssen Hebammen diese Quoten erfüllen und den Besuch von etlichen Weiterbildungen nachweisen.

Und während die freiberuflichen Geburtshelferinnen in Deutschland um ihre Existenz bangen und Probleme haben, genügend Versicherer zu finden, die ihnen überhaupt noch Haftpflichtpolicen zum Preis von jährlich 5.000 Euro anbieten, zahlen die niederländischen Kolleginnen für ihre Policen nur etwa 350 Euro pro Jahr.

Mehr Ausgleich

Die Gründe für diesen eklatanten Unterschied beruhen in erster Linie auf Unterschieden im Rechtssystem und darauf, dass es in den Niederlanden weniger teure Haftpflichtfälle gibt. Denn es ist nicht so, dass deutsche Hebammen schlechter oder riskanter arbeiten als ihre niederländischen Kolleginnen. Doch hier wie dort kommt es in seltenen Fällen bei Geburten zu gravierenden Komplikationen und damit einhergehenden Personenschäden, die mit Schadensersatzforderungen in Millionenhöhe verbunden sein können. In den Niederlanden springt bei Schadenssummen von über 2,5 Millionen Euro ein staatlicher Haftungsfonds ein. Dieser Fonds erhält sein Geld aus dem nationalen Beitragssystem. Im Gegenzug ermuntert der Staat die Geburtshelfer zu mehr Eigenverantwortung und konsequenter Qualitätskontrolle.

Damit will er möglichst viele Prozesse von den Zivilgerichten fernhalten. Für außergerichtliche Vereinbarungen hat das holländische Gesundheitssystem verschiedene Beschwerdeinstanzen vorgesehen, in denen Mediziner, Hebammen und Rechtsanwälte mit den Opfern und Verursachern von Falschbehandlungen gemeinsam einen Ausgleich suchen.

Selten, aber teuer

In Deutschland geht der Trend in eine andere Richtung, hier steigt die Klage- und Regressfreudigkeit. Einerseits kommt es bei Hebammen-geleiteten Geburten nach Angaben der deutschen Versicherungswirtschaft im Vergleich zu anderen Lebensbereichen vergleichsweise selten zu Schäden. Aber die Ausgaben für Schäden über 500.000 Euro haben zum Leidwesen der Hebammen und Gynäkologen deutlich zugenommen. Das liegt an erhöhten Schmerzensgeldaufwendungen für die Patienten, gestiegenen Therapie- und Pflegekosten sowie Kompensationszahlungen für den zu erwartenden zukünftigen Verdienstausfall. Die Versicherer haben laut einer Studie des Berliner IGES Instituts in der Vergangenheit insbesondere die Kosten für zukünftige Verdienstausfälle bei Langzeitschäden deutlich unterschätzt.

In den Niederlanden können die Versicherer glücklich darüber sein, dass der staatliche Haftungsfonds Schäden über 2,5 Millionen Euro auffängt. Denn somit muss die Assekuranz ihre Hebammen-Haftpflichtprämien auch nur für Schäden bis zu maximal 2,5 Millionen Euro kalkulieren. Eine Summe, die bis 2003 auch in Deutschland akzeptiert wurde, doch mittlerweile werden hierzulande Schäden bis zu 6 Millionen Euro abgesichert. Dieser Umstand macht die Policen für viele freiberufliche Geburtshebammen unbezahlbar. Und noch etwas kommt hinzu: In Deutschland macht eine 30-jährige Verjährungsfrist für Personenschäden die Policen teurer als in den Niederlanden, denn dort gilt eine 20-jährige Verjährungszeit für Schadensersatzforderungen.

Die Niederländer haben ihren Hebammen eine zentrale Funktion im Gesundheitssystem eingeräumt, wirtschaftliche Stabilität geschaffen und ihnen dafür eine straffe und qualitätsorientierte Selbstorganisation abverlangt. Das hat Erfolg und einen nachhaltigen Effekt: Um die Zukunft dieser Berufsgruppe bangt dort niemand.

In Deutschland hingegen hat das Hebammen-Dilemma eine große Öffentlichkeit erreicht. So viel Unterstützung durch Bürgerprotest und Medienaufmerksamkeit wie in diesem Frühjahr hatten die Hebammen noch nie. Unter Druck geraten, hat die Bundesregierung Mitte Mai eine Gesetzesinitiative ins Parlament eingebracht, die die Hebammen finanziell und organisatorisch besser stellen würde. Der Ansatz könnte bald erste Erfolge bringen. Und gibt den Hebammen Zeit, noch mal in die Niederlande zu schauen.

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Hebammenstruktur in Deutschland

  • Es gibt in Deutschland etwa 21.000 Hebammen. Sie kümmern sich um jährlich 673.000 Geburten bundesweit.
  • 98,5 Prozent der Kinder kommen im Krankenhaus zur Welt.
  • 1,5 Prozent sind Hausgeburten oder Entbindungen im Geburtshaus
  • Rund 7.000 Hebammen sind festangestellt, etwa 14.000 arbeiten freiberuflich oder sind teilselbstständig.
  • Etwa 3.500 Freiberuflerinnen/Teilselbstständige arbeiten als Geburts-Hebammen. Eine große Gruppe bilden die Beleghebammen. Sie bieten werdenden Müttern in der Regel eine Rufbereitschaft an und begleiten sie persönlich zur Geburt in die Klinik.
  • Beispiel Bayern 2012: Rund 60 Prozent aller 107.000 Geburten wurden von freiberuflichen Beleghebammen geleitet. Außerhalb der bayerischen Kliniken kamen 2.077 Kinder zur Welt: 871 zuhause, 1.206 im Geburtshaus.


Der Vier-Punkte-Plan des Bundesgesundheitsministeriums

1. Sicherstellungszuschlag: Damit auch Hebammen, die wenige Geburten betreuen, ihre Haftpflichtprämien finanzieren können, soll ein Sicherstellungszuschlag eingeführt werden.

2. Stabile Haftpflichtprämien: Um den weiteren Anstieg der Haftpflichtprämien für freiberufliche Geburts-Hebammen zu begrenzen, sollen Krankenkassen in bestimmten Fällen auf ihre Regressforderungen gegenüber Haftpflichtversicherungen verzichten.

3. Qualitätssicherung: Um die notwendige Versorgungsqualität in der Geburtshilfe sicherzustellen, sollen die Hebammenverbände und die Krankenkassen Qualitätsanforderungen vereinbaren.

4. Datengrundlage: Zur Sicherung der Versorgungsqualität soll die Datengrundlage im Bereich der Hebammenversorgung verbessert werden.

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Quelle:
Securvital 3/2014 - Juli-September, Seite 24 - 26
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen
Herausgeber: SECURVITA GmbH - Gesellschaft zur Entwicklung
alternativer Versicherungskonzepte
Redaktion: Norbert Schnorbach (V.i.S.d.P.)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juli 2014

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