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ARTIKEL/1316: European Health Forum - Lebensstil-Erkrankungen gefährden Gesundheitssysteme und Volkswirtschaften (idw)


European Health Forum Gastein - 03.10.2013

Lebensstil-Erkrankungen gefährden Gesundheitssysteme und Volkswirtschaften


Auf Krisenfestigkeit und Nachhaltigkeit ausgerichtete Gesundheitssysteme müssen sich der gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Herausforderung stellen, die der Anstieg "nicht-übertragbarer Erkrankungen" darstellt, sagten Experten/-innen beim European Health Forum Gastein. Bis 2025, so eine UN-Deklaration, soll die Sterblichkeit aufgrund von NCD um 25 Prozent gesenkt werden.

"Unsere Fähigkeit, die Sozial- und Gesundheitssysteme krisenfest und nachhaltig finanzierbar zu machen, steht und fällt nicht zuletzt damit, ob es gelingt, die globale epidemische Verbreitung von nichtübertragbaren Erkrankungen erfolgreich einzudämmen", sagte Prof. Martin McKee (London School of Hygiene and Tropical Medicine) heute beim European Health Forum Gastein (EHFG). "Nichtübertragbare Erkrankungen wie Diabetes, Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder chronische Lungenbeschwerden stellen auch eine enorme volkswirtschaftliche Belastung dar. Die stufenweise und ressortübergreifende Bündelung, Priorisierung und politisch entschlossene Umsetzung einiger kosteneffektiver Maßnahmen erfordert hingegen nur einen verhältnismäßig geringen finanziellen Mehraufwand." Notwendig seien über die Gesundheitspolitik hinausgehende, sektorenübergreifende Maßnahmenpakete in den einzelnen Ländern, so der Experte, um das UN-Ziel zu erreichen, bis zum Jahr 2025 die durch Lebensstil-Erkrankungen verursachte vorzeitige Mortalität um 25 Prozent zu reduzieren. (25/25 Ziel)

"Resiliente und innovative Gesundheitssysteme in Europa" ist das Motto des diesjährigen EHFG. Mehr als 550 Teilnehmer/-innen aus rund 45 Ländern nutzen Europas wichtigste gesundheitspolitische Konferenz in Bad Hofgastein zum Meinungsaustausch über zentrale Fragen europäischer Gesundheitssysteme.

Nichtübertragbare Krankheiten machen in den 53 Ländern der WHO-Region Europa 77 Prozent der gesamten Krankheitslast aus und sind die Ursache für 86 Prozent aller Todesfälle. Dem Global Status Report der WHO zufolge sind für weltweit 63 Prozent der 57 Millionen jährlichen Todesfälle Lebensstil-Erkrankungen verantwortlich. Alleine in der Europäischen Union wird gemäß den Prognosen der EU-Kommission die Zahl der jährlich durch Krebs verursachten Todesfälle von 1,12 Millionen im Jahr 2000 auf 1,4 Millionen im Jahr 2015 ansteigen. Im Jahr 2030 werden im EU-Raum geschätzte 66 Millionen Menschen an Diabetes leiden.

Volkswirtschaftlicher Risikofaktor

"Gerade in Zeiten von ökonomischer und sozialer Anspannung und Instabilität durch die Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise müssen sich die Regierungen mit höchster politischer Priorität dieses Themas annehmen", so Prof. McKee. Das schon wegen der wachstumshemmenden Auswirkungen: Ein Anstieg der NCD-Häufigkeit von zehn Prozent in einem Land, zeigte eine Berechnung der Weltbank, führt zu einem Minus beim Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozent.

Nationale dreistufige Aktionspläne bieten eine richtige Antwort, sagte Prof. McKee. Diese umfassen drei wesentliche Phasen: Planung, Implementierung und Monitoring. "Die Maßnahmen müssen von allen Regierungsressorts mit starker Unterstützung der politischen Spitze geplant, getragen und umgesetzt werden, das ist keinesfalls nur Aufgabe der Gesundheitspolitik allein", so Prof. McKee. "Und der Erfolg der Maßnahmen wird letztlich auch davon abhängen, wie gut es gelingt, die Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Forschung sowie die Privatwirtschaft für das 25 bis 25-Ziel zu gewinnen."

Tabak- und Salzkonsum reduzieren, Herzinfarkt-Risiko minimieren

Experten/-innen empfehlen, drei wesentliche Problembereiche prioritär zu behandeln: Das Eindämmen des Rauchens, die Reduktion des Salzkonsums und die Vorbeugung von Herzinfarkten und Schlaganfällen bei Risikopatienten/-innen.

"Es gibt bei der Tabakkontrolle erfolgreiche Beispiele in Europa, aber viele Länder hinken noch nach", betonte Prof. McKee. "Wesentliche Elemente einer erfolgreichen Anti-Tabakstrategie sind ein klares politisches Bekenntnis zu diesem Ziel, definierte Zuständigkeiten und ausreichende Ressourcen. Schlüsselfaktoren einer erfolgreichen Strategie sind Preispolitik, einschließlich deutlicher Steuererhöhungen, konsequente Rauchverbote in öffentlichen Räumen, und Beschränkungen beim Marketing wie neutrale Zigarettenpackungen und das Verbot der sichtbaren Platzierung von Zigaretten in Geschäften. Wir müssen auch gegen die massive Präsenz der Tabakindustrie in sozialen Medien und Filmen vorgehen, wo diese die Möglichkeiten des Product-Placement exzessiv nutzt." Der Experte forderte auch, elektronische Zigaretten als Arzneimittel einzustufen und Werbung dafür zu verbieten, "angesichts der Tatsache, wie die Industrie diese Produkte wieder einmal dazu verwendet, das Rauchen zu verherrlichen", sagte Prof. McKee.

Eine andere wesentliche Herausforderung ist die Reduktion des Salzkonsums. "18 Prozent der weltweiten Todesfälle sind durch erhöhten Blutdruck verursacht, der wiederum oftmals mit übermäßiger Salzaufnahme in Zusammenhang steht", berichtete Prof. McKee. "Eine 15-prozentige Reduktion von Salz über zehn Jahre könnte allein in den 23 Ländern, die für 80 Prozent der globalen NCD-Last verantwortlich sind, 8,5 Millionen Todesfälle verhindern. Hier geht es nicht nur um Appelle an gesundheitsbewusstes Verhalten Einzelner. Die Hauptverantwortung liegt bei der Lebensmittelindustrie, denn der größte Teil der Salzbelastung kommt aus industriell verarbeiteten Lebensmitteln."

Als dritte Priorität definierte Prof. McKee beim EHFG die konsequente und leitliniengerechte Behandlung von Menschen mit einem besonders hohen Herz-Kreislaufrisiko. Die Medikamente, die Herzinfarkten und Schlaganfällen wirksam vorbeugen können, sollten leicht zugänglich und möglichst einfach einzunehmen sein, etwa durch die Kombination mehrerer Substanzen in einer Pille zur Behandlung von hohem Blutdruck.

Neben diesen drei Prioritäten sollten Staaten eine Reihe einfacher und kosteneffizienter Maßnahmen umsetzen, um das 25/25 Ziel zu erreichen. Dazu gehören Rahmenbedingungen und gesetzliche Maßnahmen zur Eindämmung des Alkoholmissbrauchs und die Förderung von Bewegung und gesunder Ernährung, letztere nicht zuletzt über eine gezielte Steuerung von Werbung oder Preisen für Lebensmittel, so Prof. McKee.


Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution1762

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
European Health Forum Gastein, Mag. Thea Roth, 03.10.2013
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Oktober 2013

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