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ARTIKEL/1239: Macht ein Landarzt Urlaub? Studenten befragen Praktiker (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 12/2011

Nachwuchs
Macht ein Landarzt Urlaub? Studenten befragen Praktiker

Von Dirk Schnack


Christiane Schmitz-Boye und Johannes Gerber berichteten Kieler Medizinstudenten aus ihrem Alltag als Landarzt. Interesse beim Nachwuchs ist vorhanden.

Macht ein Landarzt Urlaub? Lohnt die Anschaffung eines Sonografiegerätes? Wie funktioniert die allgemeinmedizinische Weiterbildung in der Praxis? Im Hörsaal der Kieler Chirurgie geht es diesen Abend - und wenige Tage später in Lübeck - ganz gezielt um die Landarzttätigkeit. Rund 40 Medizinstudenten sind in den Kieler Hörsaal gekommen, um sich auf Einladung der KV Schleswig-Holstein die Erfahrungen von Dr. Christiane Schmitz-Boye und Dr. Johannes Gerber anzuhören.

Die beiden Landärzte berichten ohne Verklärung und schildern den Studenten auch die unangenehmen Seiten des Berufes. Eine davon ist der auch körperlich anstrengende Praxisalltag. Unter dem Strich aber vermitteln beide ein positives Bild ihrer Tätigkeit, ohne dass sie vorher gesichtet oder von der KV in eine bestimmte Richtung gedrängt wurden. Die praktische Ärztin Schmitz-Boye kann aus der Erfahrung einer 18-jährigen Niederlassung schöpfen und glaubhaft vermitteln: "Ich habe meinen Platz im Leben gefunden." Sie berichtet den Studenten aber auch, dass gerade der Start in die Niederlassung für sie nicht leicht war. Schmitz-Boye ist in Bremen aufgewachsen und hat in Berlin Medizin studiert. Als sie ihren Kommilitonen in der Hauptstadt erzählte, dass sie sich im nordfriesischen Hollingstedt niederlassen wird, reagierten diese zunächst entsetzt: "Was willst Du denn in dem Kaff", lauteten die wenig schmeichelhaften Kommentare zu ihrer Entscheidung, Landärztin in Nordfriesland zu werden.

Auch in der neuen Heimat machten es ihr nicht alle leicht. Es kam schon mal vor, dass Patienten die zeitliche Abgrenzung zum Privatleben nicht akzeptierten - ein Problem, das viele Landärzte kennen. Schmitz-Boye machte ihren Patienten unmissverständlich klar, dass sie Freizeit braucht und nicht rund um die Uhr als ärztliche Ansprechpartnerin zur Verfügung steht. "Man muss allerdings auch bereit sein, Tacheles zu reden", empfiehlt Gerber den Studenten zu diesem Thema. Wer auch Klartext nicht versteht, muss mit den Konsequenzen leben - im Extremfall empfiehlt der in Burg auf Fehmarn in einer alteingesessenen Familienpraxis niedergelassene Gerber einem Patienten auch einen Arztwechsel. Den überraschten Studenten erklärt die gestandene Ärztin mit Blick auf die steigende Nachfrage nach ärztlichen Leistungen dazu: "Wir können uns das leisten."

Beide betonen die Vielseitigkeit des Berufes und rühmen das breite Spektrum der landärztlichen Tätigkeit: Von der Geburt bis zum Totenschein ist alles dabei. Das heißt aber nicht, dass man alles machen muss und auf sich allein gestellt ist. "Wer keine Lust auf Chirurgie hat, kann überweisen", sagt Schmitz-Boye.

Gerber erlebt, dass ein Landarzt alle Sorgen und Nöte der Patienten mitbekommt - er ist auch als Seelsorger und Tröster gefragt. "Man muss immer ein offenes Ohr auch für nicht-medizinische Fragen haben", sagt Gerber. Die enge Beziehung zum Patienten kann Segen und Fluch zugleich sein, wie er an einem Beispiel schildert. Als er den Totenschein für eine Patientin ausstellen soll, entdeckt er ein verdächtiges Hämatom an der Leiche und muss die Kriminalpolizei einschalten. Es stellt sich schließlich heraus, dass eine Handgreiflichkeit zwischen den Ehepartnern zum Sturz der Frau und damit zu ihrem Tod geführt hat. Der Ehemann war ebenfalls über Jahrzehnte Patient in der Praxis von Gerber. Der war sich anschließend zwar sicher, richtig gehandelt zu haben - glücklich, das Hämatom entdeckt zu haben, war er aber nicht.

Natürlich bleibt an diesem Abend auch die Frage nach der Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht aus. Gerber kann auf eine Weiterbildungsassistentin in seiner Praxis verweisen, die als Mutter in Teilzeit arbeitet, beides unter einen Hut bringt und nach seiner Einschätzung mit der Kombination in der Praxis auf Fehmarn sehr zufrieden ist. Schmitz-Boye hat die Doppelbelastung angenommen und als Praxisinhaberin ihre Kinder großgezogen, betont aber auch, dass sie den Alltag mit externer Hilfe gemeistert hat. Sie räumt ehrlich ein: "Als berufstätige Mutter kämpft man immer auch gegen ein schlechtes Gewissen. Aber es gibt für alles eine Lösung." Die kann auf dem Land ganz pragmatisch ausfallen: Ihr kleiner Sohn hat sie eine Zeit lang auf den Hausbesuchen begleitet - die älteren Patienten erinnern sich noch heute gern daran.

Interessiert zeigten sich die Studenten auch an finanziellen Fragen. Die Landärztin sprach dazu Klartext: "Allen, die finanzielle Ängste haben, kann ich sagen: Wer arbeiten kann, verdient mehr als ein Oberarzt an der Klinik." Die Reaktionen im Hörsaal verrieten, dass die Studenten dies als ausreichend einstuften. Allgemein war unter den Medizinstudenten nichts von der oft beschriebenen Ablehnung der landärztlichen Tätigkeit, sondern Aufgeschlossenheit und Interesse zu spüren. Dies zeigte sich auch schon am Nachmittag vor den Vorträgen im Hörsaal der Chirurgie, als die KV Schleswig-Holstein an einem Stand auf dem Unigelände mit geschulten Helfern über die Möglichkeiten der Niederlassung in Schleswig-Holstein informierte. Dabei wurde deutlich, dass sich viele Kieler Medizinstudenten tatsächlich eine Landarzttätigkeit in Schleswig-Holstein vorstellen können. Die erstaunte Nachfrage lautete: "Warum denn nicht?"

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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 12/2011 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2011/201112/h11124a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- Aufmerksame Zuhörer: Viele Medizinstudenten sind an einer Landarzttätigkeit interessiert.
- Dr. Johannes Gerber
- Dr. Christiane Schmitz-Boye

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Dezember 2011
64. Jahrgang, Seite 26 - 27
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Januar 2012

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