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ARTIKEL/1234: Telemedizin - Räumliche Distanz verliert durch den Teledoc an Bedeutung (SHÄB)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 11/2011

Telemedizin

Räumliche Distanz verliert durch den Teledoc an Bedeutung


Die mit Verdacht auf Schlaganfall in Bad Oldesloe eingelieferten Patienten müssen nicht mehr in entfernte Zentren gefahren werden. Erste positive Erfahrungen.

"Bitte strecken Sie beide Arme gerade in die Höhe - sehr gut, vielen Dank", tönt es aus dem Lautsprecher eines Monitors, der an einem mobilen Ständer gleich neben dem Patientenbett befestigt ist. Auf der anderen Seite der "Röhre" befindet sich Neurologin Dr. Katrin Oechel, die trotz der 45 Kilometer Entfernung zwischen der Asklepios Klinik Hamburg-Barmbek und ihrer Schwesterklinik im schleswig-holsteinischen Bad Oldesloe die Anamnese des soeben eingelieferten Patienten vornehmen kann. Vor Ort am Bett befindet sich zusätzlich ein Oberarzt. Er ist unter anderem dabei behilflich, den Kontakt herzustellen und das Gerät so zu justieren, dass selbst kleinste Ausschnitte des Gesichts nach Hamburg übertragen werden können. Gemeinsam mit dem Kollegen vor Ort gelingt es der Neurologin mittels unterschiedlicher Bewegungstests und Fragestellungen, die Annahme Schlaganfall zu bestätigen oder zu verwerfen.

Rund 250 bis 300 Schlaganfälle erreichen die Klinik im Kreis Stormarn jedes Jahr. Das kritische Zeitfenster liegt für sie bei 4,5 Stunden. Stunden, in denen es maßgeblich darum geht, Folgeschäden zu minimieren beziehungsweise eine Lebensqualität zu erhalten, die der Zeit vor dem Schlaganfall nahekommt. Gelingt es, den Patienten in diesem Zeitfenster neurologisch zu untersuchen und zu diagnostizieren, bestehen mittels Lysetherapie gute Aussichten auf Erfolg. Die technische Neuerung, die unter dem Namen Teledoc seit August in Bad Oldesloe in Betrieb ist, überwindet räumliche Grenzen und eröffnet damit Behandlungsmöglichkeiten, die keine zeitfressenden Transporte oder Wartezeiten nötig machen. Wie wichtig das ist, zeigt die Tatsache, dass etwa alle drei Minuten in Deutschland ein Mensch einen Schlaganfall erleidet.

Zur Implementierung des Teledoc-Projektes kooperiert Oldesloe mit dem Haus in Hamburg Barmbek. Nach einem festgelegten Dienstplan ist jeweils ein Facharzt für Neurologie ständig erreichbar. Hierbei haben die teilnehmenden Kollegen - d.h. die Neurologin der Klinik in Bad Oldesloe und die diensthabenden Oberärzte der Neurologischen Klinik in Barmbek - die Möglichkeit, auch ortsunabhängig über Laptop mit dem Teledoc den Patienten zu untersuchen und mit den beteiligten Ärzten vor Ort das weitere diagnostische und therapeutische Vorgehen abzustimmen. In der telemedizinischen Beratung legen die Fachärzte die weitere Therapie fest. Darüber hinaus bietet Barmbek Bad Oldesloe die Möglichkeit, in der dortigen neuro-radiologischen Abteilung Zweitmeinungen einzuholen und mögliche Eingriffe vorzunehmen. In dieser Abteilung werden monatliche neurovaskuläre Konferenzen organisiert, an denen Ärzte aus Bad Oldesloe teilnehmen. Gemeinsame Fälle können hier diskutiert werden. Sollte sich die Indikation zu einer Notfallangiografie ergeben, ist dies ebenfalls in der Neurologischen Klinik der Asklepios Klinik Hamburg Barmbek zeitnah möglich.

Der Teledoc steht als mobile Workstation für die gleichzeitige Bildübertragung und medizinische Videokommunikation zur Verfügung. Die Kommunikation zwischen Arzt und Patient erfolgt standortunabhängig in hoher Bild- und Transportqualität. Bei der Einführung des Teledoc wurde Wert darauf gelegt, die vorhandene Netzwerk- und Domänenstruktur des Asklepios Konzerns zu nutzen und einzubinden. Über eine Direktverbindung ist von Barmbek aus dauerhaft eine Aufschaltung auf den Teledoc möglich. Die Bereitschaftsärzte greifen von zu Hause über einen eigenen Internetanschluss oder per UMTS auf den Teledoc zu. Über eine VPN-Verbindung mit Smart-Card-Authentifizierung ist eine Übertragung von bis zu vier MB und 25 Bildern pro Sekunde möglich.

Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, in kurzer Zeit computertomografische und kernspintomografische Bilder aus Bad Oldesloe nach Barmbek mit Zugriffsmöglichkeit für die diensthabenden neurologischen Fachärzte zu senden. Die Neurologen aus Barmbek sind im ePortal des Bad Oldesloer KIS Orbis eingerichtet und können sich über den Terminalserver in Bad Oldesloe einwählen. Um einen direkten Zugriff zu ermöglichen, werden die Bilder von der in Bad Oldesloe tätigen MTA über das ePortal für den diensthabenden Neurologen freigeschaltet. Auf diese Weise werden Umwege (z.B. Anbindung über RIS/PACS der Radiologie in Hamburg) vermieden und eventuell entstehende Wartezeiten ausgeschlossen.

Die Funktionalität und Effektivität des Systems lässt sich an einem Beispiel erläutern: die erste Patientin für den Teledoc. Die 73-Jährige war am Abend gegen 22:00 Uhr plötzlich verwirrt, hatte Wortfindungsstörungen und den Angehörigen fiel eine lallende Sprache auf, sodass sie die stationäre Aufnahme im Krankenhaus in Bad Oldesloe veranlassten. Um 23:00 Uhr war die Patientin in der Klinik. Dort zeigte sie weiterhin eine fluktuierende Sprachstörung. Es wurde ein CCT durchgeführt, das einen unauffälligen Befund erbrachte. Die diensthabende Internistin musste daraufhin die Entscheidung treffen, ob die Patientin einen Schlaganfall erlitten hatte und mit einer Lysetherapie behandelt werden sollte. Über den Teledoc erfolgte gegen 0:30 Uhr die neurologische Untersuchung der Patientin durch Neurologin Dr. Katrin Oechel von Hamburg aus. Hier zeigte sich die Patientin psychomotorisch verlangsamt, war nicht voll orientiert, antwortete aber adäquat auf alle Fragen und konnte auf Aufforderung der Ärztin Arme und Beine heben, Hirnnervenausfälle waren nicht zu beobachten. Aufgrund der Betrachtung der CCT-Bilder und der klinischen Untersuchung im "Lysefenster" von 4,5 Stunden lautete die neurologische Diagnose: Verdacht auf Serie komplex-fokaler epileptischer Anfälle - und es erfolgte keine Lysetherapie. Am nächsten Morgen wurde im EEG ein weiterer epileptischer Anfall aufgezeichnet und somit die Diagnose bestätigt.

Zusammenfassung: In der internistischen Abteilung der Asklepios Klinik Bad Oldesloe ist es gelungen, die Akutversorgung von Schlaganfallpatienten neurologisch fundiert sicherzustellen. Die Akutversorgung außerhalb der Regelzeiten erfolgt über Telekonsile. Jedoch ist im Unterschied zu anderen Telemedizin-Projekten für den weiteren stationären Verlauf die neurologische Diagnostik und Therapie durch eine neurologische Fachärztin vor Ort gesichert. Die Herausforderung der Telekonsile liegt in der Herstellung der mobilen Kontakte zwischen Teledoc und den Neurologen, die während ihrer Dienste in der Rufbereitschaft über einen Laptop erreichbar sind.

Die bisherigen Erfahrungen sind positiv. Das Krankenhaus lobt die rund 25.000 Euro teure Anschaffung, weil sie nach seiner Ansicht "unmittelbar die höchstmögliche, kompetente, wohnortnahe Betreuung von Schlaganfallpatienten" ermöglicht. Fest steht, dass der Einsatz des Teledoc längere Anfahrtszeiten von Patienten mit Schlaganfall in entferntere Kliniken verhindern hilft. Eine flächendeckende Verbreitung ist noch nicht gegeben, in Schleswig-Holstein ist der Teledoc nach Angaben der Klinik Bad Oldesloe derzeit noch einzigartig. Das nächste Gerät soll im niedersächsischen Goslar im Einsatz sein. Konzernintern stieß der Teledoc auf hohe Zustimmung: Bad Oldesloe wurde für den Einsatz des Teledoc mit dem "Asklepios Award" ausgezeichnet. (PM/Red)

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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 11/2011 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2011/201111/h11114a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Patient in Oldesloe, Neurologe in Hamburg: Teledoc macht es möglich.

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt November 2011
64. Jahrgang, Seite 32 - 33
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Dezember 2011

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