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ARTIKEL/1515: Landarzt - Wandel der Versorgung ... vom Landarzt zum Patientenbus (KBV klartext)


KBV Klartext
Das Magazin der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, 2. Ausgabe 2019

Wandel der Versorgung - vom Landarzt zum Patientenbus

von Tabea Breidenbach


Menschen werden älter, Ärzte also auch. Junge Menschen ziehen in die Stadt, Medizinstudierende also auch. Kombiniert ergibt sich die Herausforderung, die medizinische Versorgung in Deutschland, in der Stadt und auf dem Land, zu gestalten.


"Dorf sucht Arzt" - "Arzt sucht Nachfolger". So geht es vielen Gemeinden und Ärzten in ländlichen Gebieten. Der Grund: Junge Mediziner zieht es in die Städte. Damit sind sie Teil eines gesamtgesellschaftlichen Trends - die deutsche Gesellschaft ist urbanisiert: 77 Prozent der Menschen leben in Städten oder Ballungsgebieten, nur 15 Prozent in Dörfern mit weniger als 5000 Einwohnern. Attraktiver ist der städtische Raum, dort gibt es Arbeit, öffentlichen Nahverkehr, Einkaufsmöglichkeiten, Kulturangebote sowie Kindergärten und Schulen. Wo die Menschen wegziehen, schwindet hingegen die Infrastruktur.

"Ärzte sind häufig die letzten, die gehen -davor haben längst schon der Bäcker vor Ort oder die Post geschlossen", sagt Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Es sind vor allem Ärzte der älteren Generation, die sich um die ebenfalls alternde (Land-)Bevölkerung kümmern - so lange, bis sie selbst in den Ruhestand gehen. Häufig arbeiten sie länger und weit über ihr geplantes Rentenalter hinaus, denn einen Nachfolger zu finden ist schwierig. Jeder dritte Hausarzt ist bereits über 60 Jahre alt, viele von ihnen werden in den kommenden Jahren ihre Praxis abgeben wollen. Der demografische Wandel macht weder vor Ärzten noch vor ihren Patienten halt. Die durchschnittliche Lebenserwartung der Deutschen liegt bei 80,6 Jahren. Die Patienten werden immer älter, haben oft multimorbide Krankheitsbilder und brauchen umfassende Betreuung - nicht nur durch den Hausarzt, auch durch Fachärzte. Der doppelte Strukturwandel betrifft ganz Deutschland und ändert auch die Anforderungen an das Gesundheitssystem.


Unterversorgung nicht nur auf dem Land

Das Nachwuchsproblem wird durch den Wandel der Versorgungsstruktur verschärft: Bis 2025 werden durch Anstellung und reduzierte Arbeitszeiten 11,8 Prozent der ärztlichen Arbeitszeit und damit der Versorgungskapazität wegfallen. Das Bundesarztregister der KBV zeigt: Die Zahl der Ärzte hat 2018 zugenommen, um 1,5 Prozent zum Vergleichsjahr 2017. Da jedoch viele in Teilzeit arbeiten, stieg die Kapazität insgesamt nur um 0,2 Prozent. "Es fehlt nicht nur an Ärzten, auch an ärztlicher Behandlungszeit - und das sowohl auf dem Land, als auch in Städten", fasst Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender KBV-Vorstandsvorsitzender, zusammen.

Einige Gemeinden nehmen die Suche nach einem Hausarzt daher selbst in die Hand. Beispielsweise Kaltenkirchen, eine Kreisstadt mit gut 21.000 Einwohnern in Schleswig-Holstein: 10.000 Euro bekommt ein Arzt, der sich dort niederlässt und für fünf Jahre bleibt - es haben sich schon Interessenten gemeldet. "Bereits Kleinstädte sind auf der Suche nach Ärzten, das zeigt: Einen Arzt zu finden, das ist nicht nur ein Problem ländlicher Regionen", so Hofmeister. Land ist außerdem nicht gleich Land. "Am Starnberger See wird sich immer jemand niederlassen wollen, andere Regionen sind einfach unattraktiv - für Ärzte und Bevölkerung gleichermaßen", veranschaulicht KBV-Chef Gassen. Während also einige Landstriche entvölkert werden, prosperieren andere Gemeinden und profitieren beispielsweise von der Nähe zu Ballungsgebieten. Doch selbst in einigen städtischen Gebieten, wo viele Menschen auf engerem Raum leben, fehlt es an Ärzten. So droht Chemnitz, einer Mittelstadt mit 240.000 Einwohnern, die Unterversorgung.

In den Stadtstaaten und Metropolen liegt die Versorgungsdichte zwar üblicherweise auf insgesamt hohem Niveau, doch die Verteilung innerhalb der Stadtteile ist teilweise sehr unterschiedlich. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berlin weist etwa für Kinderärzte in Berlin-Neukölln einen Versorgungsgrad von rund 90 Prozent aus, in Steglitz-Zehlendorf steht dem ein Niveau von 184 Prozent gegenüber. Noch gravierender sind die Unterschiede bei der psychotherapeutischen Versorgung - die Differenz liegt hier zwischen den Berliner Stadtteilen Marzahn-Hellersdorf (60,1 Prozent) und Charlottenburg-Wilmersdorf (415,4 Prozent) bei 355,1 Prozent.


Vom Dorfarzt zum Arztdorf

Der Gemeinsame Bundesausschuss hat kürzlich die Bedarfsplanungs-Richtlinie angepasst. Demnach sind ab 1. Juli diesen Jahres rund 3500 weitere Stellen in der Bedarfsplanung vorgesehen, davon etwa 1500 für Hausärzte. "Doch auch wenn es einen Mehrbedarf an Ärzten gibt, wir können sie nicht aus dem Ärmel schütteln", betont Gassen und ergänzt: "Planung auf dem Papier sieht gut aus, kann aber den Mangel als solchen nicht beseitigen." Der Zuzug von Ärzten aus dem Ausland könne und solle die Lücke nicht füllen. "Das kann nicht die Lösung sein - wir sollten den sogenannten Braindrain, also die Abwanderung hochqualifizierter Fachkräfte aus ihren Herkunftsländern, nicht auch noch unterstützen und so das Ausbluten der dortigen Versorgung billigend in Kauf nehmen", so Gassen.

"Wir müssen langfristig überlegen, wie wir mit den gesellschaftlichen Entwicklungen umgehen und bis dahin die Ärzte strategisch so platzieren, dass sie die Versorgung für größere Gebiete sichern können", betont Hofmeister. Dabei gebe es auch ganz praktische Dinge zu bedenken: "Insbesondere in ländlichen Regionen ist eine Praxis erst ab einer gewissen Anzahl an Patienten überhaupt wirtschaftlich tragbar. Schon deshalb können wir die Ärzte nicht dahin schicken, wo alle wegziehen", erläutert der stellvertretende KBV-Chef. Der Wunsch nach einem Arzt in jedem Dorf sei heute häufig nicht mehr realisierbar, so Hofmeister. Es sei außerdem im Interesse der Patienten, dass ihr Arzt eine gewisse Anzahl an Behandlungen vornimmt und mit den Eingriffen vertraut ist, ergänzt er. Daher könnte eine Konzentration von Ärzten in Gemeinschaftspraxen, Mediznischen Versorgungszentren (MVZ) oder Integrierten Gesundheitszentren in größeren Ortschaften sinnvoll sein, wo sie mehr Patienten behandeln und Eingriffe routinemäßig anbieten können. Bisher sind MVZ jedoch eher in Städten als auf dem Land vertreten. "Das könnte sich ändern und eine Option für die Versorgung auf dem Land darstellen", so Hofmeister.

In eine ähnliche Richtung denkt auch die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Saarland, die in ihrem Versorgungsbericht 2019 das Konzept der "Gesundheitsdörfer" ins Spiel gebracht hat. Die Idee: Die medizinische Versorgung soll gezielt im Zentrum einer Gemeinde gebündelt werden. In ein solches Gesundheitsdorf integriert wären Ärzte, Apotheken, Rehabilitationseinrichtungen, Wohnungen, Kindergärten, Einkaufsmöglichkeiten, Restaurants, Spielplätze, Fitness- und Freizeitmöglichkeiten, um den Standort zu stärken und für den ärztlichen Nachwuchs attraktiv zu gestalten. "Die Wege zu solchen Zentren wären zwar etwas weiter, aber für einen bestimmten Spezialisten nehmen die Leute auch heute schon eine etwas längere Anfahrt in Kauf", sagt Hofmeister und ergänzt: "Blickt man außerdem ins europäische Ausland, beispielsweise nach Schweden, so sind die Entfernungen hierzulande gar nicht vergleichbar." Aktuell liegt die durchschnittliche Anfahrtszeit zum Hausarzt für 90 Prozent der Bevölkerung bei elf Minuten, 99,8 Prozent müssen zu ihrer Hausarztpraxis nur zehn Kilometer fahren.


Mit der Quote aufs Land?

Das jüngste "Berufsmonitoring Medizinstudierende" der KBV und der Universität Bayreuth hat ergeben, dass der ärztliche Nachwuchs zwar gerne in Heimatnähe bleibt, ländliche Gemeinden aber kaum in Frage kommen. Mehrere Bundesländer haben oder planen deshalb eine Landarztquote im Studium. Die Idee: Zehn Prozent der Studienplätze könnten vorab an Bewerberinnen und Bewerber vergeben werden, die sich verpflichten, nach ihrem Abschluss für bis zu zehn Jahre als Hausarzt in unterversorgten beziehungsweise durch Unterversorgung bedrohten ländlichen Regionen zu arbeiten. Halten sich die Studierenden nicht an die vertragliche Vereinbarung, sind Strafzahlungen vorgesehen. Diese können beispielsweise in Nordrhein-Westfalen bis zu 250.000 Euro betragen.

"Bei der Quote besteht die Gefahr, dass der Beruf 'Landarzt' durch die gesonderte Studienplatzvergabe stigmatisiert wird - obwohl alle Studierenden die gleichen Kurse belegen und die gleiche, hochwertige Ausbildung erhalten", warnt Hofmeister. Hinzu kommt: Die Studierenden stehen als fertig aus- und weitergebildete Ärzte frühestens in zwölf Jahren für die Versorgung zur Verfügung. Den prognostizierten Bedarf an neuen Hausärzten decken sie auch dann nicht, wenn alle diesen Beruf ergreifen. Laut einer neuen Studie des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung fehlen bis zum Jahr 2035 pro Jahr bis zu 6000 Studienplätze. Um für die Zukunft gewappnet zu sein, müssen also weitergehende Maßnahmen unternommen werden. Einige Universitäten versuchen, durch spezielle Programme Studierende von Beginn an für die Themen Allgemeinmedizin und Landarzt zu gewinnen, beispielsweise die Uni Leipzig mit den Projekten LeiKa (Leipziger Kompetenzpfad Allgemeinmedizin) und MiLaMed (Mitteldeutsches Konzept zur longitudinalen Integration Landärztlicher Ausbildungsinhalte und Erfahrungen in das Medizinstudium, (siehe unten "Drei Fragen an ...")


Alternative Konzepte und neue Ideen

Die Herausforderungen, die eine zukünftige Versorgung im Angesicht der gesellschaftlichen Trends mit sich bringt, sind längst ins Bewusstsein gerückt. Umfragen wie das Berufsmonitoring Medizinstudierende 2018 zeigen zwar, dass das Interesse an Allgemeinmedizin und hausärztlicher Tätigkeit steigt - doch dieses Interesse will gepflegt und muss unterstützt werden, damit junge Ärztinnen und Ärzte sich tatsächlich niederlassen. Neben Beratungs- und Unterstützungsangeboten versuchen KVen, Städte und Gemeinden, aber auch Ärzte selbst, neue Wege zu gehen, um die Versorgung ihrer Region zu sichern und Nachwuchs zu werben: Ärzte inserieren auf ebay ihre Praxen oder verschenken diese gar, Gemeinden organisieren Landpartien für Studierende, bei denen Politiker und Niedergelassene für ihre Region werben. KVen betreiben eigene Praxen, um jungen Ärzten die Vorteile einer Niederlassung schmackhaft zu machen. In diesen sogenannten Eigeneinrichtungen werden Ärzte zunächst von der KV angestellt und damit von den Pflichten und Risiken einer Selbstständigkeit entlastet, die Praxisräume sind voll ausgestattet. Die Ärzte können diese jederzeit auf Wunsch übernehmen und sich selbstständig machen, um die Versorgung vor Ort langfristig zu sichern. Gemeinden, Städte und KVen locken außerdem mit Stipendien für Studierende und Investitionszuschüssen für Praxen.

Wenn es keinen Nachwuchs gibt, werden alternative Konzepte erprobt. Im niedersächsischen Leer hat die KV 2017 einen Patientenbus angeboten, der die Menschen gegen einen geringen Fahrpreis einsammelt, zum Arzt und wieder zurück bringt - oder das Taxi zahlt, sollte wegen Wartezeiten beim Arzt der Bus nicht mehr erreichbar sein. Auch in Bayern fährt ein Ärztebus die Patienten zum Arzt. Umgekehrt kommen in Nord- und Osthessen die Ärzte zu den Patienten. Mit dem "Medibus" werden in festgelegter Reihenfolge Gemeinden angefahren, die keine oder zu wenige Hausärzte haben (siehe Kasten). Der Bus ist wie eine Arztpraxis ausgestattet und ermöglicht in den meisten Fällen eine Vor-Ort-Behandlung.

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VON DORF ZU DORF

Der Medibus, die mobile Arztpraxis der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen, fährt seit Juli 2018 durch hessische Gemeinden. Der umgebaute Bus ist ausgestattet mit einem Wartebereich, einem Labor, einem EKG und einem kleinen Behandlungsraum. Ein Facharzt für Allgemeinmedizin ist mit an Bord. Die mobile Praxis sorgt für die Sicherstellung der wohnortnahen allgemeinmedizinischen Versorgung und eine Entlastung der Hausärzte in ländlichen Regionen Nordhessens. Dazu fährt der Medibus nach einem festen Fahr- und Zeitplan verschiedene Gemeinden in der Region an, um die Patienten vor Ort zu versorgen. Das Projekt ist in Kooperation mit der Deutschen Bahn (DB) entstanden. Die DB sieht in dieser Form der Versorgung Potenzial für die Zukunft und plant, weitere Busse auszustatten und als mobilen Service anzubieten.
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Assistenz- und Delegationsmodelle wie VERAH® oder "Agnes" sind schon länger Bestandteil der Versorgung und sollen den Arzt entlasten. Sie können jedoch nur bestimmte Aufgaben übernehmen und den Arzt nicht ersetzen. "Oft wird Telemedizin als Allheilmittel für die ländliche Versorgung genannt. Aber sie kann höchstens ein Add-on sein", so KBV-Vize Hofmeister. Die ersten Schritte sind getan, fast alle Ärztekammern haben hierfür ihre Berufsordnungen geändert und für Fernbehandlung geöffnet. Beispiel Videosprechstunde: Sowohl Arzt als auch Patient sparen sich Weg und Zeit - und die Sprechstunde per Videochat ist zeitlich flexibler. Ärzte sollen künftig auf ihren Websites dafür werben dürfen. In Baden-Württemberg behandeln Ärzte ihre Patientinnen und Patienten bereits per Telefon oder online (siehe Kasten unten). Der Arzt sollte den Patienten allerdings vorher schon mindestens einmal gesehen haben, und viele Behandlungen erfordern weiterhin, dass der Arzt den Patienten gegenüber sitzt und sie körperlich untersuchen kann. Auch die WHO ist der Ansicht, dass der persönliche Kontakt durch Telemedizin nicht vollständig ersetzt werden kann. Telemedizinische Angebote können die Versorgung ergänzen und auch Patienten in ländlichen Regionen erreichen - zumindest in der Theorie. Denn dafür gibt es eine Voraussetzung, die bisher nicht erfüllt ist. "In Deutschland gibt es noch keinen flächendeckenden Breitbandausbau. Für eine erfolgreiche Digitalisierung des Gesundheitswesens, also auch der Hausarztpraxen hierzulande, brauchen wir erst einmal die nötige Infrastruktur", mahnt Dr. Thomas Kriedel, Vorstandsmitglied der KBV.

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ARZT AM APPARAT

"Smart zum Arzt - lassen Sie sich ohne Terminvereinbarung von einem kompetenten Arzt beraten: Komfortabel und absolut diskret von zuhause aus via Telefon, App oder Chat." So bewirbt die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg ihr Modellprojekt docdirekt, das seit April 2018 läuft. Zunächst auf die Stadt Stuttgart sowie den Landkreis Tuttlingen beschränkt, wurde das Angebot nach erfolgreicher Testphase inzwischen auf das ganze Bundesland ausgeweitet. Alle gesetzlich versicherten Patienten in Baden-Württemberg können docdirekt in Anspruch nehmen. Speziell für Telemedizin geschulte Hausärzte beraten montags bis freitags von 9 bis 19 Uhr per Telefon und/oder Video. Dem Projekt vorausgegangen war die Aufhebung des Fernbehandlungsverbotes durch die baden-württembergische Landesärztekammer.
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Zeiten ändern sich, die Versorgung mit ihnen

Die Zeit für das Gespräch per Videoschaltung und die anschließende Dokumentation wendet der Arzt dennoch auf - und die Ressource Arztzeit ist knapp. Das liegt nicht nur daran, dass ältere Ärzte, die meist 52 Wochenstunden oder mehr in eigener Praxis arbeiten, zunehmend aus der Versorgung ausscheiden. Auch der Trend zur Anstellung mit weniger Stunden pro Woche verschärft diese Entwicklung. Junge Mediziner, das zeigt das Berufsmonitoring Medizinstudierende, können sich eine Niederlassung zwar gut vorstellen (74,3 Prozent), doch auch der Wunsch nach Arbeit in Anstellung ist groß (90,2 Prozent). Der Hintergrund: Sie legen Wert auf ihre Work-Life-Balance und die Vereinbarkeit von Familie und Arbeit. Zudem schrecken Bürokratie, das finanzielle Risiko bei einer Niederlassung und die Angst vor drohenden Regressforderungen den medizinischen Nachwuchs davon ab, sich selbstständig zu machen. Auch kleinteilige Vorgaben, wie sie kürzlich durch das Terminservice- und Versorgungsgesetz für die Haus- und Fachärzte erlassen wurden, wirken sich negativ aus. Selbst wenn Niederlassungswünsche bestehen, möchten rund 43 Prozent der befragten Studierenden nicht auf dem Land arbeiten - ein Drittel nicht einmal in einer Stadt mit 10.000 Einwohnern.

Doch immer wieder gibt es auch Erfolgsgeschichten. Lokalzeitungen berichten, dass ein junger Arzt sich in einer Praxis in der ländlichen Region niedergelassen hat und nun dankbare Patienten versorgt. Solche Einzelfälle könnten sich in Zukunft häufen - hat doch der Trend der Urbanisierung gestoppt, wie die Studie "Trend Reurbanisierung?" der Bertelsmann-Stiftung zeigt. Gründe hierfür: Auf dem Land ist das Wohnen günstiger, in der Umgebung und in Klein- und Mittelstädten gibt es durch lokale Firmen häufig eine größere Jobsicherheit als in Großstädten und die Natur ist nah. All diese Faktoren reizen auch viele Ärztinnen und Ärzte. Außerdem ist ihnen die Nähe zu Patienten wichtig, die sie im ländlichen Raum oft ein Leben lang begleiten können. Dabei ist das medizinische Spektrum an Erkrankungen groß und abwechslungsreich. KBV-Vize Hofmeister ist überzeugt: "Die Versorgung hierzulande ist gut, sie wird sich der gesellschaftlich-demografischen Entwicklung anpassen." Dort, wo die Bedingungen attraktiv sind oder attraktiv gestaltet werden, wird es auch Infrastruktur geben und somit Ärzte - für die Patienten dann auch mal zwei Dörfer weiter fahren.

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DREI FRAGEN AN ... DR. Tobias Deutsch,
Universität Leipzig, Koordinator des Projekts MiLaMed

Gemeinsam mit der Uni Halle-Wittenberg arbeitet die Uni Leipzig an dem Projekt MiLaMed (Mitteldeutsches Konzept zur longitudinalen Integration Landärztlicher Ausbildungsinhalte und Erfahrungen in das Medizinstudium). Was verbirgt sich dahinter?

Das vom Bundesgesundheitsministerium geförderte Lehrprojekt möchte die Besonderheiten und Herausforderungen der Versorgung außerhalb der Großstädte stärker in das Medizinstudium einbeziehen. Zudem sollen Studierende in Zusammenarbeit mit vier von Unterversorgung bedrohten Modellregionen Mitteldeutschlands vermehrt für kleinstädtisch-ländliche Praktika gewonnen werden. Nach einer einjährigen Entwicklungsphase möchten wir das Konzept zwei Jahre erproben und evaluieren.

Was versprechen Sie sich von einer explizit landärztlichen Ausrichtung des Studiums?

Es ist keineswegs so, dass das ganze Studium landärztlich ausgerichtet werden soll. Vielmehr sollen Lehrinhalte zur Versorgung im ländlichen Raum das Curriculum an geeigneten Stellen ergänzen. Da werden unter anderem Schnittstellenthematiken eine Rolle spielen, aber auch aktuelle Versorgungskonzepte wie Telemedizin oder die Delegation ärztlicher Leistungen an qualifizierte Versorgungsassistenten. Schön wäre, das Themengebiet möglichst im Längsschnitt und fächerübergreifend einzubinden, damit die Studierenden während ihrer Ausbildung immer wieder damit in Kontakt kommen können. Wir möchten den ärztlichen Nachwuchs für diese Inhalte interessieren, im besten Fall begeistern, und eventuelle Vorurteile hinsichtlich der Versorgung im ländlichen Raum abbauen. Praktika in regionalen Krankenhäusern und Lehrpraxen mit engagierten ärztlichen Rollenvorbildern können da erfahrungsgemäß viel bewirken.

Außerdem möchten wir natürlich auch ein Kennenlernen der Regionen selbst fördern, um sie als möglichen späteren Arbeitsort attraktiv zu machen.

Wie reagieren Kommunen und Niedergelassene in den involvierten Regionen auf das Projekt?

Wir sind noch am Beginn des Projektes. Die Gewinnung neuer Lehrpraxen in den Regionen ist eine der aktuell anstehenden Aufgaben. Aus den Erfahrungen mit unseren bestehenden Lehrpraxen-Netzwerken und auch aus einer von uns durchgeführten Studie zur Bereitschaft von Niedergelassenen zum Engagement in der Studierendenausbildung wissen wir aber, dass da eine große Offenheit besteht.

Die Möglichkeit, etwas für die Zukunft der eigenen Region beizutragen, könnte zusätzlich motivieren. Die bisher kontaktierten Kommunen und Landkreise sind durchweg sehr an einer Zusammenarbeit interessiert. Vielerorts bestehen schon tolle Initiativen, oft fehlt es jedoch an einer direkten Ansprache der Studierenden. Diese Lücke möchten wir schließen.

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Quelle:
KBV Klartext, 2. Ausgabe 2019, Seite 4 - 8
Kassenärztliche Bundesvereinigung
Redaktion Klartext
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E-Mail: redaktion@kbv.de
Internet: www.kbv.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. September 2019

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