Schattenblick → INFOPOOL → MEDIZIN → GESUNDHEITSWESEN


ARTIKEL/1513: Ambulante Versorgung in ländlichen Regionen - Ärzte an mehreren Orten präsent (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 7-8/2019

SERIE
An mehreren Orten präsent

von Dirk Schnack


Mehrere Ärzte, mehrere Standorte: Die Überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft (ÜBAG) ermöglicht das Arbeiten im Team und an wechselnden Orten und ist geeignet, junge Ärzte für die ländliche Versorgung zu begeistern.

Anfang Texteinschub
Info

Überörtliche Berufsausübungsgemeinschaften (ÜBAG) sind zulassungsrechtlich Gemeinschaftspraxen. Ihre Besonderheit: Die beteiligten Ärzte praktizieren nicht an einem, sondern an mehreren Orten. Die dezentrale Kooperation kann so organisiert sein, dass Ärzte wechselseitig an den Standorten tätig werden, sie können aber auch jeder ihren ständigen Sitz behalten.
Ende Texteinschub


Überörtliche Berufsausübungsgemeinschaften ermöglichen ein breites Angebot an Versorgungsleistungen und können eine Praxis überregional etablieren. Sie helfen aber auch, Versorgung vor Ort zu sichern. Wie das gelingt, zeigt das Beispiel einer allgemeinmedizinischen ÜBAG im Raum Mittelholstein. Keimzelle dieser ÜBAG ist die Gemeinde Groß Vollstedt. In dem kleinen Ort mit 1000 Einwohnern befindet sich der Stammsitz der Gemeinschaft mit insgesamt vier Standorten (Groß Vollstedt, Nortorf, Rendsburg und Aukrug), acht Kassenarztsitzen und 24 Mitarbeitern. Die ÜBAG besteht nicht wie die Mehrzahl dieser Organisationsformen aus Spezialisten für einzelne Fachgebiete, sondern aus Fachärzten für Allgemeinmedizin; sie organisieren die hausärztliche Versorgung in einer ganzen Region.

Entstanden ist der Zusammenschluss aus einer dreiköpfigen Gemeinschaftspraxis, die schon seit 1982 in Groß Vollstedt existierte. Inzwischen haben die meisten Ärzte gewechselt und das Alter der fünf Partner reicht heute von 38 bis 69 Jahren. Neben dem jüngsten Allgemeinmediziner Dr. Robert Lawrenz und dem hausärztlichen Internisten Dr. Reinhold Turek, der seinen Ausstieg zum Jahresende plant, gehören noch die Allgemeinmediziner Dr. Angela Pape und Ullrich Krug sowie die hausärztliche Internistin Dr. Juliane Rump zu den Partnern. Angestellt sind die Allgemeinmediziner Dr. Kristina Lüken, Dr. Christine Körbächer und Jürgen Aschmann sowie zwei Weiterbildungsassistenten. Das jedoch kann sich ändern. Lawrenz etwa war zunächst Weiterbildungsassistent in dem Verbund und später angestellter Arzt, als Aschmann noch Partner war. Inzwischen haben die beiden die Rollen getauscht.

Genau dies nennen Experten immer wieder als einen wichtigen Vorteil von Überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaften: Junge Mediziner entscheiden sich gerne für solche ambulanten Verbünde, weil diese ihnen Teamarbeit und auch das Arbeiten an verschiedenen Standorten ermöglichen. Zudem ist es für einen Verbund leichter, den fachlichen Ansprüchen von Weiterbildungsassistenten gerecht zu werden. Ein weiterer Vorteil für die beteiligten Ärzte ist die gegenseitige Vertretungsmöglichkeit bei Krankheit oder im Urlaub.

Zurück nach Groß Vollstedt: Auch Rump hat als angestellte Ärztin an einem der Standorte des Zusammenschlusses in Mittelholstein angefangen und ist inzwischen Partnerin der ÜBAG - wie ihr Kollege Lawrenz. "Als angestellter Arzt hat man nie hundertprozentige Sicherheit über den Standort, an dem man langfristig arbeiten wird. Das war mir als junger Familienvater wichtig, außerdem wollte ich mitgestalten und mitbestimmen", nennt Lawrenz seine Motive für den Einstieg als Partner.

Aschmann dagegen war froh, einen jungen Kollegen gefunden zu haben, der langfristig hilft, die Versorgung in der Region aufrechtzuerhalten. Denn die Hausärzte sehen sich in der Verantwortung, die Versorgung mit zu gestalten, nicht nur in Groß Vollstedt, sondern auch an ihren anderen Standorten. Dass ausgerechnet der kleinste dieser Standorte der Stammsitz mit einer über 300 Quadratmeter großen Praxis ist, erklären die Ärzte mit den gewachsenen Strukturen - die neuen Standorte sind im Laufe der Jahre hinzu gekommen. Es könnten noch mehr sein, wie Ullrich Krug berichtet: "Uns wurden weitere Kassenarztsitze angeboten, aber uns fehlen die Ärzte", sagt er. Hinzu kommt der organisatorische Aufwand, den die Ärzte betreiben, um in vier unterschiedlichen Orten präsent zu sein und sich dennoch regelmäßig auszutauschen und dem 24-köpfigen Team ein Wir-Gefühl zu vermitteln. Ärzte und Teams kommen dafür regelmäßig zusammen und werden bei Bedarf auch wechselseitig eingesetzt. "Alle Bedürfnisse des Teams unter einen Hut zu bringen, ist eine Herausforderung", räumt Krug ein. Das betrifft etwa die Urlaubsplanung, eine Aufgabe, die Dr. Angela Pape übernommen hat. Organisatorisch leichter wäre es für den Verbund, die jeweils zwei Arztsitze aus Rendsburg und Aukrug zu verlegen und in Groß Vollstedt und Nortorf zu integrieren. Das aber ist nicht nur planungsrechtlich schwierig, sondern auch den Patienten in diesen Orten kaum vermittelbar - und um die geht es den Hausärzten.

Für junge Kollegen ist der Verbund dennoch attraktiv. "Wir haben ein breites Spektrum, jeder Arzt hat seine eigenen Spezialisierungen", nennt Turek einen der Vorteile. Ein anderer ist die Möglichkeit, an den vier Standorten unterschiedliche Bedingungen der Niederlassung kennenzulernen. Auch der Verdienst ist attraktiv: Im Verbund bekommt jeder Partner den gleichen Anteil aus der Praxistätigkeit ausgezahlt - unabhängig davon, wo er eingesetzt war und wie viele Patienten er behandelt hat. "Junge Ärzte müssen sich einarbeiten und brauchen länger. Sie arbeiten aber genauso viel und bekommen deshalb auch den gleichen Anteil", sagt Krug. Mit dieser Regelung sind nicht nur alle Partner zufrieden, die Umsätze sind auch hoch genug, um nahezu alle Investitionen der vergangenen Jahre aus dem laufenden Betrieb zahlen zu können. Für Lawrenz war dies ein weiterer Pluspunkt für den Einstieg als Partner: Er konnte in einen wirtschaftlich kerngesunden Zusammenschluss einsteigen. Die bisherigen Partner würden sich freuen, wenn ihm weitere junge Kollegen folgen oder sich für eine Anstellung interessieren.

Eine hausärztliche ÜBAG ist zwar nicht die Regel, es gibt aber weitere Beispiele in Schleswig-Holstein, die zeigen, dass Allgemeinmediziner über verschiedene Orte hinweg unter einem Namen zusammenarbeiten. So gibt es etwa den Praxisverbund Hüttener Berge, der mit den sechs Allgemeinmedizinern Carl Culemeyer, Dr. Hendrik Schönbohm, Dr. Jens-Uwe Asmussen, Sonja Walter, Daniel Hauth und Dr. Margret Hinrichs sowie mit zwei Weiterbildungsassistenten an den drei Standorten Ascheffel, Alt Duvenstedt und Groß Wittensee Patienten versorgt.

In der ambulanten fachärztlichen Versorgung ist die Zusammenarbeit in solchen Praxisketten schon seit Jahren keine Seltenheit mehr. Zu den größeren Verbünden in Schleswig-Holstein zählt etwa die MedBaltic, die Standorte in Altenholz, auf Fehmarn, in Heide, Kaltenkirchen, im Kieler Zentrum, in Kronshagen, Leck, Mönkeberg und Neumünster unterhält. Der vor zehn Jahren gegründete Verbund aus Orthopäden, Unfallchirurgen, Neurochirurgen und plastischen Chirurgen behandelt nach eigenen Angaben rund 11.000 Patienten im Quartal. Insgesamt haben sich 14 Fachärzte aus den genannten Gebieten in der MedBaltic zusammengeschlossen.

Ein Beispiel aus dem augenärztlichen Bereich ist das Augenzentrum Schleswig-Holstein von Drs. Heisler, Prüter, Klatt, die neben ihren Operationszentren in Rendsburg, Neumünster, Kiel und Tellingstedt auch Praxen in Preetz, Leck, Hohenwestedt, Trappenkamp, Kiel und auf Helgoland unterhalten. Die Ärzteliste des augenärztlichen Verbunds umfasst laut Website 18 Kollegen.

Die für die ÜBAG gewählte Gesellschaftsform ist in der Regel die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) - ähnlich wie bei Gemeinschaftspraxen unter einem Dach. Wer die Haftung für Altschulden ausschließen will, kann alternativ - bei entsprechender Vertragsgestaltung - die Partnerschaftsgesellschaft wählen. Die ÜBAG kann zwar ein eher lockerer Zusammenschluss sein, der es Ärzten ermöglicht, sich sogar ohne vorherige Bewertung des Praxiswertes zusammenzuschließen. Die Partnerschaft in einer überörtlichen Gemeinschaftspraxis kann aber auch zur Ausgangsbasis einer noch engeren Kooperation unter einem gemeinsamen Namen werden, wie Experten betonen. Zum Beispiel, wenn es gelingt, die ÜBAG nach außen über Praxismarketing gut zu positionieren und damit auch Patienten zu steuern und zu binden.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 7-8/2019 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2019/201907/h19074a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

*

Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
72. Jahrgang, Juli - August 2019, Seite 12 - 13
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
Schleswig-Holstein
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-272, -273, -274,
E-Mail: aerzteblatt@aeksh.de
www.aeksh.de
www.arztfindex.de
www.aerzteblatt-sh.de
 
Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. August 2019

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang