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ARTIKEL/1486: Interview - Weaning-Zentren ... ohne Zeitdruck gelingt die Entwöhnung beatmeter Patienten (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 6/2018

Weaning
Ohne Zeitdruck gelingt die Entwöhnung

Gespräch von Dirk Schnack mit Dr. Bernd Schucher


Weaning-Zentren haben gute Erfolgsquoten bei der Entwöhnung beatmeter Patienten. Dr. Bernd Schucher aus der Weaning-Station der LungenClinic Großhansdorf erklärt, warum.


Die Zahl der Patienten, die nur mit Mühe vom Beatmungsgerät entwöhnt werden können, wächst. Experten halten diese Situation für viele Patienten nicht für zwingend erforderlich - wenn sie in spezialisierten Zentren behandelt werden. In Schleswig-Holstein gibt es weniger als eine Hand voll solcher Zentren. Die LungenClinic Großhansdorf ist Mitglied im WeanNet und als einzige Klinik in Schleswig-Holstein bislang zertifiziert. Dirk Schnack sprach für das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt mit dem leitenden Oberarzt Dr. Bernd Schucher über die Situation der Weaning-Patienten.

SHÄ: Herr Dr. Schucher, die Zahl der nicht entwöhnten Beatmungspatienten in Deutschland steigt. Warum ist es so schwer, dieses Ziel und damit eine höhere Lebensqualität zu erreichen?

Dr. Bernd Schucher: Die Intensivmedizin mit der unabdingbaren invasiven Beatmung hat in den vergangenen Jahren enorme Fortschritte gemacht. Damit ist auch die Zahl der Patienten angestiegen, die sich zum Beispiel wegen Organversagen oder Komorbiditäten nur schwer entwöhnen lassen. Allerdings könnte die Zahl der nicht entwöhnten Patienten kleiner sein, wenn diese in Kliniken behandelt würden, die darauf spezialisiert sind.

Was können die spezialisierten Zentren besser?

Schucher: Zum einen arbeiten dort multiprofessionelle Teams aus qualifizierten Ärzten, Pflegekräften und Atmungstherapeuten. Außerdem haben sie keinen tagesaktuellen Druck und die Möglichkeit, sich der Entwöhnung beatmeter Patienten mit mehr Geduld zu widmen. Das ist auf den Intensivstationen nicht immer möglich, weil die Betten für neue Intensivpatienten benötigt werden. Ohne diesen zeitlichen Druck kommt es zu einer höheren Erfolgsquote. In Weaning-Zentren können zwei Drittel der Patienten, bei denen andernorts keine Entwöhnung gelingt, noch entwöhnt werden. Wie wichtig die zeitliche Komponente ist, zeigt sich an den Durchschnittszahlen: Bei uns in Großhansdorf brauchen wir im Durchschnitt 30 Tage. In Einzelfällen kann es auch viele Monate dauern. Diese Zeit hat keine Intensivstation.

Warum kommt dennoch nicht jeder beatmete Patient in ein Weaning-Zentrum?

Schucher: Erstens gibt es generell begrenzte Kapazitäten. Selbst eine Ausweitung würde nicht unbedingt helfen, weil oft das entsprechende Pflegepersonal fehlt. Zweitens gibt es auf Beatmungspatienten spezialisierte, außerklinische Einrichtungen großer Pflegefirmen, in denen auch wirtschaftliches Interesse eine Rolle spielt. Hinzu kommt, dass manchen Intensivstationen das Angebot von Weaning-Zentren nicht ausreichend bekannt ist.

Die Behandlung von Weaning-Patienten kostet viel Geld. Warum sind Patienten, ihre Angehörigen und auch die behandelnden Ärzte nicht besser darüber aufgeklärt, welche Möglichkeiten der Entwöhnung bestehen?

Schucher: Die Einrichtungen sind oft sehr schnell und haben die Patienten schon informiert, bevor diese über alle Möglichkeiten aufgeklärt sind. Krankenkassen erfahren oft zu spät von der Verlegung in eine außerklinische Pflegeeinrichtung und können somit eine Behandlung in einem spezialisierten Weaning-Zentrum nicht mehr empfehlen.

Warum gibt es in Schleswig-Holstein nicht mehr zertifizierte Zentren?

Schucher: Weil der Aufwand dafür hoch ist, vermute ich. Neben der täglichen klinischen Arbeit müsse hohe Anforderungen für die Zertifizierung erfüllt werden. Dabei werden sowohl die technischen und personellen Strukturen überprüft, als auch die Prozessqualität. Aktuell gibt es in Deutschland 40 zertifizierte Weaning-Zentren. Es würde mich freuen, wenn sich weitere Zentren in Norddeutschland zertifizieren lassen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Info
Die LungenClinic Großhansdorf hat seit rund 10 Jahren eine eigene Weaning-Station mit derzeit zehn Betten. Pro Jahr werden dort 80-100 Patienten vom Beatmungsgerät entwöhnt. Die durchschnittliche Entwöhnungszeit beträgt 30 Tage.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

- Dr. Bernd Schucher, Oberarzt und Leiter des Weaning-Zentrums in der LungenClinic Grosshansdorf


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 6/2018 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2018/201806/h18064a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
70. Jahrgang, Juni 2018, Seite 21
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juli 2018

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