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ARTIKEL/1425: Interview - Datenschutz als Qualitätszeichen (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 10/2016

INTERVIEW
Datenschutz als Qualitätszeichen

Dirk Schnack sprach mit der Datenschutzbeauftragten Marit Hansen


Schleswig-Holsteins Datenschutzbeauftragte Marit Hansen über Nachlässigkeiten beim Thema Datenschutz und wie sie abgestellt werden können.


Im Unabhängigen Landeszentrum für den Datenschutz spielt auch der Medizin- und Sozialbereich eine wichtige Rolle. Regelmäßig werden Themen aus dem Gesundheitswesen im Jahresbericht aufgegriffen und jeden Monat wenden sich Menschen an die Mitarbeiter des Landeszentrums, etwa weil sie Fragen zum Umgang mit Patientendaten haben oder weil sie eine Verletzung ihrer Rechte vermuten. Das Landeszentrum beobachtet, dass die Heilberufe insgesamt verantwortungsvoll mit Patientendaten umgehen, sich aber dennoch immer wieder Nachlässigkeiten einschleichen. Wie das vermieden werden kann, verrät Marit Hansen im Gespräch mit Dirk Schnack.

SHÄ: Frau Hansen, das Unabhängige Landeszentrum für den Datenschutz hat Checklisten für Arzt- und Zahnarztpraxen entwickelt, damit sie Datenschutzvorschriften nicht verletzen. Warum war das nötig?

Marit Hansen: Ich weiß nicht, ob das nötig war, auf jeden Fall aber sind die Checklisten sinnvoll und können die Arbeit des Arztes erleichtern. Es ist ja nicht Aufgabe des Arztes, sich ständig Gedanken darüber zu machen, ob seine Praxis die Bestimmungen des Datenschutzes einhält. Er sollte vielmehr sicher sein, dass dies so ist - und das kann eine Praxis über unsere Checklisten abprüfen.

In den Praxen müssen jede Menge Bestimmungen berücksichtigt werden und immer mehr Zeit wird darauf verwendet, Richtlinien einzuhalten. Laufen Sie mit den Checklisten nicht Gefahr, dass sich die Praxisinhaber aus Furcht vor noch mehr Bürokratie abwenden?

Hansen: Wir wollen genau das Gegenteil erreichen. Die Checklisten sollen ja Fehler und die daraus resultierenden Folgen vermeiden. Die Praxisinhaber sollten die Checklisten nicht als zusätzliche Bürokratie verstehen, sondern als Instrument, das ihnen hilft, die gesetzlichen Bestimmungen einzuhalten.

Machen die Praxisinhaber das denn nicht ohnehin? Oder liegen Ihnen Beschwerden von Patienten über Verletzungen des Datenschutzes vor?

Hansen: Wir haben tatsächlich monatlich Hinweise von Patienten. Oft kommen diese in den Fällen, in denen die Patienten auch aus anderen Gründen nicht mit der Behandlung in der Arztpraxis zufrieden waren.

Was sind das für Hinweise, welche Verstöße liegen konkret vor?

Hansen: Das sind nicht immer die groben Verstöße wie etwa Patientendaten, die im Müll zu finden sind. Es fängt schon mit der Terminvergabe an. Wenn ein Patient einen Termin genannt bekommt, muss das nicht die ganze Praxis mitbekommen. Es geht weiter über die EDV - Patientendaten sollten nie auf Bildschirmen zu sehen sein, wenn Dritte diese einsehen können. Wenn Patienten allein in einem Behandlungsraum warten, muss darauf geachtet werden, dass keine Daten Dritter auf dem Bildschirm sichtbar sind. Das alles passiert wahrscheinlich häufiger als wir es gemeldet bekommen und in aller Regel ist dies keine Absicht, sondern eine Nachlässigkeit. Auch wenn daraus keine Beschwerde resultiert, kann dies unangenehme Folgen für den Arzt haben - etwa weil der Patient damit rechnet, dass mit seinen eigenen Daten genauso nachlässig umgegangen wird und er die Mängel in der Organisation der Praxis als negativ empfindet.

Sind Ärzte also insgesamt zu nachlässig mit dem Schutz der Daten ihrer Patienten?

Hansen: Das würde ich so nicht sagen. Häufig herrscht so viel Stress in den Praxen, dass andere Dinge einfach wichtiger erscheinen. Da kann es schon mal passieren, dass eine Akte auf dem Tisch liegen bleibt und für Dritte einsehbar ist - sollte es aber nicht. Deswegen haben wir ja die Checklisten entwickelt. Sie sollen dabei helfen, solche schnell eintretenden Fehler, die aber negative Folgen haben können, zu vermeiden.

Was sagen Sie Ärzten, die solche Verstöße als Kleinigkeit einstufen?

Hansen: Das ist eine falsche Sichtweise, die schwerwiegende Konsequenzen haben kann. Datenschutz ist ein wichtiger Baustein im Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient und damit ein Qualitätsmerkmal. Das sollte nicht durch Nachlässigkeit beeinträchtigt werden.

"Datenschutz ist ein wichtiger Baustein im Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient und damit ein Qualitätsmerkmal. Das sollte nicht durch Nachlässigkeit beeinträchtigt werden."

Wird den Praxisinhabern der Datenschutz zu schwer gemacht?

Hansen: Es ist eine zusätzliche Herausforderung, neben vielen anderen - aber eine wichtige. Das Spannungsfeld, in dem sich die Praxisinhaber bewegen, ist groß. Lassen Sie mich das an einem Beispiel verdeutlichen: Viele Patienten erwarten, dass sie persönlich angesprochen werden. Einen Verzicht darauf würden sie als unhöflich empfinden. Zugleich sollen Dritte aber nichts über ihre persönliche Situation oder Krankengeschichte erfahren. Das funktioniert insbesondere wegen der räumlichen Gestaltung in vielen Praxen leider nicht in jedem Fall. Das Problem, vor das viele Praxisinhaber damit gestellt werden, entbindet sie aber nicht von der Verpflichtung, den Datenschutz zu wahren.

Sind die Patienten denn überhaupt genauso für das Thema sensibilisiert wie der Gesetzgeber? Schließlich geben sie ihre Daten doch über soziale Netzwerke oder über Fitness-Tracker oft bedenkenlos weiter.

Hansen: Das machen viele tatsächlich. Das sollte Ärzte aber nicht dazu verleiten, ebenfalls nachlässig mit den Daten ihrer Patienten umzugehen. Im Gegenteil: Die Patienten erwarten den hohen Standard nicht nur medizinisch, sondern auch beim Datenschutz von ihrer Arztpraxis. Der Patient liefert dem Arzt ganz bewusst viele Daten in der Erwartung, dass diese für die Heilung nützlich sind und der Arzt verantwortungsvoll mit ihnen umgeht. Das ist eine ganz andere Situation, als wenn der Patient im Internet persönliche Daten preisgibt. Da ist es tatsächlich so, dass viele Patienten entweder nicht wissen, was mit ihren Daten passiert oder in Kauf nehmen, dass ihre Daten weiter verkauft oder verarbeitet werden. Es kommt immer auf den Kontext an, in dem Menschen bereit sind, Daten preiszugeben.

Macht die zunehmende Technisierung der Praxen diese sicherer gegen oder anfälliger für Verstöße gegen den Datenschutz?

Hansen: Das hängt stark von den Abläufen in der jeweiligen Einrichtung ab. Ein technischer Fortschritt wie die Video-Überwachung in einem Aufwachraum führt bei Patienten zu der Frage, was mit den Aufzeichnungen geschieht. Wer sieht sich diese Bänder an, werden sie archiviert und wenn ja, wo und wer hat anschließend Zugriff? Um bei solchen Fragen auf der sicheren Seite zu sein, ist unser Gütesiegel sinnvoll, das wir für IT-Produkte anbieten.

Ist eine Zertifizierung aus Ihrer Sicht für jede Praxis erforderlich?

Hansen: Eine Zertifizierung kann eine gute Sache sein, das muss auch nicht zwangsläufig die vom Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz sein. Wichtig ist immer, nach welchen Kriterien eine solche Zertifizierung erfolgt. Das sollten sich die Ärzte und Zahnärzte im Vorwege genau anschauen.

Im Gesundheitswesen wird derzeit viel über die personalisierte Medizin diskutiert. Ist der Datenschutz nicht ein großes Hindernis für die immensen Hoffnungen, die damit verbunden sind?

Hansen: Es gibt natürlich Fälle, in denen die Grundgesamtheit zu klein für eine effektive Anonymisierung ist. Der Fortschritt stellt auch den Datenschutz immer wieder vor neue Herausforderungen, für die wir nicht sofort die perfekte Antwort haben. Das darf uns aber nicht dazu verleiten, den Datenschutz insgesamt als Hindernis oder als überholt zu betrachten. Für mich ist das ein permanenter Prozess, in den wir uns immer wieder konstruktiv einbringen und die Ergebnisse aus der Datenschutzforschung nutzbar machen müssen. Diese Herangehensweise ist mir auch in der Zusammenarbeit mit den Ärzten und Zahnärzten wichtig.


ZUR PERSON

Die Diplom-Informatikerin Marit Hansen ist seit Juli 2015 Landesbeauftragte für den Datenschutz in Schleswig-Holstein. Zuvor war sie sieben Jahre lang Stellvertreterin ihres Vorgängers Thilo Weichert. Angefangen hat sie vor 21 Jahren als Referatsleiterin im Unabhängigen Landeszentrum für den Datenschutz Schleswig-Holstein, das seinen Sitz in der Kieler Holstenstraße hat. Hansen (Jahrgang 1969) hat ihr Abitur in Eckernförde und ihr Diplom in Informatik an der Kiel er Christian-Albrechts-Universität zum Thema "Entwicklung eines Informationssystems für die Ökosystemforschung" gemacht. Im Nebenfach hat Hansen Medizin studiert.

Schon während ihres Studiums war sie als freiberufliche Dozentin an verschiedenen Akademien und Hochschulen tätig. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind u. a. die Vermeidung von Datenschutz-Fehlern und "Privacy by Design", d. h. eingebauter Datenschutz. Hansen ist verheiratet und hat zwei Kinder. Sie lebt in Kronshagen.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 10/2016 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2016/201610/h16104a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
69. Jahrgang, Oktober 2016, Seite 28 - 29
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. November 2016

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