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ARTIKEL/1424: Pädiatriekongress Mitte September in Hamburg - Fokus auf die Kleinsten (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 10/2016

PÄDIATRIEKONGRESS
Fokus auf die Kleinsten

Von Anne Lütke Schelhowe


Die Erkrankungen von Frühchen und deren lebenslange Folgen waren ein Schwerpunktthema des Kongresses für Kinder- und Jugendmedizin.


Über 2.000 Kinder- und Jugendärzte, Pflegende und Therapeuten informierten sich Mitte September beim bundesweiten Kongress für Kinder- und Jugendmedizin in Hamburg und nutzten das viertägige Treffen zum interdisziplinären Austausch.

Das Amt des Tagungspräsidenten und der wissenschaftlichen Leitung hatte in diesem Jahr Prof. Egbert Herting inne, er ist Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Lübeck. Herting stellte bei der Pressekonferenz im Vorfeld des Kongresses eines der Schwerpunktthemen in diesem Jahr vor: Erkrankungen im Neugeborenenalter und deren lebenslange Folgen, insbesondere bei Frühchen. Etwa zehn Prozent aller Neugeborenen in Deutschland sind laut Herting Frühgeborene, also Säuglinge, die vor der vollendeten 37. Woche zur Welt kommen. Ein Prozent aller Neugeborenen sind sehr kleine Frühchen mit einem Gewicht von unter 1.500 Gramm, die häufig mit schweren Komplikationen wie Hirnblutungen, Infektionen, Netzhauterkrankungen oder besonderen, mit der extremen Unreife zusammenhängenden Darmerkrankungen zu kämpfen haben.

Die häufigste Darmerkrankung unter den Früh- und Neugeborenen ist die Nekrotisierende Enterocolitis (NEC), bei der es durch eine Entzündung oder Minderdurchblutung innerhalb von Stunden zum Zerfall von Darmabschnitten und zum Übertritt von Darmbakterien in den Bauchraum kommen kann, wie Prof. Benno Ure, Tagungspräsident der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie und Direktor des Zentrums Kinderchirurgie an der Medizinischen Hochschule Hannover, erklärte. Selbst bei optimaler operativer Therapie sterben laut Ure bis zu 40 Prozent der betroffenen Kinder. Stress sei einer der wichtigsten Faktoren, die zu der Erkrankung führten und diesen erleben gerade Frühgeborene in hohem Maße. In den letzten Jahren habe die Häufigkeit der NEC jedoch durch gezielte Maßnahmen deutlich reduziert werden können. Ein erfolgreicher Ansatz sei die prophylaktische Verabreichung von Medikamenten, die natürliche Darmbakterien (Probiotika) oder Substanzen, die das Wachstum dieser Bakterien fördern (Präbiotika) enthalten. Auch die Förderung einer natürlichen Besiedelung des Darms mit gezielt eingesetzten Bakterien ist laut Ure eine vielversprechende Methode. Allerdings müsse noch geklärt werden, welche Bakterien am besten geeignet sind und welche keine Wirkung haben. Schließlich sei auch die Zentralisierung der Behandlung von Frühgeborenen in Institutionen, die mit multidisziplinären Teams aus Neonatologen und Kinderchirurgen besetzt sind (Level 1 Zentren), ein wichtiger Ansatz zur Verbesserung der Versorgung der kleinsten Erdenbürger. Transportwege können dort vermieden und die Frühgeborenen rechtzeitig operiert werden.

Trotz der spezialisierten Versorgung in Fachzentren ist die Wahrscheinlichkeit für lebenslange Beeinträchtigungen der Frühgeborenen sehr hoch, so Herting: "Viele der sehr kleinen Frühgeborenen weisen später häufiger kognitive Probleme, Ängste oder Beeinträchtigungen in der Schulleistung auf. Aber auch die sogenannten 'späten Frühgeborenen', also Kinder, die zwischen der 32. und 37. Schwangerschaftswoche geboren wurden, tragen noch ein erhöhtes Risiko für spätere Beeinträchtigungen von Gesundheit und Lebensqualität. Die Probleme von Frühgeborenen enden nicht mit der Entlassung aus einer Kinderklinik." Während der Kongresstage wurden diesbezüglich u. a. auch die Daten des Deutschen Frühgeborenen Netzwerkes (GNN) vorgestellt. Das GNN nutzt klinische und genetische Daten von über 14.000 sehr kleinen Frühgeborenen und betrachtet Kinder aus der besonderen Risikogruppe mit einem Geburtsgewicht unter 1.500 Gramm beim Eintritt in die Schule auf Gesundheit, Entwicklung und Teilhabe.

Neben Erkrankungen im Neugeborenenalter sowie Erkrankungen von Lunge und Magen-Darm-Trakt stellten die Versorgungsforschung und der transkulturelle Dialog eine weitere Schwerpunkte des Kongresses in der Hansestadt dar. Prof. Ute Thyen, Tagungspräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie (DGSPJ) und Jugendmedizin und Oberärztin am Sozialpädiatrischen Zentrum des UKSH, forderte in Hamburg, dass sich die Kinder- und Jugendmedizin gegenüber anderen Kulturen öffnen müsse. Nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge waren 35 Prozent der Menschen, die von Januar bis Juli 2016 in Deutschland einen Erstantrag auf Asyl stellten, Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. 9,2 Prozent waren Kinder unter vier Jahren. Dies stelle die sozialpädiatrische Versorgung vor große Herausforderungen. Die Zeitfenster für effektive Präventions- und Behandlungsmaßnahmen seien eng bemessen und auf Schwangerschaft, Neugeborenenalter und Schuleintritt beschränkt. Der zeitnahe Zugang zu Gesundheitsleistungen, insbesondere für junge und noch minderjährige Kinder, ist laut Thyen entscheidend. Es sei in diesem Zusammenhang besonders wichtig, sprachliche und kulturelle Hindernisse zu vermeiden. Sozialpädiater forderten daher eine intensivere Unterstützung ihrer Arbeit mit den Familien, auch durch Träger der Jugendhilfe. Außerdem forderte die DGSPJ eine Stärkung der (Versorgungs-) Forschungsmöglichkeiten in der Sozialpädiatrie durch Schaffung zusätzlicher universitärer Lehrstühle.


Anmerkung

4 Tage kamen die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, die Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin, die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie, der Berufsverband der Kinderkrankenpflege Deutschland und die Gesellschaft für Pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung in Hamburg zusammen.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 10/2016 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2016/201610/h16104a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
69. Jahrgang, Oktober 2016, Seite 26
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. November 2016

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