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AUSLAND/2164: Chile - Therapeutische Abtreibungen könnten bald legal sein (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 25. September 2014

Chile: Therapeutische Abtreibungen könnten bald legal sein - Präsidentin Bachelet will Tabu brechen

von Marianela Jarroud


Bild: © Marianela Jarroud/IPS

In Chile kann eine Abtreibung bisher mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden
Bild: © Marianela Jarroud/IPS

Santiago, 25. September (IPS) - In Chile, einem der konservativsten Länder Lateinamerikas, könnten noch in diesem Jahr therapeutische Abtreibungen legalisiert werden. Jedes Jahr werden in dem südamerikanischen Land mehr als 300.000 illegale Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen.

Staatspräsidentin Michelle Bachelet, die seit März erneut im Amt ist, will im Parlament eine Debatte über die Zulässigkeit von Abtreibungen nach Vergewaltigungen, bei drohenden Gesundheitsgefahren für die werdenden Mütter oder zu erwartenden schweren Schädigungen der Babys anstoßen.

"Abtreibungen haben in Chile bislang den Ruch des Illegalen und Prekären - ähnlich wie Drogen", sagt die 27-jährige Alicia, die vor fünf Jahren heimlich einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen ließ. "Eine Freundin erzählte mir von einem Gynäkologen, der mir Datum, Uhrzeit und Ort für ein Treffen nannte", berichtet sie.

"Meine Mutter begleitete mich zu einer Straßenecke, wo ich in einen Kleintransporter stieg, ohne zu wissen, wohin ich gebracht würde. Ich werde nie den ängstlichen Gesichtsausdruck meiner Mutter vergessen. Sie wusste nicht, ob ich je wiederkommen würde." In einem Haus wurde Alicia von einem Arzt und einer Frau erwartet und sogleich betäubt. Als sie wach wurde, war alles vorbei. Der Transporter brachte sie zu ihrer Mutter zurück. Seitdem haben die beiden nie wieder über die Abtreibung gesprochen.


Rechte von Frauen verletzt

"Die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ist eine Schuld, die der chilenische Staat gegenüber den Frauen begleichen muss", meint Carolina Carrera, Vorsitzende der Organisation 'Corporación Humanas'. "Chiles strenge Gesetzgebung bedeutet eine Verletzung der Menschenrechte von Frauen. Diejenigen, die eine Abtreibung vornehmen lassen, müssen dies unter unsicheren Bedingungen tun. Die körperlichen und psychischen Risiken sind hoch."

Zunehmend gelangt die Abtreibungspille RU486 illegal auf den Markt. Das Medikament werde in dem Land zu exorbitanten Preisen gehandelt, erklärt Carrera. Die 24-jährige Claudia fuhr zu einem Haus auf einem der Hügel nahe der Hafenstadt Valparaíso, 140 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Santiago, um das Medikament zu kaufen. "Es war ein gefährlicher Ort", berichtet sie. "Ich musste mehr als 600 US-Dollar zahlen und fragte mich, wer mir helfen würde, sollte mir etwas zustoßen. Könnte ich einen Krankenwagen oder die Polizei rufen? Nein, denn dann wäre ich ins Gefängnis gekommen."

In Lateinamerika, wo die katholische Kirche nach wie vor großen Einfluss ausübt, sind Abtreibungen auf eigenen Wunsch nur in Kuba sowie seit 2007 in Mexiko-Stadt und seit 2012 in Uruguay erlaubt. In 17 der 31 mexikanischen Bundesstaaten sind Abbrüche dagegen generell verboten.

Außer in Chile stehen auch in der Dominikanischen Republik, in El Salvador, Honduras und Nicaragua auf Schwangerschaftsabbrüche in jedem Fall Haftstrafen. In der Dominikanischen Republik, wo das Recht auf Leben ab der Zeugung in der Verfassung garantiert wird, hat sich allerdings gezeigt, dass das betreffende Gesetz keine abschreckende Wirkung hat. Jährlich werden in dem Karibikstaat etwa 90.000 Abtreibungen durchgeführt. Jede vierte Schwangerschaft wird damit vorzeitig beendet.


Abtreibungen in Lateinamerika über dem globalen Durchschnitt

In anderen Ländern der Region sind nur therapeutische Abtreibungen gestattet. Dennoch liegt der prozentuale Anteil der Abbrüche mit 31 bei jeweils 1.000 Frauen im gebärfähigen Alter über dem globalen Durchschnitt. In Honduras, Costa Rica, Guatemala, Paraguay, Peru und Venezuela ist ein Schwangerschaftsabbruch nur dann erlaubt, wenn das Leben der Frau in Gefahr ist. In Ecuador, Panama und Argentinien ist er zudem nach Vergewaltigungen zulässig, in Bolivien auch im Fall von Inzest. In Kolumbien und in bestimmten Fällen auch in Brasilien wird eine schwere Schädigung des Fötus als Grund akzeptiert.

In Guatemala zeigt sich besonders drastisch, welche Folgen heimliche Abtreibungen für die Gesundheit der Frauen haben können. Von den durchschnittlich 65.000 Schwangeren, die jährlich Abbrüche vornehmen lassen, müssen etwa 21.500 danach im Krankenhaus nachbehandelt werden.


Therapeutische Abbrüche in Chile seit Pinochet-Zeit verboten

In Chile waren therapeutische Schwangerschaftsabbrüche zwischen 1931 und 1989 erlaubt, bis sie von Diktator General Augusto Pinochet verboten wurden. Die seit 1990 demokratisch gewählten Regierungen haben an der Rechtslage bisher nichts geändert. Frauen, die sich zu einer illegalen Abtreibung entschließen, müssen bei einer Verurteilung mit Haftstrafen bis zu fünf Jahren rechnen.

"An der Häufigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen hat sich in den vergangenen zehn Jahren in Chile nichts geändert", sagt der Arzt Ramiro Molina am Zentrum für Reproduktionsmedizin an der Universität von Chile. "Die Zahl der Fälle ist nicht gesunken, auch die Altersgruppen sind in etwa gleich geblieben. Die meisten Frauen treiben nach wie vor im Alter zwischen 25 und 34 Jahren ab."

Laut Molina werden jährlich im Schnitt etwa 33.000 Frauen statistisch erfasst, die aufgrund von Komplikationen bei Abbrüchen behandelt werden. Der Mediziner sieht diese Angaben als "irreführend" an, weil nur Frauen in der Statistik berücksichtigt werden, die sich als Notfälle in öffentliche Krankenhäuser begeben. Die tatsächliche Zahl könnte nach Einschätzung von Molina zehn Mal so hoch sein. Demnach lassen wahrscheinlich jährlich etwa 335.000 Frauen in Chile, wo insgesamt 17,8 Millionen Menschen leben, einen Abbruch durchführen.

In den lateinamerikanischen Ländern, in denen die Gesetze am strengsten sind, setzen sich vor allem arme Frauen hohen Gesundheitsrisiken aus. "Abtreibungen sind ein sozio-ökonomischer Indikator von Armut", sagt Molina.


Fast alle Abbrüche in Lateinamerika heimlich durchgeführt

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation wurden 2008 weltweit rund 21,6 Millionen Abtreibungen unter unsicheren Umständen vorgenommen. Zwölf Prozent aller Todesfälle bei Müttern werden darauf zurückgeführt. Die Gesamtzahl der Abbrüche in Lateinamerika wird mit jährlich 4,4 Millionen angegeben. 95 Prozent davon werden heimlich durchgeführt.

Während ihrer ersten Amtszeit von 2006 bis 2010 ließ Bachelet bereits durch staatliche Gesundheitszentren kostenlos die 'Pille danach' auf Verlangen an Mädchen und Frauen ab 14 Jahren ausgeben. In dem mehrheitlich von Katholiken bewohnten Land entschieden darüber in der Praxis aber die jeweiligen Bürgermeister, die für die Gesundheitseinrichtungen in ihrer Gemeinde zuständig sind. (Ende/IPS/ck/2014)


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http://www.ipsnews.net/2014/09/therapeutic-abortion-could-soon-be-legal-in-chile/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. September 2014