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AUSLAND/1967: Syrien - Katastrophale Notversorgung in belagertem Flüchtlingslager für Palästinenser (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. Juni 2013

Syrien: Katastrophale Notversorgung in belagertem Flüchtlingslager für Palästinenser

von Mutawalli Abou Nasser



Damaskus, 7. Juni (IPS) - Es war neun Uhr morgens, als die Bombe vor dem Haus der neunjährigen Hella al-Abtah detonierte. Das Mädchen überlebte mit einer schweren Kopfverletzung. Der Vater brachte das Kind ins Palästina-Krankenhaus, wo es den Ärzten zunächst gelang, die Blutung zu stillen. Doch weil es im größten Flüchtlingslager für Palästinenser im syrischen Yarmouk am Nötigsten fehlte, konnte die Behandlung nicht fachgerecht fortgesetzt werden. Hella al-Abtah starb an den Folgen ihrer Verletzung.

Vor dem Beginn des syrischen Aufstands im März 2011 war Yarmouk mit seinen 125.000 palästinensischen Flüchtlingen ein lebhafter Ort mit einem der größten Märkte der Stadt. Doch mittlerweile ist Yarmouk zu einem Kriegsgebiet geworden, auf das jeden Tag Bomben niedergehen. Bis 2012 lag das Camp außerhalb der Konfliktzone. Doch die Anwesenheit vieler Kämpfer hat dazu geführt, dass die Stadt von der syrischen Armee belagert wird und keine neuen Medikamente, Blutkonserven und andere wichtige Güter mehr durchkommen.

Die kollektive Bestrafung der Lagerinsassen und auch die gezielten Angriffe auf das medizinische Personal und die Helfer haben fatale und oftmals tödliche Folgen für die vielen Verletzten.


Nur noch eine Klinik funktionsfähig

Der einzige Ort, an dem die Bewohner von Yarmouk überhaupt medzinisch versorgt werden können, ist das vom Roten Halbmond geführte Palästina- Krankenhaus. Zwei andere Hospitäler wurden niedergebombt und von Rebellenflugzeugen und Artilleriefeuer zerstört. Ein Großteil der medizinischen Hilfskräfte ist in den letzten vier Monaten geflohen.

Das Hilfswerk der UN für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNWRA), die wichtigste Einrichtung, die den Palästinensern soziale Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheit anbietet, hat sein gesamtes Personal aufgrund der miserablen Sicherheitslage aus dem Yarmouk-Lager evakuiert. Das hat die medizinische Unterversorgung weiter verschärft.

Während die verbliebenen Ärzte, Schwestern und Medizinstudenten ihr Bestes geben, um die Notversorgung im Palästina-Krankenhaus aufrecht zu erhalten, macht die Belagerung der Stadt ihre Arbeit so gut wie unmöglich.

"Es ist einfach nicht machbar, die Patienten mit dem Nötigsten zu versorgen", berichtet Abdullah Hariri, ein Arzt am Palästina- Krankenhaus. Kollegen und Aktivisten, die versuchten, medizinische Güter ins Camp zu schmuggeln, würden gezielt unter Beschuss genommen. Etliche seien bereits getötet oder festgenommen worden. Darüber hinaus wird das Klinikpersonal regelmäßig dazu aufgefordert, seinen Hilfseinsatz abzubrechen.

Doch auch die Rebellen schrecken nicht vor Übergriffen auf das Krankenhauspersonal zurück. Regelmäßig kommt es zu Diebstählen von Treibstoff und anderen wichtigen Gütern, und in der Klinik selbst werden bisweilen Schüsse abgegeben.

"Es ist vorgekommen, dass wir aufgefordert wurden, eine Mitarbeiterin auszuliefern, weil sie angeblich mit der Regierung kollaboriere", meint ein weiterer Arzt mit dem Spitznamen Abu Hakam. "Das war eine an den Haaren herbeigezogene Beschuldigung, erst recht, wenn man bedenkt, dass diese Frau hiergeblieben ist und ihr Leben riskiert, um den Verletzten zu helfen."

Als das Krankenhauspersonal protestierte und den Rebellen den Zutritt versperrte, wurde es mit Gewehren bedroht. Am Ende nahmen die Kämpfer die Krankenschwester mit, ließen sie jedoch nach Verhören wieder frei. Auch wenn der Fall für das Opfer selbst vergleichsweise glimpflich ausgegangen ist, setzen solche Zwischenfälle den ohnehin schon überforderten und geschwächten medizinischen Kräften immer weiter zu.


Politische Neutralität bietet keinen Schutz

Stromausfälle tun ein Übriges, um die medizinische Versorgung zu torpedieren. "Wir sind auf Generatoren angewiesen. Doch damit sie laufen, brauchen wir Treibstoff", berichtet Hussam al-Hariri, ein weiterer Arzt am Palästina-Krankenhaus. "Doch wie jeder weiß, lässt das Regime in Damaskus keine Lieferungen zu. Wir sind gezwungen, den Treibstoff zu horrenden Preisen zu kaufen, obwohl wir stets betonen, dass wir politisch neutral sind."

Als gäbe es nicht schon genug Probleme, strömen zudem immer mehr Zivilisten und Oppositionelle aus den Außenbezirken von Damaskus in das Lager. Die medizinische Versorgung dieser zusätzlichen Menschenlawine stellt die letzten und überforderten Ärzte und Pfleger vor schier unlösbare Probleme. (Ende/IPS/kb//2013)


Links:

http://www.unrwa.org/
http://www.ipsnews.net/2013/06/in-besieged-refugee-camp-syrian-medics-struggle-to-provide/http://www.ipsnews.net/2013/06/in-besieged-refugee-camp-syrian-medics-struggle-to-provide/

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IPS-Tagesdienst vom 7. Juni 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juni 2013