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AUSLAND/1957: Argentinien - Höchste Immunisierungsdichte Lateinamerikas, doch Impfskepsis wächst (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. Mai 2013

Argentinien: Höchste Immunisierungsdichte Lateinamerikas - Doch Impfskepsis wächst

von Marcela Valente



Buenos Aires, 14. Mai (IPS) - Argentinien gehört bisher zu den Ländern Lateinamerikas mit der höchsten Impfdichte. Mit Sorge beobachten Experten jedoch eine Kampagne gegen die Immunisierungen, die immer vehementer geführt wird.

"Impfungen haben ähnlich viel Leben gerettet wie sauberes Trinkwasser. Auf sie zu verzichten, wäre so risikoreich wie Russisches Roulette", warnt Carlota Russ, Leiterin des Ausschusses für Infektionskrankheiten der Argentinischen Gesellschaft der Kinderärzte. In den Industrieländern nehme die Bereitschaft ab, sich impfen zu lassen. Die immer niedrigere Impfdichte erhöhe jedoch das Risiko, dass bereits als besiegt geltende Krankheiten wie Masern wieder auftauchten.

Den Impfbefürwortern zufolge werden gut informierte und gebildete Eltern kleiner Kinder durch überzogene Warnungen vor den Nebenwirkungen der Immunisierungsmaßnahmen abgeschreckt. Als im vergangenen Jahr ein Paar die Impfung seines Kindes verweigerte, kam der Fall bis vor den Obersten Gerichtshof, der entschied, dass der Staat sich "zum Wohl des Kindes und der öffentlichen Gesundheit" über den Willen der Eltern hinwegsetzen müsse.

Laut dem Kinderarzt Eduardo Yahbes von der Vereinigung homöopathischer Mediziner in Argentinien hatte die Familie einen "schlechten Rechtsvertreter". Seiner Meinung nach sollte jeder das Recht haben, eine Impfung abzulehnen. Yahbes, der für die Website 'Libre Vacunación' (Impffreiheit) schreibt, spricht von einen "Mythos", dass Impfungen sicher, effizient und das einzige Mittel zur Vermeidung von Erkrankungen seien.

Der Mediziner beruft sich auf mehrere Studien, die nachteilige Auswirkungen auf die Patienten nachgewiesen hätten. Er kritisiert die "Hegemonie eines Gesundheitswesens, das die Menschenrechte verletzt", indem es die Menschen dazu zwinge, unerwünschte Behandlungen über sich ergehen zu lassen.


Hohe Zahl von Pflichtimpfungen

In Argentinien ist die Zahl der Pflichtimpfungen seit 1970 von vier auf 16 gestiegen. Nach Angaben der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation gelten dort die umfassendsten Vorschriften auf dem gesamten Kontinent. Argentinier müssen sich nicht nur gegen Tuberkulose und Polio immunisieren, sondern seit wenigen Jahren auch gegen das Humane Papilloma-Virus, das Gebärmutterkrebs verursachen kann.

Nach Ansicht von Russ sind Impfungen "unerlässlich, um Ansteckungsrisiken und Komplikationen zu reduzieren". Sie seien verpflichtend, da die Last der Krankheiten einen Schutz rechtfertige. Die Expertin weist darauf hin, dass in Europa und in den USA Masern wieder auf dem Vormarsch seien. In Lateinamerika hingegen seien nur wenige, zudem aus anderen Weltregionen eingeschleppte Infektionen bekannt geworden. "Wir sind geschützt, aber wir dürfen deshalb nicht weniger wachsam sein", betont sie. Nebenwirkungen gebe es gelegentlich, wie bei jeder Behandlung. Sie seien aber so geringfügig, dass der breite Einsatz von Impfstoffen gerechtfertigt sei.

Russ bezieht sich damit auf einen angeblichen Zusammenhang zwischen Impfungen und Autismus, über den Yahbes 2011 auf der Website der Publikation 'Homöopathie für alle' berichtet hatte. Er bezeichnete Immunisierungen als den hauptsächlichen Faktor, der zu Autismus führe.

Dagegen sieht Russ die Theorie, die in der Bevölkerung große Angst auslöste, als "katastrophal schädlich", zumal sie inzwischen widerlegt worden sei. Bereits 2010 hatte das britische Wissenschaftsmagazin 'The Lancet' auf Anordnung des 'General Medical Council' (GMC) in Großbritannien eine 1998 veröffentlichte Studie des Forschers Andrew Wakefield zurückziehen lassen, in der eine Verbindung zwischen Impfungen und Autismus hergestellt wurde.


Impfkritiker in Großbritannien zur Rechenschaft gezogen

Wakefield sah damals eine Dreifachimmunisierung gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) als Auslöser für Autismus und Magendarmbeschwerden. GMC kam jedoch zu dem Schluss, dass der Wissenschaftler seine Untersuchungen "unlauter und unverantwortlich" vorangetrieben habe. Seitdem darf er den Beruf des Mediziners nicht mehr ausüben. Dennoch haben die Impfskeptiker immer mehr Zuspruch erhalten. Nicht nur Masern, sondern auch Keuchhusten tritt in Industrieländern wieder häufiger auf.

In Argentinien sind die verpflichtenden Impfungen kostenlos. Seit 2009 erhalten nur noch die Eltern Kindergeld, die die vorgeschriebenen Immunisierungen nachweisen können. Anspruch auf diese staatliche Leistung haben Familien, in denen Eltern minderjähriger Kinder arbeitslos oder im informellen Sektor tätig sind oder die Verwandte mit Behinderungen haben. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.librevacunacion.com.ar/
http://www.amha.org.ar/publicaciones/homeopatiaparatodos48.pdf
http://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736%2897%2911096-0/abstract
http://www.ipsnews.net/2013/05/doctors-in-argentina-sound-the-alert-on-vaccine-sceptics/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=102815

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IPS-Tagesdienst vom 14. Mai 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Mai 2013