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AUSLAND/1863: Abtreibungen in der Schweiz - "Die Fristenregelung hat sich bewährt" (ALfA LebensForum)


ALfA LebensForum Nr. 102 - 2. Quartal 2012
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)

AUSLAND
»Die Fristenregelung hat sich bewährt«

Von Sebastian Sander



»Abtreibungsfinanzierung ist Privatsache«, findet eine Schweizer Volksinitiative und fordert deshalb den Stopp der Finanzierung vorgeburtlicher Kindstötungen durch die Solidargemeinschaft der Krankenversicherten. Im vergangenen Jahr konnte die Initiative die für ein Volksbegehren erforderlichen Stimmen sammeln. Nun hat der Schweizer Bundesrat dem Volk die Ablehnung des Begehrens empfohlen.


Einen Termin gibt es noch nicht. Fest aber steht, dass die Bürger der Schweiz demnächst über die Fortsetzung der Finanzierung vorgeburtlicher Kindstötungen durch die Krankenkassen abstimmen werden. Der Grund: Nachdem die Schweizer Initiative »Abtreibungsfinanzierung ist Privatsache« im vergangenen Jahr in allen Schweizer Kantonen insgesamt 109.597 gültige Stimmen sammeln konnte, führt an dem von ihr beantragten Volksbegehren kein Weg mehr vorbei.

Und solange es nur um nackte Fakten geht, kann sich die Volksinitiative »Abtreibungsfinanzierung ist Privatsache« sogar auf den Gesundheitsminister des Landes verlassen. Mitte Mai bestätigte Bundesrat Alain Berset auf einer Pressekonferenz in Bern, dass in der Schweizerischen Eidgenossenschaft jährlich rund acht Million Schweizer Franken, das sind umgerechnet rund 6,6 Millionen Euro, eingespart werden könnten, wenn die Finanzierung vorgeburtlicher Kindstötungen nicht mehr Bestandteil der »Grundversicherung« wäre, wie die obligatorische Krankenversicherung in der Schweiz heißt.

Doch anders als die Initiative »Abtreibung ist Privatsache« glaubt Berset das Geld für gut investiert. Angesichts der »rechtlichen, sozialen und gesund heitlichen Folgen« hält der Bundesrat eine »Streichung der Kostenübernahme für den Schwangerschaftsabbruch« für nicht vertretbar. »Oder, wollen wir wirklich, dass eine Frau ein Kind austrägt, nicht weil sie es wünscht, sondern weil ihr die Mittel für den Eingriff fehlen?«, fragt Berset.

» Die Grundversicherung soll Leben retten, nicht vernichten.«

Dabei ist selbst die als überaus liberal geltende Schweizer Fristenregelung, die am 1. Oktober 2002 in Kraft trat und etwa minderjährigen Mädchen unter 16 Jahren Abtreibungen ohne elterliche Einwilligung ermöglicht, nicht als Gesetz zur Geburtenregelung von Wunschkindern gedacht gewesen. Mit Straffreiheit können abtreibungswillige Schwangere in der Schweiz laut dem Gesetz nur rechnen, wenn sie binnen der ersten zwölf Schwangerschaftswochen schriftlich erklären, dass sie sich in einer medizinischen oder seelischen Notlage befinden, die ihnen die Fortsetzung der Schwangerschaft unzumutbar mache.

Laut Statistik unterzeichnen in der Schweiz jedes Jahr rund 11.000 Frauen auf diese Weise das Todesurteil für ihr ungeborenes Kind. Und obwohl für die Initiatoren der Initiative »Abtreibungsfinanzierung ist Privatsache« im Grunde jede Abtreibung eine zu viel ist, wollen sie an der Fristenregelung derzeit nicht rütteln. »Die Volksinitiative verbietet Abtreibungen nicht, sondern will nur die Finanzierung neu regeln«, stellt Dominik Müggler vom gemeinnützigen Schweizer Verein »Mamma« klar, der sich in der Schweiz aktiv »für eine Kultur des Lebens« einsetzt. Und die frühere Nationalrätin Elvira Bader von der Christdemokratischen Volkspartei (CVP) meint:

»Wir wollen nicht, dass unsere Grundversicherung Leben vernichtet, statt Leben zu retten.« Niemand dürfe verpflichtet werden, über die Zahlung seiner Krankenversicherungsbeiträge die Abtreibungen anderer mitzufinanzieren, Bader ist überzeugt, dass eine gemeinschaftliche Finanzierung von Abtreibungen zudem zu »verantwortungsloser sexueller Aktivität« ermuntere, während eine private Finanzierung zu einem »bewussteren Sexualleben« einlade.

»Abtreibungen sind für mich ein verabscheuungswürdiges Verbrechen.«

Nach den Vorstellungen der Volksinitiative, die im Juli des vergangenen Jahres der Bundeskanzlei in Bern rund 110.000 beglaubigte Unterschriften überreichen konnte, sollen abtreibungswillige Frauen die Kosten für eine vorgeburtliche Kindstötung künftig entweder selbst tragen oder durch Abschluss einer Zusatzversicherung finanzieren. »Eine solche Versicherung würde zwei bis drei Franken im Monat kosten«, rechnet Müggler vor. Dem Vater von fünf Kindern geht es dabei auch um die Gewissensfreiheit: »Abtreibungen sind für mich ein verabscheuungswürdiges Unrecht. Dass ich gezwungen bin, mit meinen Krankenkassenprämien Abtreibungen anderer mitzuberappen, ist für mich nicht akzeptabel«, erläutert Müggler.

Gesundheitsminister Alain Berset sieht das ganz anders. Die Fristenregelung, für die die Schweizer vor zehn Jahren mit einem Ja-Stimmenanteil von 72 Prozent votiert hatten, habe sich »bewährt«. Bei einem Entscheid für oder wider eine Abtreibung sollten auch künftig »moralische, religiöse oder sozialethische Gründe im Vordergrund stehen und nicht finanzielle Kriterien«, meint Berset, der den Schweizern denn auch die Ablehnung der Initiative »Abtreibungsfinanzierung ist Privatsache« empfiehlt.

Tatsächlich würde die Volksinitiative, wenn sie Erfolg hätte, jedoch weit mehr bewirken, als »nur« die Kosten für eine vorgeburtliche Kindstötung endlich denen in Rechnung zu stellen, die sie in Auftrag geben, statt sie der Solidargemeinschaft aufzuladen. Denn wie sollten zum Beispiel künftig unter-16-jährige Mädchen, die in der Schweiz nicht einmal ein Fahrrad ohne die Einwilligung ihrer Eltern kaufen können, dann noch ein Enkelkind der Eltern abtreiben lassen, ohne dass diese davon nicht zumindest zuvor erführen?

Verzicht auf generelle Straffreiheit »war bereits ein Kompromiss«.

Grund genug für die Feministen in der Schweiz, gegen die Volksinitiative Sturm zu laufen: »Wir haben akzeptiert, dass eine Frau nicht nach dem Motto 'mein Bauch gehört mir' frei entscheiden kann, sondern dass der straflose Schwangerschaftsabbruch nur in einer medizinischen oder seelischen Notlage geltend gemacht werden kann. Das war bereits ein Kompromiss«, erklärt die frühere Zürcher sozialistische Nationalrätin Barbara Haering, die in der Schweiz von vielen als »Mutter der Fristenregelung« betrachtet wird. Komme es tatsächlich zur Abstimmung über die Volksinitiative, dann werde sie sich »aktiv gegen diese Initiative engagieren«.

Wann die Schweizer über die Volksinitiative genau abstimmen werden, ist noch unklar. Klar ist nur: Da der Bundesrat auf die Möglichkeit verzichtete, den Schweizern einen Gegenvorschlag zu unterbreiten, wird das Begehren der Volksinitiative nun zunächst von den beiden Kammern des Parlaments, dem National- und dem Ständerat, beraten werden. Sobald deren Beschlüsse vorliegen, muss der Bundesrat einen Termin für die Volksabstimmung festsetzen, die binnen zehn Monaten dann auch tatsächlich zu erfolgen hat.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Homepage der Initiative »Abtreibung ist Privatsache«
- Alain Berset
- Elvira Bader
- Barbara Haering

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Quelle:
LEBENSFORUM Ausgabe Nr. 102, 2. Quartal 2012, S. 18 - 19
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)
Herausgeber: Aktion Lebensrecht für Alle e.V.
Bundesvorsitzende Dr. med. Claudia Kaminsky (V.i.S.d.P.)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juli 2012