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AUSLAND/1824: Irak - Leukämie und Missbildungen, Spätfolgen der US-Operation 'Phantom Fury' (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 16. April 2012

Irak: Leukämie, Missbildungen, beschädigtes Erbgut - Spätfolgen der US-Operation 'Phantom Fury'

von Karlos Zurutuza


In Basra kämpfen viele an Leukämie erkrankte Kinder ums Überleben - Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

In Basra kämpfen viele an Leukämie erkrankte Kinder ums Überleben - Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Falludscha, Irak, 16. April (IPS) - Nadim al-Hadidi hat aufgehört, die schwer missgebildeten Neugeborenen zu zählen, die Eltern ins Hospital im irakischen Falludscha bringen. "Allein im Januar hatten wir 672 derartige Fälle", berichtete der Krankenhaussprecher. "Wir wissen aber, dass es viel mehr sind. Die Eltern schweigen aus Scham, und wenn die Kinder sterben, werden sie in aller Heimlichkeit begraben.

Hadidi projizierte an die Wand seines Büros Bilder seiner Patienten, die sich kaum ertragen lassen: Babys ohne Gliedmaßen, ohne Gehirn, ohne Augen oder mit inneren Organen, die offen liegen. "Die Eltern schwanken zwischen Schuld und Scham und glauben, mit ihnen selbst stimme etwas nicht", erklärte der Arzt. "Ihnen ist auch nicht geholfen, wenn Gemeindeälteste ihnen einreden wollen, dies sei eine Strafe Gottes."

Für den Mediziner steht fest, wer diese Katastrophe zu verantworten hat: "2004 haben die Amerikaner alle Arten von chemischen und Sprengwaffen an uns getestet: thermobare Waffen, weißen Phosphor und bunkerbrechende Bomben und Granaten, die mit abgereichertem Uran (DU) gehärtet sind. Wir waren für sie Laborratten."

Während des Irakkriegs war das 50 Kilometer von Bagdad am Ufer des Euphrat gelegene Falludscha als damalige Rebellenhochburg besonders massiven Angriffen der US-Armee ausgesetzt. Nachdem die Medien weltweit Fotos von vier Söldnern der US-Sicherheitsfirma Blackwater verbreitet hatten, die in Falludscha von Al-Kaida-Kämpfern ermordet, verstümmelt und an einer Brücke aufgehängt worden waren, gingen die US-amerikanischen Truppen im April mit der 'Operation Vigilant Resolve' gegen die Stadt am Euphrat vor, in der damals rund 200.000 Menschen lebten. Dabei wurden auch der international geächtete weiße Phosphor sowie Streubomben und Uranmunition eingesetzt. Im Herbst folgte die 'Operation Phantom Fury'.

Das Pentagon selbst sprach damals von den schwersten Kämpfen, die eine Stadt seit dem Vietnamkrieg und der Schlacht um Hué (1968) erlebt habe. Die Zahl der Opfer ist bis heute unbekannt, und viele sind noch nicht geboren.

Im Juli 2010 veröffentlichte das in der Schweiz erscheinende Fachblatt für Umweltforschung, das 'Environmental Research and Public Health', einen Bericht über die bei der Zivilbevölkerung von Falludscha aufgetretenen schweren Gesundheitsschäden. Darin hieß es: "Die Zunahmen von Krebs und Leukämie bei Kindern und der Säuglingssterblichkeit ist wesentlich höher als bei den Menschen, die 1945‍ ‍in Hiroshima und Nagasaki die Bombardierung mit Atombomben überlebt haben."


DU - der Killer, der immer weitet mordet

Als Chefärztin des Krankenhauses von Falludscha hat die Kinderärztin Samira Alaani in enger Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) an einer Studie über die Folgen von Uranbomben teilgenommen. Mehrere in London durchgeführte Tests hatten in den Haaren Betroffener große Mengen von Uran und Quecksilber festgestellt. Daraus ließ sich schließen, dass in Falludscha international geächtete Waffen eingesetzt wurden. Die Lebensdauer von abgereichertem Uran wird auf 4,5 Milliarden Jahre geschätzt. Aktivisten sprechen von dem 'Killer, der niemals aufhört zu morden'.

Weil das bei der Explosion frei werdende Uranoxid Luft, Wasser und mit der Zeit auch die Nahrungskette verseucht und dem Genfer Abkommen über den Schutz der Zivilbevölkerung in Kriegszeiten widerspricht, fordert die Organisation 'Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges' (IPPNW) bislang vergeblich ein weltweites Verbot von Uranwaffen. Sie werden weiterhin in den Waffenarsenalen von Ländern wie USA, Großbritannien, Russland, Frankreich, der Türkei, Pakistan und Israel gelagert.

Das irakische Gesundheitsministerium hat angekündigt, es werde noch im April in Zusammenarbeit mit der WHO beginnen, in den Regierungsbezirken Anbar, Thi Qar, Suleimania, Diala und Basra angeborene Missbildungen untersuchen zu lassen.

Die Bevölkerung der wegen ihrer reichen Erdölvorkommen seit Jahrzehnten immer wieder umkämpften Provinz Basra in äußersten Süden Iraks hat besonders unter gesundheitlichen Folgeschäden zu leiden. Eine Studie der Universität Bagdad ergab, dass hier schon zwei Jahre vor Beginn des Irakkriegs die Zahl der angeborenen Missbildungen um das Zehnfache zugenommen hatte und weiter steigt.


Schwierige Versorgungslage

2010‍ ‍wurde in Basra ein Kinderkrankenhaus mit einer Schwerpunktabteilung für Kinderonkologie eröffnet. Laura Bush, die vormalige First Lady der USA, war Initiatorin der mit US-amerikanischem Kapital finanzierten hochmodernen Einrichtung. Doch hier wie im Krankenhaus von Falludscha fehlen die Geräte für die Basisversorgung, und die Stromversorgung ist unzuverlässig. "Der Röntgenapparat blieb eineinhalb Jahre lang im Hafen von Basra unter Verschluss. Die Verwaltung wollte die Hafengebühren nicht bezahlen" berichtete Laith Shakr Al-Sailhi. Der Vater eines kranken Jungen ist Vorsitzender des irakischen Verbandes krebskranker Kinder.

"Auch in Bagdad müssen Patienten endlos auf eine Behandlung warten, deren Kosten viele Familien in den Ruin treiben", sagte Al-Sailhi. "In Syrien müssen sie für eine Therapie bis zu 7.000 US-Dollar bezahlen, in Jordanien bis zu 12.000 Dollar. Mit durchschnittlich 5.000 Dollar ist die Behandlung im Iran etwas preisgünstiger. Den Eltern, die ihre Kinder hierher bringen, fehlt häufig das Geld für ein Hotelzimmer. Sie übernachten auf der Straße." (Ende/IPS/mp/2012)

Link:
http://www.thecbdf.org/ar/cbdf-research-papers/61
http://www.ippnw.org
http://www.who.int/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=107424

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. April 2012