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AUSLAND/1802: Pakistan - Polio-Impfungen im Zwielicht, Eltern in Angst vor kontaminiertem Serum (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. Februar 2012

Pakistan: Polio-Impfungen im Zwielicht - Eltern in Angst vor kontaminiertem Serum

von Irfan Ahmed


Lahore, 17. Februar (IPS) - Ein Klopfen an ihrer Tür bringt Beenish in einen tiefen Gewissenskonflikt. Die 28-jährige Hausfrau aus Lahore ist unsicher, ob sie den freiwilligen Gesundheitshelferinnen erlauben soll, ihren zweijährigen Sohn gegen Polio zu impfen. Denn Beenish fürchtet, dass ihr Kind zu Schaden kommen könnte.

Lahore, die Hauptstadt der pakistanischen Provinz Punjab, steht unter Schock, seit dort mehr als 120 Menschen nach einer allergischen Reaktion auf das Herzmedikament 'Isotab' gestorben sind. Die Tabletten wurden in einer Fabrik in Karachi hergestellt und vom staatlichen 'Punjab Institute of Cardiology' (PIC) an zahlreiche Patienten ausgegeben.

Spätere Labortests ergaben, dass Isotab die Anti-Malaria-Substanz Pyrimethamin in einer Konzentration enthielt, die die empfohlene Wochendosis für Malaria-Kranke 14 Mal überstieg.

Der Skandal hat das Vertrauen der Menschen in das pakistanische Gesundheitssystem erschüttert. "Ich kann diesen Leuten nicht das Leben meines Kindes anvertrauen", meint Beenish. "Wir können nicht ausschließen, dass von den kostenlos ausgegebenen Medikamenten eine Gefahr für unser aller Leben ausgeht."

Die gehäuften Todesfälle bei Herzpatienten lösten in der pakistanischen Öffentlichkeit scharfe Kritik an der Regierung aus. Beanstandet wurde vor allem, dass es in Punjab keine ausreichenden Arzneimittelkontrollen gibt. Das breite Misstrauen in der Bevölkerung könnte der Impfkampagne gegen Kinderlähmung vor allem in dieser Provinz harte Rückschläge bescheren.


Polioimpfungen gefährdet

Nach Schätzungen des Weltkinderhilfswerks UNICEF sind bislang etwa 700.000 Kinder in Punjab aus unterschiedlichen Gründen nicht gegen Polio geimpft worden. Experten rechnen damit, dass die Angst vor kontaminierten Medikamenten diese Zahl weiter in die Höhe treiben wird.

Pakistan gehört zu den vier Ländern auf der Welt, in denen sich die Polioviren noch ausbreiten. Allein im vergangenen Jahr wurden 197 von insgesamt 326 Fällen in dem südasiatischen Staat erfasst. Im benachbarten Indien war es nur einer, während Afghanistan 76 und Nigeria 52 Polio-Fälle verzeichneten.

Wie UNICEF berichtet, galt Polio in Pakistan eigentlich so gut wie besiegt. Im Zeitraum von den frühen neunziger Jahren bis 2005 sank die Zahl der jährlich entdeckten Fälle von rund 20.000 auf etwa 30. Seit dem erneuten Ausbruch der Krankheit wird das Land jedoch weltweit mit Sorge beobachtet. Dort treten mittlerweile mehr als 60 Prozent aller global registrierten Fälle von Kinderlähmung auf.

Experten, die die Lage beobachten, fanden heraus, dass ein in Pakistan endemischer Erregerstamm mittlerweile auf andere Länder wie China und Afghanistan übergegriffen hat.

Während UNICEF, die Weltgesundheitsorganisation WHO und die pakistanischen Behörden die Medien auffordern, neutraler über die Polio-Schutzimpfungen zu berichten, könnte ein kürzlich bekannt gewordener politischer Skandal um den US-Geheimdienst CIA die jahrelange Aufklärungsarbeit zunichtemachen.

Ende Januar 2011 hatte US-Verteidigungsminister Leon Panetta Pakistan aufgefordert, den wegen Landesverrat festgenommenen Arzt Shakil Afridi freizulassen. Auf Geheiß des CIA soll er eine angebliche Polio-Impfkampagne in Abbottabad gestartet haben, die in Wirklichkeit nur dazu diente, DNA-Proben von möglichen Verwandten des flüchtigen Al-Kaida-Chefs Osama bin Laden zu sammeln. Diese Untersuchungen trugen offenbar dazu bei, dass der Extremistenführer später aufgespürt und getötet wurde.

Vorher seien die Polio-Impfungen nicht in einem so negativen Licht erschienen, meinen Beobachter. Die von der CIA gesteuerte Aktion, die auch die US-Regierung nicht leugnen konnte, habe die Kampagnen gegen Kinderlähmung jedoch in starken Misskredit gebracht.


Misstrauen gegen Impfkampagne

Religiöse Führer und Stammesältere hatten dahin in der Öffentlichkeit erfolgreich für die Polio-Impfungen werben können, indem sie Vorurteile entkräfteten, wonach die Mittel lebensbedrohlich seien, aus verbotenen Substanzen bestünden oder unfruchtbar machten. Nach dem betrügerischen Vorgehen von Afridi konnten sie sich aber nicht mehr gegen das allgemeine Misstrauen durchsetzen. Tausende pakistanische Familien erfuhren durch das Fernsehen und die Presse vom Vorgehen der CIA.

Befürworter der Impfkampagnen schlossen sich daraufhin zusammen, um gegen die negative Medienberichterstattung anzugehen. Solche Bündnisse erscheinen gerade jetzt wichtig, weil der Impfstoff auch in den so genannten Stammesgebieten unter Bundesverwaltung (FATA) verabreicht wird. Diese Gebiete waren aufgrund von Kämpfen zwischen der Armee und den Taliban nur schwer zugänglich.

In einer exklusiv für IPS verfassten Erklärung von UNICEF heißt es: 'Pakistanische Journalisten, die der Grundpfeiler dieser Nation sind, tragen die moralische und berufliche Verantwortung dafür, dass die Polio-Bekämpfung ganz oben auf die öffentliche Agenda rückt."


UNICEF ermahnt Medien zur Ausgewogenheit

Das Weltkinderhilfswerk ermahnte die Medien zu einer ausgewogenen Berichterstattung, Faktentreue, einer kritischen Überprüfung von Gerüchten sowie einer Unterscheidung zwischen individuellen Meinungen und Expertenwissen. Unnötige Sensationsberichte sollten vermieden werden, forderte UNICEF. "Erst kürzlich haben die Medien zu zahlreichen ungerechtfertigten Spekulationen über mutmaßliche Nebenwirkungen der Impfungen beigetragen. Der orale Impfstoff, der in Pakistan verwendet wird, ist wirksam und sicher. Durch ihn wurden die Krankheitsfälle bereits bis auf 30 in einem Jahr gesenkt."

Die Medien dürften aber nicht an einer kritischen Berichterstattung gehindert werden, so Mueen Ahmed, der als Reporter für den Fernsehsender 'Geo TV' arbeitet. "Wenn die Regierung die Impfungen von ungelernten Helfern durchführen lässt, die weniger als fünf US-Dollar pro Tag erhalten, und die Medikamente unter freiem Himmel lagern - wie können die Medien dann still bleiben?"
(Ende/IPS/ck/2012)


Links:
http://www.unicef.org/
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IPS-Tagesdienst vom 17. Februar 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Februar 2012