Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → GESUNDHEITSWESEN

AUSLAND/1654: Indien - Stammzellentherapie wird zum Geschäft, Kritiker fordern gesetzliche Kontrolle (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. Februar 2011

Indien: Stammzellentherapie wird zum Geschäft - Kritiker fordern gesetzliche Kontrolle

Von Keya Acharya


Bangalore, 21. Februar (IPS) - Ungeachtet der rechtlichen Grauzone ihrer Arbeit spezialisieren sich in Indien vor allem in den Metropolen immer mehr Kliniken auf die medizinisch umstrittene Stammzellentherapie. Hunderte auch aus dem Ausland anreisende Patienten mit bislang unheilbaren neurologischen, kardiologischen oder vererbbaren Krankheiten setzen ihre Hoffung auf die Medizintechnologie. Weil in Indien bislang keine zentrale Behörde die Stammzellenforschung kontrolliert, warnen kritische einheimische Mediziner vor gesundheitlichen Schäden eines zweifelhaften Therapieangebots, mit dem sich viel Geld verdienen lässt.

Mit bislang zwei Prozent ist Indien bei eindrucksvollen Wachstumsraten in dieser Branche an dem 56 Milliarden Dollar-Geschäft beteiligt, das die Stammzellentherapie weltweit einbringt. Indien gilt als ein Zentrum der Arbeit mit Stammzellen. Doch kritische Experten zweifeln nicht nur an den medizinischen und wissenschaftlichen Erfolgen der Stammzellentherapie, sie hinterfragen auch deren ethische Basis.

Jyotsna Dhawan, Dekanin des Instituts für Stammzellenbiologie und regenerative Medizin im südindischen Bangalore, meinte: "Weltweit klafft in diesem Bereich eine tiefe Kluft zwischen der Realität und dem Potential dieser Disziplin. Bislang fallen Erklärungen für mögliche Erfolge ziemlich unkritisch aus."

In Indien darf Stammzellenforschung nur an 22 öffentlichen und sieben privaten Instituten betrieben werden. Bislang erlaubt der Indische Rat für Medizinische Forschung (ICMR) lediglich die Transplantation von Knochenmark als eine Form der Stammzellentherapie. Nur 15 klinische Versuchsreichen wurden bisher amtlich anerkannt, darunter, wie Dhawan betonte, erfolgreiche Versuche mit Stammzellen aus der Hornhaut, die das LV Prasal-Institut in Heidarabad durchführte. Doch die Forschung konzentriert sich inzwischen auf die Arbeit mit regenerierbaren embryonalen Zellen oder Zellen aus dem Blut der Nabelschnur.

In zahlreichen Krankenhäusern indischer Großstädte werden inzwischen unter anderem Erkrankungen des zentralen Nervensystems und kardiologische Krankheiten mit Stammzellen behandelt. Auch die Reproduktionsmedizin setzt die Therapie ein. Seit 2007 gibt es in Indien gesetzlich unverbindliche Vorschriften für den Umgang mit Stammzellen, die jedoch die sich ausweitende einschlägige Arbeit der Fachkliniken nicht wirklich behindern.


"Nebenwirkungen nicht bekannt"

Eine der bekanntesten, staatlich nicht zugelassenen Kliniken, die Stammzellentherapien anbieten, ist 'Nutech Mediworld' in Neu-Delhi. Nach Angaben ihrer Gründerin und Leiterin Geeta Shroff werden hier auch zahlreiche ausländische Patienten mit embryonalen Zellen behandelt. Nebenwirkungen habe es bislang bei keinem einzigen Patienten gegeben, versichert die Medizinerin in einer Werbebroschüre.

"Ich hätte ja nichts gegen diese Kliniken einzuwenden, wenn sie es nicht auf das Geld ihrer Patienten abgesehen hätten", kritisierte die Wissenschaftlerin Pushpa Bargav, ehemaliger Direktor des Zentrums für Molekular-Biologie in Heidarabad. "Niemand weiß, wie viele Menschen in Indien durch Stammzellen geheilt wurden. Ich kenne jedenfalls niemanden."

In Indien sind die Kosten für klinische Versuche niedrig und Probanden, die daran teilnehmen wollen, leicht zu finden. Hier, wie in China, werden besonders viele Tests mit Stammzellen durchgeführt, vor allem seit 2006, als in den USA die gesetzlich legitimierte Stammzellenforschung abgelehnt wurde.

Während in Indien die Stammzellentherapie weiterhin ungehindert getestet wird, stellen Fachleute wie Vasantha Muthuswamy, die ehemalige stellvertretende Generaldirektorin des ICMR und Gründerin des 'Asia Pacific Ethics Review Committee', und die Medizinerin Maneesha Inamdar vom 'Jawaharlal Nehru Centre for Advanced Scientific Research' in Bangalore kritische Fragen.

"Wie etwa lässt sich garantieren, dass die verwendeten Zellen nicht kontaminiert sind? Und gibt es medizinische Berichte über die Patienten? Ist überhaupt sicher gestellt, dass eine Behandlung sinnvoll ist?", meint Mathuswamy. Und Inamdar bezeichnet die kommerzielle Anwendung einer nicht genehmigten Therapie unverblümt als gefährlich.

Etliche Kliniken, die mit Stammzellen arbeiten, äußern sich nur widerwillig gegenüber Medien. In einem Telefongespräch meinte ein Mitarbeiter einer Klinik in Neu-Delhi, die große Zahl der behandelten Patienten beweise zu Genüge die Wirksamkeit der Therapie.


Gesetzentwurf zur besseren Kontrolle der Stammzellenforschung

Angesichts solcher dubiosen Aussagen zeigt sich ICMR-Generaldirektor V.M. Katoch sehr besorgt. Dennoch gibt er sich zuversichtlich und berichtete IPS, sein Komitee sei dabei, neue Kontrollen zu etablieren, Zudem werde das monatlich erweiterte MCR-Register klinischer Tests im Internet veröffentlicht. Zudem liege dem Parlament ein Gesetzentwurf vor, der den bislang unverbindlichen Umgang mit Stammzellen in Kliniken gesetzlich regeln und Verstöße bestrafen soll.

Für betroffene Patienten wie Chandana Sen spielt es keine Rolle, ob die Therapie, auf die sie ihre Hoffnung setzen, gesetzlich abgesegnet ist oder nicht. Die 34-Jährige leidet an Morbus Bechterew (Spondylitis ankylosans), einer chronischen, zur Verkrümmung führenden Gelenkentzündung vor allem der Wirbelsäule. Ihr Vater, ein pensionierter Luftwaffenoffizier, werde sich als Versuchsperson für eine Stammzellentherapie zur Verfügung zu stellen, betonte sie. Es sind verzweifelte Menschen wie die Sens, die jetzt die Kliniken füllen, ohne sich um die Kontroverse um die Stammzellentherapie zu kümmern. (Ende/IPS/mp/2011)


Links:
http://www.icmr.nic.in/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=54466

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 21. Februar 2011
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Februar 2011