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TRANSPLANTATION/473: Zur psychischen Verarbeitung einer Organtransplantation (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 6/2012

Organtransplantation
Zur psychischen Verarbeitung einer Organtransplantation

Von Judith Eick



Über die psychodynamischen Facetten der Organtransplantation sprach PD Dr. Lutz Götzmann in seiner Antrittsvorlesung am UKSH in Lübeck.


Die Verarbeitung einer Transplantation beruht auf komplexen Abläufen, die die "Einverleibung" des neuen Organs in die Welt des Empfängers bestimmen. Die unbewussten Vorgänge haben einen ungleich höheren Anteil als die bewussten, so Götzmann, der sich als Leiter des Psychiatrischen Konsiliardienstes am Transplantationszentrum des Universitätsspitals Zürich und in einer Reihe wissenschaftlicher Arbeiten mit dem Thema intensiv beschäftigt hat.

Der aus Lörrach stammende Götzmann ist seit September 2011 Chefarzt der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie der Segeberger Kliniken. Am Universitätsspital in Zürich leitete er stellvertretend die Abteilung für Psychosoziale Medizin des Universitätsspitals Zürich. 2007 habilitierte er sich mit dem Thema "Psychosoziale Aspekte der Organtransplantation". Das Projekt "Psychosoziale Risikofaktoren vor und nach einer Organtransplantation" stand unter seiner wissenschaftlichen Leitung.

Der medizinische Erfolg oder Nichterfolg einer Organtransplantation kann durchaus von der psychischen Verfassung des Empfängers sein, stellte Götzmann gleich zu Beginn seiner Vorlesung klar. Insbesondere aber die psychische Lebensqualität der Patienten werde auch wesentlich von psychodynamischen Prozessen beeinflusst, so eine Erkenntnis seiner Arbeit. Die psychische Bearbeitung einer Transplantation ist ganz offensichtlich günstig, wenn das Transplantat als eigenes Organ erlebt wird, eine Distanz zwischen Empfänger- und Spender-Repräsentanzen besteht und überwiegend positive Fantasien über das Organ und den Spender entwickelt werden. Zudem gebe es psychosoziale Schutzfaktoren für eine erfolgreiche Bewältigung der Organtransplantation, so Götzmann. Soziale Unterstützung und emotionales Befinden sagen beispielsweise Lebenszufriedenheit nach der Transplantation vorher. Optimismus und Sense of Coherence gelten als prätransplantäre Prädiktoren für ein positives psychisches Wohlbefinden nach der Transplantation.

Die Integration des neuen Organs auf psychischer Ebene ist für die Verarbeitung der Transplantation entscheidend, stellt Götzmann fest. Diese wiederum sei eng mit der Entwicklung der Empfänger-/Spenderbeziehung verbunden. Anhand eines Zitats aus dem Interview mit einem lungentransplantierten Patienten wird eine solche Beziehung verdeutlicht: "Ich habe da eine extreme Beziehung. Der Mensch lebt in mir weiter. Und wenn es einmal schwerer geht, dann habe ich gesagt: Gell, heute hast du auch Probleme mit dem Atmen." Oder: "Ich habe manchmal das Gefühl, wenn ich spazieren gehe, da läuft jemand neben mir. Und der sieht, wenn es mir schlecht gegangen ist, er sagt dann: Ich helfe dir jetzt."

In der Entwicklung der Organintegration lassen sich drei Phasen unterscheiden, beschreibt Götzmann: Zunächst wird das neue Organ als Fremdkörper, d. h. als vom Selbst getrenntes Objekt wahrgenommen. In der zweiten Phase nehmen Patienten das neue Organ als weniger fremd wahr, Aufmerksamkeit und Interesse nehmen ab. Das Organ erhält durch die Besetzung mit narzisstischer Energie den Charakter eines "Übergangsobjekts", es wird sowohl als fremdes wie auch als eigenes Objekt repräsentiert. In der dritten Phase bewirkt die narzisstische "Besetzung" des Organs eine Integration desselben in das eigene Körper- und Selbstbild. Das Transplantat wird als Teil des eigenen Körpers wahrgenommen.

Götzmann wies daraufhin, dass die psychosomatische Beratung transplantierter Patienten und das Eingehen auf ihr subjektives Erleben von eminenter Bedeutung für die Lebensqualität und das gesundheitliche Befinden von Transplantationspatienten ist. Beratung und Psychotherapie können zu einer deutlichen Verbesserung der Lebensqualität führen.

Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 6/2012 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2012/201206/h12064a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Juni 2012
65. Jahrgang, Seite 20
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juni 2012