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KRIEGSMEDIZIN/036: Irak - WHO in der Kritik, Studie über Fehlbildungen übergeht Einsatz von Uran-Munition (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. Juli 2013

Irak: WHO in der Kritik - Studie über Fehlbildungen übergeht Einsatz von Uran-Munition

von Sudeshna Chowdhury



New York, 19. Juli (IPS) - Eine lang erwartete Studie der Weltgesundheitsorganisation WHO und des Gesundheitsministeriums in Bagdad über angeborene Fehlbildungen im Irak hat bereits vor ihrem Erscheinen heftige Kritik hervorgerufen. Experten beanstanden nicht nur die große Verzögerung bei der Veröffentlichung der Ergebnisse, sondern auch die Tatsache, dass mögliche Verbindungen zwischen den Geburtsschäden und dem Einsatz von Munition mit abgereichertem Uran (DU) während des Krieges und der US-Besatzung nicht berücksichtigt worden sind.

Nach Angaben der WHO wurden 10.800 Haushalte für die Studie untersucht, die eigentlich schon Anfang des Jahres erscheinen sollte. Munition mit DU, einem Nebenprodukt der Urananreicherung, ist stärker als Stahl und kann sogar Mauern und Panzer durchschlagen. Nach dem Aufprall bildet sich unsichtbarer heißer Uranstaub mit chemo- und radiotoxischen Wirkungen.

Auch wird die Studie nicht auf die Gesundheitsfolgen von Schadstoffen wie Blei und Quecksilber eingehen, wie der Leiter der WHO-Mission im Irak, Syed Jaffar Hussain, erklärte. Laut der UN-Organisation erfordert die Untersuchung eventueller Zusammenhänge zwischen kongenitalen Fehlbildungen und dem Kontakt mit DU weitere Forschungen von spezialisierten Institutionen.


Uran-Waffen offenbar massiv in Falludscha eingesetzt

Die ersten Vorbereitungen für die Studie gehen auf Mitte 2011 zurück. Damals stellten einzelne Untersuchungen im Irak eine deutliche Zunahme angeborener Schäden fest. Vorherige Berichte deuteten auf einen möglichen Zusammenhang mit den im DU enthaltenen Schadstoffen hin. Es gilt als wahrscheinlich, dass das US-Militär DU-Munition bei den US-Militärangriffen auf die Stadt Falludscha 2003 und 2004 eingesetzt hat.

Die Umwelttoxikologin Mozhgan Savabieasfahani aus dem US-Bundesstaat Michigan sprach von einer "besorgniserregenden Begrenztheit" des WHO-Reports. "Ich denke, dies wird eine der großen Schwächen des Berichts sein, da frühere Studien auf solche Zusammenhänge hingewiesen haben", sagte die Expertin, die mit ihrem Team mehrere Untersuchungen über kongenitale Fehlbildungen veröffentlicht hat.

Wie eine in diesem Jahr von einer niederländischen Nichtregierungsorganisation verbreitete Studie festhält, wurde eine große Zahl von DU-Waffen von US- und britischen Streitkräften während des Irak-Kriegs verwendet. Ein weiterer Report mit dem Titel 'Metal Contamination and the Epidemic of Congenital Birth Defects in Iraqi Cities' legt nahe, dass die Bombardements auf Basra und Falludscha "die Öffentlichkeit offenbar verstärkt Metallen ausgesetzt hat, wodurch die derzeitige Welle von Missbildungen bei Neugeborenen verursacht worden sein könnte."

Die Schäden am Erbgut seien größer und die Krebsraten höher als sie bei Überlebenden der Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki zu beobachten gewesen seien, heißt es in einer anderen Studie, die in der Fachzeitschrift 'International Journal of Environmental Research and Public Health' veröffentlicht wurde. Einer weiteren Untersuchung zufolge wurden Spuren von Uran und anderer Schadstoffe im Haar von Eltern der Kinder gefunden, die in Falludscha mit Fehlbildungen geboren wurden. Wenn in der WHO-Studie nicht auf Uran Bezug genommen werde, sei dies "ein gewichtiges Versäumnis", kritisierte Keith Baverstock, der die UN-Organisation früher beraten hatte.

Nach Angaben des Experten besteht überhaupt kein Zweifel daran, dass DU toxisch ist, sobald es systemisch wird und in die Blutbahn gerät. Im Hinblick auf die militärische Verwendung stelle sich lediglich die Frage, unter welchen Umständen DU systemisch werde. Baverstock wirft der WHO vor, bei der Einschätzung der Risiken durch DU kläglich versagt zu haben.

In einer anderen Studie führte die in Tokio ansässige Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Now' (HRN) in diesem Jahr eine Sondierungsmission in Falludscha durch. Im gesamten Februar 2013 wurden Geburtsfehler aus erster Hand erfasst. Ärzte und betroffene Eltern in Falludscha wurden dazu befragt. "Die Epidemie der kongenitalen Fehlbildungen im Irak erfordert unverzügliche internationale Aufmerksamkeit", meinte HRN-Generalsekretär Kazuko Ito.


Britische Regierung wiegelt ab

Die Organisation schickte die Untersuchungsergebnisse an die Regierungen der USA und Großbritanniens. Vom britischen Verteidigungsministerium kam die Antwort, ein Zusammenhang zwischen Gesundheitsproblemen der irakischen Zivilbevölkerung in der Nachkriegszeit und DU sowie die Verwendung von DU für Waffen seien wissenschaftlich nicht belegt.

An diesem Punkt sei es von allergrößter Wichtigkeit, in den betroffenen Gebieten sofort zu handeln, meinte Saeed Dastgiri von der Medizinischen Universität Täbris. Neuralrohrdefekte kämen in Falludscha und Ramadi um ein Vielfaches häufiger vor als etwa in Kuba, Norwegen, China, Iran und Ungarn. Die Zahl dieser Missbildungen sei in diesen Städten 3,2 Mal so hoch wie im globalen Durchschnitt. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.zcommunications.org/a-call-to-release-the-who-report-on-iraqi-birth-defects-by-multiple-authors
http://www.ikvpaxchristi.nl/media/files/in-a-state-of-uncertainty.pdf
http://link.springer.com/article/10.1007%2Fs00128-012-0817-2/fulltext.html
http://www.thecbdf.org/ar/cbdf-reaserch-papers/61-international-journal-of-environmental-studies-and-public-health-ijerph-switzerland-genetic-damage-and-health-in-fallujah-iraq-worse-than-hiroshima-?format=pdf
http://www.conflictandhealth.com/content/5/1/15
http://hrn.or.jp/eng/activity/HRNIraqReport2013.pdf
http://www.ipsnews.net/2013/07/whos-iraq-birth-defect-study-omits-causation/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 19. Juli 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juli 2013