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KRIEGSMEDIZIN/026: Beste Versorgung auch im Krisengebiet gewährleisten (uni ulm intern)


uni ulm intern, Nr. 301, Dezember 2009 - Das Ulmer Universitätsmagazin

Beste medizinische Versorgung auch im Krisengebiet gewährleisten
Erster OP-Kurs Kopf- und Halschirurgie für Einsatzchirurgen

Von Anke Levermann


Vorbemerkung der Schattenblick-Redaktion:

Die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an der Kriegführung führender westlicher Staaten in Afghanistan hat die Republik, von der Öffentlichkeit noch weitgehend unbemerkt, in einen Kriegszustand versetzt. Abgesehen von dem Massaker, das auf Befehl eines Bundeswehroffiziers in der Nähe von Kundus Anfang September verübt wurde und das für Aufsehen sorgte, scheint das Alltagsleben unverändert zu sein. Dabei werden mehr und mehr gesellschaftliche Bereiche von einer schleichenden Militarisierung und Einbindung in die Kriegführung erfaßt, wie am Beispiel der Ausbildung von Kriegschirurgen zu sehen ist, der folgende Pressemitteilung gewidmet ist.


Eine gelöste Stimmung im Raum, die Anwesenden lachen und scheinen sich gut zu verstehen. Gelegentlicher Smalltalk und Fachsimpelei ergänzen das Szenario. Eine ganz alltägliche Situation könnte man meinen, spielte sie nicht im "Theatrum Anatomicum" der Universität Ulm. Die Personen im Saal tragen an diesem Tag alle grün. Grüne OP-Kittel aus Sicherheitsgründen. Die Räumlichkeiten sind mit Operationstischen, Mikroskopen und modernen medizinischen Instrumenten ausgestattet. Eine Reihe von Desinfektionsmittelspendern im Eingangsbereich hilft bei der Orientierung. Die Tür steht offen, sodass kein Sichtschutz gegeben ist. Der Blick streift durch den Raum und lässt eine OP-Situation erkennen. Große Monitore zeigen in Nahaufnahme das mit einem grünen Tuch bedeckte Gesicht einer menschlichen Person. Genauer gesagt eines Körperspenders. Niemanden hier scheint diese Situation zu beunruhigen. Es liegt eher das Gefühl von Lerneifer und Respekt in der Luft.


Die rund 60 Teilnehmer des Kurses "Praktische Weiterbildung für Einsatzchirurgen" beugen sich in kleinen Sechser-Gruppen über die leblosen Körper vor ihnen. Die Operation menschlicher Präparate ermögliche den Kursteilnehmern "lebensnahes Auffrischen anatomischen Wissens", so Professor Tobias Böckers vom Institut für Anatomie und Zellbiologie. Die praktischen Übungen sollen zudem besonders jungen Ärzten das nötige Vertrauen für den Ernstfall vermitteln. Der Ernstfall ist ein durch Splitterbomben verletzter Soldat. Verwundet im Einsatzgebiet der deutschen Bundeswehr wie in Afghanistan oder im Kosovo. "Ein gewisses Schutzpotenzial ist durch die Verwendung verbesserter Ausrüstung zwar vorhanden, doch schützt diese nicht die besonders gefährdeten Extremitäten wie Kopf, Hals und Gesicht", erläutert Oberstleutnant Siegfried Jooß die Gefahr für die Soldaten. Professor Heinz Maier, leitender Arzt der Abteilung für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde am Bundeswehrkrankenhaus (BWK) Ulm, fügt an, dass "neben der Versorgung der Soldaten auch die Behandlung der verletzten Zivilbevölkerung Aufgabe der Ärzte vor Ort ist".

Die Situation am Einsatzort ist äußerst schwierig und durch terroristische Anschläge geprägt. Nach Angaben von Professor Maier stellen besonders selbstgebastelte Sprengkörper aufgrund ihres erheblichen Vernichtungspotenzials ein hohes Sicherheitsrisiko dar. Weichteilverletzungen im Kopf- und Halsbereich, Frakturen des Schädels, Verletzungen im Bereich der Augen, Ohren, Nase und der Luftröhre sind ein Beweis dafür, welche umfangreichen Kenntnisse von Sanitätsoffizieren im Einsatz verlangt werden. "Man muss davon ausgehen, dass der Arzt alleine ist und in der Lage sein muss, den Patienten zu versorgen. Das heißt, jeder Arzt muss reagieren können", so Maier. Ein Grund dafür, warum die Teilnehmer des OP-Kurses aus den verschiedensten medizinischen Bereichen kommen. Ein Arzt im Einsatz hat im Gegensatz zur Situation in Deutschland meist mit extremen klimatischen Bedingungen zu kämpfen. Neben der Versorgung von schweren Verletzungen ist die Behandlung lebensbedrohlicher Infektionen unbedingt zu beherrschen. Oberstarzt Maier ist überzeugt, dass "nur eine optimale kopf- und halschirurgische Kompetenz vor Ort ein Überleben des Patienten sichern kann." Die Erstversorgung durch den anwesenden Arzt im Krisengebiet sei entscheidend für den weiteren Ablauf der Versorgungskette. "Diese dient dazu den Verletzten innerhalb von maximal 18 Stunden nach Deutschland zu befördern", erläutert Oberstleutnant Jooß. Nach eigenen Aussagen ist es der Bundeswehr bisher immer gelungen, die Verletzten, die Teil der Versorgungskette waren, zu retten.

Der in seiner Form einzigartige Aus- und Weiterbildungskurs, der Mitte September stattfand, dient der gezielten Vorbereitung für den Einsatz in Krisengebieten. Die Teilnehmergruppe, zumeist Sanitätsoffiziere in Reserve, setzte sich aus jungen Assistenzärzten bis hin zu ausgewiesenen Experten zusammen. "Ich war sehr gespannt auf den Kurs und habe gehofft, dass er nicht zu anspruchsvoll gestaltet ist. Uns wurde aber sehr von den erfahrenden Ärzten geholfen", beschreibt Linda Diederich, Assistenzärztin im ersten Jahr am BWK Berlin, den Austausch im Kurs. "Kleine Tipps nimmt man mit und gibt sie an andere weiter", ergänzt Kursteilnehmer Dr. Frank Engel vom BWK Koblenz. Ziel des Lehrgangs war es vor allem, jungen Ärzten eine gewisse Routine näher zu bringen und theoretische und praktische Grundlagen im Umgang mit Verletzungen im Einsatz von Topspezialisten zu vermitteln.


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Quelle:
uni ulm intern, Nr. 301 (39. Jg.), Dezember 2009, S. 44
Herausgeber: Universität Ulm, Pressestelle
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uni ulm intern erscheint sechsmal pro Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Januar 2010