Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → FAKTEN

GESCHICHTE/585: Zum Inkrafttreten des schleswig-holsteinischen Ärztekammergesetzes vor 60 Jahren (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 10/2014

Das Grundgesetz der Kammer

Verkammerung als Folge der Professionalisierung des Berufs



Zum Inkrafttreten des schleswig-holsteinischen Ärztekammergesetzes vor 60 Jahren. Ein Rückblick von Karl-Werner Ratschko.


Manche Ärzte pflegen eine distanzierte Haltung zu "ihrer" Kammer. Sie mag zuweilen auf Vorurteilen gegenüber einer Arbeit beruhen, die primär weniger der materiellen als vielmehr der qualitativen und ideellen Ausprägung des Berufs dienen muss. Sie verkennt Bedeutung und Chancen einer von Ärzten geleiteten Selbstverwaltung auf Augenhöhe mit den Institutionen des öffentlichen Lebens wie Ministerien, Behörden, Gerichtsbarkeit, Sozialversicherung, Vereinen, Interessenverbänden u. a. Dies war in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als der ärztliche Beruf langsam Gestalt annahm, völlig anders. Staatliche Reglementierung engte den Wunsch der Ärzte nach einer freien Berufsausübung in bedrückender Weise ein. Bis zu dem am 1. Januar 1954 in Kraft getretenen ersten schleswig-holsteinischen Ärztekammergesetz war ein langer Weg zurückzulegen. Mit dem Gesetz erhielt die Kammer den Rahmen für eigenverantwortlich wahrgenommene administrative und berufspolitische Kompetenzen sowie hoheitliche Aufgaben. Mit den später erfolgten Novellierungen ist es trotz seiner damaligen Mängel und Schwächen für die Ärzte in Schleswig-Holstein die Grundlage einer weitgehenden berufsrechtlichen Autonomie. Das Kammergesetz und seine Novellierungen regeln mit ihren Bestimmungen die Grundsätze einer demokratisch verfassten Selbstverwaltung und legen mit den ständig weiter entwickelten Berufs- und Weiterbildungsordnungen die Standards ärztlicher Berufsausübung fest. Dass dies erreicht werden konnte, beruhte auf den im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in stark voneinander abweichenden politischen Systemen gewonnenen Erfahrungen.

Die Geschichte der preußischen Ärztekammern begann mit der Errichtung durch die "Allerhöchste Verordnung betr. der ärztlichen Standesvertretung" des preußischen Königs am 25. Mai 1887. Trotz einiger Verbesserungen in den Jahren 1892, 1898 und 1899 bot sie gegenüber heutigen Ärztekammerzuständigkeiten nur einen Anfang. Den Ärzten wurde die Möglichkeit eingeräumt, über ihre Provinzärztekammer an die Staatsbehörden ihre Vorstellungen und Anträge in Gesundheitsangelegenheiten zu richten und den Staat in Fragen der Gesundheit zu beraten. Mehr war es 1887 zunächst nicht. Doch selbst dieser kleine Fortschritt zu einer gesetzlich verbrieften ärztlichen Kammer war damals in Preußen mühevoll errungen. Das lag nicht nur am Staat, sondern auch an den Ärzten, die es manchmal schwer hatten, ihren Weg zu finden, konsequent zu beschreiten und auch durchzuhalten. Der Vorsitzende des deutschen Ärztevereinsbundes und Präsident des Deutschen Ärztetages, Sanitätsrat Eduard Graf, fasste dies 1892 anlässlich des 20. Deutschen Ärztetages mit der Feststellung zusammen, dass "Hindernisse und Bedenken sich überall da zeigen, wo es gilt, theoretische Beschlüsse und Resolutionen in die Praxis zu überführen", eine Feststellung, die sicher bis heute ihre Gültigkeit nicht verloren hat.(1)

Die Professionalisierung des ärztlichen Berufs im 19. Jahrhundert

Die Entstehung von Ärztekammern in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist untrennbar mit der Professionalisierung des ärztlichen Berufes verbunden. Die Entwicklung der medizinischen Wissenschaft in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erforderte eine akademische Ausbildung der Ärzte. Sie wurde 1852 durch die Vereinheitlichung der in der vorindustriellen Zeit hinsichtlich ihrer Herkunft, Vorbildung und Ausbildung sowie Status und Zugang zu Patienten unterschiedenen Subgruppen von "Heilern" (akademisch gebildeten Ärzten, Chirurgen, Wundärzten, Badern und Barbieren, Laienheilern) zu dem in Preußen gesetzlich geschaffenen "Einheitsstand" mit der Berufsbezeichnung "Praktischer Arzt, Wundarzt und Geburtshelfer" ermöglicht. Hinzu kam die durch die Industrialisierung und gesellschaftliche Veränderungen eingetretene Medikalisierung der Gesellschaft, mit der es für die Menschen zunehmend selbstverständlich wurde, im Krankheitsfall einen Arzt hinzuzuziehen und nicht mehr, wie noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts üblich, fast immer auf den Rat von Laienheilern angewiesen zu sein.(2) Huerkamp verweist darauf, dass sich der Anspruch einer Berufsgruppe als Profession zu gelten, nicht so sehr auf die Überlegenheit des professionellen Wissens über das Alltagswissen der "Laienheiler" stütze, sondern mehr auf die Fähigkeit, das eigene besondere Wissen gegenüber der Gesellschaft glaubhaft zu machen und für seine Anwendung staatlichen Schutz vor nicht professionellen Konkurrenten zu reklamieren, ein Grund, der eine gewisse Staatsnähe für die Ärzteschaft erforderlich machen würde.(3) Staatsnähe bei möglichst weitgehender Freiheit der Berufsausübung schien damals kaum erreichbar. Der 1852 in Preußen geschaffene "Einheitsstand" hatte seinen Preis. Die Ärzte wurden obrigkeitsstaatlicher Reglementierung unterworfen und von staatlichen Regulierungsmechanismen abhängig.(4) Preußische Ärzte wurden disziplinarrechtlich Beamten gleichgestellt, mussten einen Berufseid auf den König ablegen, vierteljährlich Berichte erstellen, eine Medizinaltaxe bei ihren Rechnungsstellungen zugrunde legen und waren nach § 200 des Preußischen Strafgesetzbuches zur unentgeltlichen Hilfe bei Bedürftigen (Kurierzwang) verpflichtet. Diese Pflichten wurden ihnen abverlangt, ohne dass entsprechend Rechte gewährt wurden wie z. B. ein regelmäßiges Einkommen und eine gesicherte Altersversorgung.(5)

So ist es folgerichtig, dass sich die Zielsetzungen der zunächst nur der Kollegialität und Geselligkeit sowie der Hygiene und dem wissenschaftlichen Fortschritt verpflichteten ärztlichen Zusammenschlüsse in der 1840er Jahren hin zu stärkerer Politisierung und Berücksichtigung der Standesinteressen veränderten. Die Ärzteschaft war damals mehr noch als später untereinander zerstritten und hatte wenige Möglichkeiten, Einfluss auf die Reglementierung und Kontrolle des ärztlichen Berufes zu nehmen. Auch eine Mitbestimmung in medizinalpolitischen Angelegenheiten war nicht gegeben. Deswegen flaute der Mitte des 19. Jahrhunderts erkennbare deutliche Aufschwung an ärztlichen Vereinsbildungen nicht zuletzt auch wegen der restaurativen Verfestigung der autoritären staatlichen Strukturen nach den revolutionären Jahren 1848/50 wieder ab. Erst nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 wurde am 17. September 1873 anlässlich des 1. Deutschen Ärztetages in Wiesbaden der deutsche Ärztevereinsbund gegründet, der als Dachverband fast aller regionalen Ärztevereine mit seinem Organ "Deutscher Ärztetag" für 60 Jahre die Rolle eines Sprachrohrs der deutschen Ärzteschaft übernehmen sollte.(6) Jedoch noch vor seiner Gründung hatte es in Preußen mit der Verabschiedung der Gewerbeordnung 1869 eine einschneidende Veränderung für den ärztlichen Berufsstand gegeben. Als Reaktion auf eine Forderung der einflussreichen Berliner Medizinischen Gesellschaft mit Zustimmung vieler ärztlicher Vereinigungen wurde der ärztliche Beruf als Gewerbe in die Gewerbeordnung aufgenommen. Lediglich die Berufsbezeichnung Arzt war weiterhin von einer Approbation abhängig. Mit der "Kurierfreiheit" entfielen die Approbation, der Kurierzwang, die staatliche Bevormundung und die Pflicht zur Anwendung der Medizinaltaxe, damit aber auch u. a. der Schutz vor der Konkurrenz der Kurpfuscher sowie der "Überfüllung" des Berufes durch restriktive Maßnahmen des Staates.(7) Diese zunächst erwünschte Lösung wurde von vielen Ärzten schon bald nicht mehr als akzeptabel angesehen. So verlangten sie anlässlich des 10. Deutschen Ärztetages 1882 nunmehr die Herausnahme ihres Berufes aus der Gewerbeordnung. Für die Ärzte sollten die spezifisch beruflichen Bestimmungen in einer Ärzteordnung geregelt werden, mit der auch die Schaffung staatlich anerkannter Standesvertretungen in Form öffentlich-rechtlicher Ärztekammern mit der Befugnis besonderer Disziplinarbefugnisse verbunden sein sollte.(8) Interessanterweise waren die Ärztevertreter für die Schaffung von Ärztekammern, eine Disziplinarbefugnis wollten sie jedoch der ärztlichen Selbstverwaltung eher nicht einräumen. Zu groß war das Misstrauen gegenüber dem Staat, dass dieser so wieder Einfluss auf ärztliches Handeln in dem vor der Verabschiedung der Gewerbeordnung vorhandenen Umfang nehmen könnte.

Entstehung und Ziele ärztlicher Organisationen in Schleswig-Holstein

Staatlich anerkannte Standesvertretungen formierten sich dann nach und nach außerhalb Preußens z. B. in Baden 1864, Sachsen 1865, Bayern 1871, Württemberg 1875 und Hessen 1877, bis auch in Preußen 1887 Ärztekammern für die Provinzen, damit auch für Schleswig-Holstein, geschaffen wurden. Die Ärztekammern der Länder Baden, Hamburg und Sachsen erhielten das Disziplinarrecht 1883, 1894 und 1896 bereits in Ärzteordnungen auf Landesebene, Preußen folgte am 1. Januar 1900 mit dem Gesetz über die Ehrengerichtsbarkeit. Eine Ärzteordnung gab es bis zur Verabschiedung der Reichsärzteordnung im Jahre 1935 für die preußischen Ärzte nicht.

Am 8. Juni 1865 wurde anlässlich einer Versammlung des Vereins baltischer Ärzte in Kiel der Verein Schleswig-Holsteinischer Ärzte gegründet. Im Einladungsschreiben wurden auch die Motive deutlich. Der ärztliche Stand sollte "für die ihm zugemutheten erhöhten Leistungen entsprechend durch Verbesserung seiner materiellen Leistungen entschädigt und durch die seinen Leistungen gebührende Achtung geehrt" werden.(9) Diese berufspolitische Zielvorstellung, hier zunächst für den in Entstehung befindlichen Verein formuliert, galt mehr oder weniger für alle ärztlichen Verbände und Organisationen nicht nur in Schleswig-Holstein als Leitlinie. Sie fanden in § 1 des am 18. Oktober 1867 verabschiedeten Statuts des Vereins mit dem Satz Niederschlag: "Zweck des Vereins ist es, das collegialische Leben und die Interessen des ärztlichen Standes zu fördern." Wenn auch mit anderen Formulierungen sind sie auch heute Bestandteil des für die Ärztekammer geltenden Heilberufegesetzes. Der Verein Schleswig-Holsteinischer Ärzte wurde für die nördlichste preußische Provinz ein Kristallisationspunkt ärztlicher Berufspolitik mit anfangs 142 Mitgliedern. Später mögen dann etwa drei Viertel der ständig steigenden Zahl praktischer Ärzte der Provinz zum Verein gehört haben, ein bei freiwilliger Mitgliedschaft beeindruckender Organisationsgrad, da Militärärzte nur ganz vereinzelt, Ärzte dänischer Nationalität dem Verein überhaupt nicht angehörten.(10) Der anfangs erhobene Beitrag von 6 Mark jährlich, der 1877 auf 10 Mark erhöht wurde, deckte nicht nur die Verwaltungskosten, sondern trug - wie schon berichtet(11) - auch deutlich zu den Kosten der alsbald geschaffenen Unterstützungskasse bei. Wissenschaftliche Vorträge und Hygienefragen sowie Medizinalstatistiken standen im Vordergrund der mindestens jedes zweite Mal in der kleinen Aula des damals neuen Universitätsgebäudes in Kiel stattfindenden Generalversammlungen des Vereins, standespolitische Fragen wurden im Rahmen der Mitgliedschaft im deutschen Ärztevereinsbund beraten. So wurde z. B. 1868 gefordert, den Kurierzwang und die Pflicht zur unentgeltlichen Hilfeleistung nach § 200 des preußischen Strafgesetzbuches zu beseitigen, 1878 ging es um die Organisation des ärztlichen Standes und im gleichen Jahr sprach man sich dagegen aus, Realschulabiturienten zum Medizinstudium zuzulassen. Die Gründung der preußischen Ärztekammern geschah unter Beteiligung des Vereins, die Wahlen zur Ärztekammer wurden bis zu seiner De-facto-Auflösung im Jahr 1933 (formal bestand er noch bis zum Inkrafttreten der Reichsärzteordnung) maßgeblich vom Verein Schleswig-Holsteinischer Ärzte gestaltet und beeinflusst.(12) Die Deutschen Ärztetage wurden bis 1931 vom deutschen Ärztevereinsbund durchgeführt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden sie dann eine Angelegenheit der Ärztekammern.

Einige wenige ärztliche Vereine gab es in Schleswig-Holstein auch schon in der dänischen Zeit (z.in Altona, Kiel, Schleswig und Süderdithmarschen), aber keinen mit überregionaler Bedeutung für die beiden Herzogtümer.(13) 1890 gab es 17 regionale selbstständige Vereine, 1925 waren es 22. Sie hatten 1890 in der Regel zwischen zehn und zwanzig Mitglieder, Altona und die drei Kieler Vereine ragten mit einer deutlich höheren Mitgliederzahl heraus. An der Spitze in Kiel stand der Verein der praktischen Ärzte für Kiel und Umgebung mit 80, gefolgt vom Kieler allgemeinen ärztlichen Verein mit 47 und dem Physiologischen Verein mit 29 Mitgliedern. Die Angehörigen des Vereins Schleswig-Holsteinischer Ärzte hatten die Norm der Karlsruher Standesordnung zu beachten und unterstanden dem Ehrenrat des Provinzialvereins. Die regionalen Vereine hatten oft ihren eigenen Ehrenrat.(14) Die Maßnahmen bei Regelverstößen waren begrenzt, die schärfste war der Ausschluss aus dem Verein.

Die Schleswig-Holsteinische Provinzärztekammer bis 1945

In der Zeit der Entstehung der Bismarckschen Sozialgesetzgebung mit Schaffung der gesetzlichen Krankenversicherung (1883), der Unfall- (1884), Invaliditäts- (1889) und Rentenversicherung (1891)(15) war die freiwillige Mitgliedschaft in ärztlichen Vereinen, mit der nicht alle Ärzte erfasst wurden, für die Durchsetzung standespolitischer Forderungen nachteilig. Deswegen bemühte sich der Deutsche Ärztetag um Regelungen, mit denen eine öffentlich-rechtliche Körperschaft mit Pflichtmitgliedschaft aller Ärzte möglich werden konnte. Zunächst nicht ohne Erfolg: Bei der Beratung der Novelle der Gewerbeordnung vom 1. Juni 1883 beschloss der deutsche Reichstag, Bismarck um die Vorlage eines Gesetzesentwurfs zu einer Ärzteordnung zu ersuchen. Dem folgte der deutsche Reichskanzler mit der Begründung nicht, dass ein solches Gesetz in die Zuständigkeit der Landesgesetzgebung falle. 1887 kam es auch ohne eine Ärzteordnung in Preußen durch eine "Allerhöchste Verordnung" zur Einrichtung von Ärztekammern.

Es wurde für jede preußische Provinz eine Ärztekammer am Amtssitz des Oberpräsidenten eingerichtet. Die Kammern sollten sich mit allen Fragen und Angelegenheiten des ärztlichen Berufes sowie der öffentlichen Gesundheitspflege beschäftigen. Die Wahrnehmung der ärztlichen Standesinteressen gehörte dazu.(16) Die Bezeichnung "Ärztekammer" führten damals die gewählten Versammlungen (die heutigen Kammerversammlungen), deren Besetzung durch eine alle drei Jahre im November stattfindende Wahl erfolgte. Auf je 50 Wahlberechtigte war ein Delegierter zu wählen, mindestens jedoch sollte die Versammlung ("Ärztekammer") zwölf Mitglieder umfassen. Diese wählte einen Vorstand mit einem Vorsitzenden und vier oder mehr Mitgliedern. Die Aufsicht über die Kammer hatte der Oberpräsident.

Erst durch die Gesetze im Jahr 1899 und 1904 wurde geregelt, dass die Ärztekammern von den wahlberechtigten Ärzten einen Beitrag erheben durften. In Schleswig-Holstein belief sich dieser damals auf 0,2 bis 0,25 Prozent des Einkommens aus ärztlicher Praxis. Seit 1900 wählte die Ärztekammer auch die fünf Mitglieder des Ehrengerichts, zu denen neben einem Vorsitzenden drei Mitglieder der Kammer sowie ein richterliches Mitglied gehören. Zu den Aufgaben der preußischen Ärztekammern gehörte es, am Anfang der Wahlperiode aus ihren Reihen zwei mit drei Kammermitgliedern besetzte Vertragskommissionen zu wählen, die die zwischen Ärzten und Krankenkassen abgeschlossenen Verträge zu überwachen hatten.(17) Erst seit einer Königlichen Verordnung aus dem Jahr 1896 bestand auch ein gesetzlich geregelter Ärztekammerausschuss in Preußen, zu dem jede Ärztekammer des Landes einen Vertreter entsandte. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Zusammenkünfte frei zwischen den Ärztekammern vereinbart. Der Ärztekammerausschuss hatte nach Möglichkeit eine zwischen den Kammern einheitliche Meinungsbildung herzustellen und Aktivitäten zu koordinieren sowie vom Minister zur Stellungnahme überreichte Vorlagen vorzuberaten und weiterzugeben.(18)

Die erste Sitzung der Ärztekammer für Schleswig-Holstein fand am 18. Januar 1888 in Schleswig statt. Die Vorbereitung der Wahl erfolgte wie auch in den folgenden Jahrzehnten mithilfe des Vereins Schleswig-Holsteinischer Ärzte, dessen Spitzenvertreter die Kandidaten für die Wählerliste als sogenannte "Einheitsliste" festlegten.(19) Ihr erster Kammervorsitzender wurde Julius Wallichs, Altona, der zusammen mit Bartels, Bockendahl und Steindorff 1865 den Verein Schleswig-Holsteinischer Ärzte gegründet hatte und bis 1902 als Vorsitzender der Ärztekammer fünf Mal wiedergewählt wurde.(20) Das schon mehrfach angesprochene preußische Gesetz über die ärztlichen Ehrengerichte, das Umlagerecht der Kammern und die Kassen der Ärztekammern vom 25. November 1899 vergrößerte die Bedeutung der Ärztekammern. Sie wurden jetzt maßgebend für das ärztliche Standeswesen in Preußen.(21) Eine Standesordnung für den Bezirk der Ärztekammer für Schleswig-Holstein wurde am 10. November 1899 und 26. Januar 1900 beschlossen. Schon in der damaligen Berufsordnung fand sich in § 1 die bis heute gültige Generalklausel: "Jeder Arzt ist verpflichtet, seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und durch sein Verhalten in der Berufstätigkeit wie außerhalb derselben die Ehre und das Ansehen des Standes zu wahren."(22)

Die Eingaben und Beschlüsse der Ärztetage und -vereine für die Erhaltung der Freiheit des Ärztestandes scheiterten regelmäßig auf Reichsebene an dem "seit Bismarcks Abgang ungehemmten Sozialisierungsdrang der Reichsregierung und des Reichstags".(23) Auch hierin ist wohl ein wichtiger Grund für die Gründung des "Verbandes der Ärzte Deutschlands zur Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen", bis 1924 auch Leipziger Verband, später Hartmannbund genannt, am 13. September 1900 durch Hermann Hartmann zu sehen. Die Konkurrenz zwischen Ärztevereinsbund und Leipziger Verband auf Reichsebene fand sich auch in Schleswig-Holstein zwischen dem Verein Schleswig-Holsteinischer Ärzte und dem 1891 von einigen Ärztevereinen gegründeten Kartellverband wieder. Diese Aufsplitterung ärztlicher Interessensvertretung konnte jedoch bei Erhaltung der operativen Selbstständigkeit der neuen Verbandsgründungen in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts durch organisatorische Eingliederung in den Ärztevereinsbund und den schleswig-holsteinischem Provinzverein zunächst weitgehend beendet werden.

Die Zusammenfassung der Zweige der Sozialversicherung in einer Reichsversicherungsordnung vor dem Ersten Weltkrieg sah zur Enttäuschung der organisierten Ärzteschaft weder die Einführung der freien Arztwahl, der Einzelleistungshonorierung noch den Abschluss von Kollektivverträgen vor. Streiks drohten, Kassenverträge wurden gekündigt, der Leipziger Verband hatte bereits einen Streikfonds eingerichtet. Einen Tag vor Weihnachten 1913 gelang es der Reichsregierung gerade noch rechtzeitig vor dem Inkrafttreten der Reichsversicherungsordnung am 1. Januar 1914, eine Einigung zwischen den Kontrahenten im sogenannten Berliner Abkommen herbeizuführen. Durch die Übergabe der Zulassungsautonomie der Kassen in paritätisch besetzte Vertrags- und Registerausschüsse wurde der erste Schritt zu einer Zusammenarbeit zwischen Kassen und Ärzten vollzogen, mit dem die freie Arztwahl und Kollektivverträge später möglich wurden. Mit dem Berliner Abkommen kam es zu einer entscheidenden Wende für die Ärzteschaft, mit der das Ringen um Selbstverwaltung und Berufsautonomie auch mithilfe des Staates einen gewissen Abschluss fand.(24)

Der Erste Weltkrieg führte zu einem Burgfrieden, in der Zeit danach konnten die beiden zentralen Ärzteverbände Ärztevereinsbund und Hartmannbund ihre marktbeherrschende Stellung trotz einiger Friktionen zu einer Art Monopol ausbauen.(25) In die Zeit der Weimarer Republik fiel die Verabschiedung des preußischen Gesetzes über die Ärztekammern und einen Ärztekammerausschuss vom 30. Dezember 1926, mit dem bis dahin erlassene Vorschriften zu Ärztekammern zusammengefasst und novelliert wurden. Neu wurde u. a. geregelt, dass nun ausdrücklich eine Fürsorgeeinrichtung mit Rechtsanspruch beschlossen werden durfte (§ 2), jedoch nur mit der Mehrheit der Mitglieder der Kammerversammlung (§ 38, 2) und der Genehmigung des zuständigen Ministers (§ 2). Die Wahlperiode wurde von drei auf vier Jahre verlängert (§ 11). Die bisher nur den Kassen der Ärztekammern zugebilligte Rechtsfähigkeit wurde auf die Ärztekammern selbst übertragen, die Ärztekammern wurden Körperschaften öffentlichen Rechts "ohne behördliche Funktion" (§ 3).(26)

Die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten hatte auch für die Ärzteschaft erhebliche Veränderungen zur Folge. Der Vorsitzendende des Nationalsozialistischen Ärztebundes (NSDÄB) und spätere Reichsärzteführer Gerhard Wagner wurde zum Reichskommissar der ärztlichen Spitzenverbände bestellt. Der Rücktritt des Vorsitzenden des Ärztevereinsbundes und Hartmannbundes Alfons Stauder im Juni 1933 ebnete den Weg für die "Gleichschaltung" der Ärzteschaft und ihrer Verbände. Statt Selbstverwaltung durch demokratisch gewählte Vertreter gab es jetzt das Führerprinzip, die Unterdrückung jüdischer und anderer missliebiger Ärzte und die Forderung nach bedingungsloser Unterwerfung unter das NS-Regime. Für die NS-Machthaber waren nun die Hindernisse beseitigt, die der Durchsetzung ihrer ideologischen Ziele Rassenhygiene, Zwangssterilisation, Bevölkerungshygiene und Vorbereitung eines Krieges in der hierfür unentbehrlichen Ärzteschaft im Wege standen.(27) Diese reichsweite Entwicklung blieb natürlich auch in der nördlichsten preußischen Provinz nicht ohne Folgen. In Schleswig-Holstein wurde Anfang Mai 1933 der wenig angesehene NSDÄB-Gauobmann und Frauenarzt Dr. Hans Köhler aus Neumünster ohne Widerstand der schleswig-holsteinischen Ärzteschaft als regionaler Beauftragter des Reichskommissars eingesetzt.(28)

Anfang April 1935 allerdings musste Köhler alle seine Ämter wegen offenkundiger Unfähigkeit niederlegen, sein Nachfolger wurde der Segeberger Chirurg SS-Obersturmbannführer Hans Rinne.(29) Die Ärztekammer Schleswig-Holstein hatte ihre bis dahin vorhandene Selbständigkeit verloren und wurde nach Inkrafttreten der Reichsärzteordnung am 1. April 1936 als weisungsgebundene Untergliederung der Reichsärztekammer auch rechtlich zum Werkzeug der nationalsozialistischen Ärzteführung. Die Nationalsozialisten hatten der Ärzteschaft in Aussicht gestellt, ihre jahrzehntelange Forderung nach einer einheitlichen Ärzteordnung für ganz Deutschland zu erfüllen. Das Fazit der Ärztekommission, die den Ärztetagbeschluss von 1926 vorbereitet hatte, lautete 1931: "den ärztlichen Stand vor seiner Zerstörung, das Volk aber vor schwerstem Schaden zu bewahren" sei nur möglich durch den Zusammenschluss aller deutschen Ärzte in einer Reichsärztekammer.(30) Deutlicher konnte der Wunsch nach verbindlichen Regelungen für den ärztlichen Berufsstand wohl kaum zum Ausdruck gebracht werden. Ob die in Aussicht gestellte Erfüllung dieses Wunsches nach einer Reichsärzteordnung der Grund dafür gewesen ist, dass seitens der Ärzte nicht nur der Widerstand gegen die Übernahme ihrer Selbstverwaltung durch die neuen Machthaber ausblieb,(31) sondern auch 45 Prozent der deutschen Ärzte Mitglied in der NSDAP wurden, mag dahingestellt bleiben.(32)

Die am 13. Dezember 1935 erlassene und am 1. April 1936 in Kraft getretene Reichsärzteordnung (RÄO) beruhte weitgehend auf den vom Ärztetag 1926 verabschiedeten Grundsätzen und brachte eine Herausnahme der Ärzte aus der Gewerbeordnung von 1869/71 und die lange geforderte Reichsärztekammer.(33) Sie war maßgeblich beeinflusst durch Vorarbeiten der deutschen Ärzteschaft und nicht etwa ausschließlich nationalsozialistische Gesetzgebung.

Unabhängig davon war zu erkennen, dass es sich bei der neuen, nach der Reichsärzteordnung zu schaffenden Körperschaft nicht mehr um eine Interessenvertretung der Ärzte, sondern um eine Organisation handeln würde, die "in den Organismus des Staates einbezogen" sei und dort "das staatliche Leben selbst ausmache". Es ging um die Zuweisung von Pflichten, die den nationalsozialistischen Maximen folgend "ihn für das Ganze zu wirken berufen" würden.(34) Die Bestallung als Arzt wurde u. a. von der nationalen und sittlichen Zuverlässigkeit sowie der "deutschblütigen Abstammung" abhängig gemacht (§ 3 RÄO). Der Leiter der Reichsärztekammer (Reichsärzteführer) wurde vom "Führer und Reichskanzler" berufen und abberufen (§ 21 RÄO). Wahlen gab es nicht mehr. Die Reichsärztekammer errichtete als ihre Untergliederungen Ärztekammern und ärztliche Bezirksvereinigungen und berief deren Leiter (§ 28, 29 RÄO). Zu den vom nationalsozialistischen Staat vorgegebenen "neuen Zielen" gehörte "zum Wohle von Volk und Reich für die Erhaltung und Hebung der Gesundheit, des Erbguts und der Rasse des deutschen Volkes zu wirken" (§ 19 RÄO).(35) Auch wenn hier nicht auf Einzelheiten der Reichsärzteordnung eingegangen werden kann, lässt schon der zitierte § 19 erkennen, dass mit dem Gesetz ein Paradigmenwechsel herbeigeführt wurde, bei dem die kostenbewusste Präventivmedizin an die Stelle der kurativen Individualmedizin treten und die Gesundheit des Einzelnen zugunsten einer auf die Sanierung der Gesellschaft gerichteten Sozial- und Rassenhygiene mehr in den Hintergrund treten sollte.(36)

Die Ärztekammer Schleswig-Holstein nach 1945 - Eine Landesärztekammer mit fragwürdiger Rechtsgrundlage

Nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches hatten auch die Reichsärztekammer und die Kassenärztliche Vereinigung Deutschlands (KVD) mit ihren Provinzuntergliederungen keine Grundlage für administratives Handeln mehr. Zur Aufrechterhaltung eines funktionierenden Gesundheitswesens waren die Untergliederungen jedoch unentbehrlich. Deswegen beauftragte in Schleswig-Holstein der Oberpräsident mit Genehmigung der britischen Militärregierung die niedergelassenen Ärzte Berthold Rodewald (Kiel), vormals Amtsarzt in Waldenburg/Schlesien, und Hans Stubbe (Heide) schon Ende Juni 1945 damit, die Geschäfte der Ärztekammer unter Einschluss der KV-Aufgaben kommissarisch wahrzunehmen. Die Besatzungsmacht befürchtete in dem Chaos der ersten Nachkriegszeit im völlig mit Flüchtlingen übervölkerten Schleswig-Holstein den Zusammenbruch der ärztlichen Versorgung sowie den Ausbruch von Seuchen. Die Zulassung einer ausreichenden Zahl von Ärzten, die aus dem Militärdienst und als Flüchtlinge in das Land gekommen waren, zur Kassenpraxis musste dringend geregelt werden.

Ohne förmliche, rechtsverbindliche Grundlagen wurde die um nationalsozialistisches Gedankengut befreite Reichsärzteordnung weiter herangezogen.(37) Rechtsgrundlagen für eine Berufsgerichtsbarkeit und Facharztanerkennungen fehlten, auch gab es keine gültige Wahlordnung. Eine möglichst schnelle Abhilfe schien erforderlich. Dies hatte Berthold Rodewald erkannt. Bereits im Sommer 1945 war ein Gesetzesentwurf für ein Ärztekammergesetz erstellt worden, der die Billigung der Landesregierung, aber nicht die der Besatzungsmacht fand. Angestrebt wurde eine Anlehnung an das Preußische Ärztekammergesetz aus dem Jahr 1926. Rodewald schrieb dazu, dass er sich früh darum bemüht habe, "für die Kammerarbeit wieder eine rechtskräftige Basis zu schaffen, weil ich sie für das wichtigste hielt (und halte), während alle laufenden Geschäfte, einerlei ob materieller oder personeller Natur, dem gegenüber unwichtig waren, mochten sie auch im Augenblick dringlich sein".(38) Es gelang Rodewald mit anderen aktiven Ärzten (zu nennen sind besonders Stubbe/Heide, Wassmund/Pansdorf und v. Rohden, Dillner und Kröner aus Lübeck) trotz der schwierigen Verkehrsverhältnisse und der unsicheren Postwege ziemlich rasch, wieder ärztliche Kreisvereine zu bilden und unbelastete Ärzte mit berufspolitischer Erfahrung zu finden, die als Vorsitzende gewählt und von der Militärregierung bestätigt werden konnten.

Diese Kreisvereinsvorsitzenden bildeten den aus 20 Obmännern bestehenden Beraterkreis für den bald auch als Präsidenten bezeichneten "Kammerkommissar". Damit hatte sich eine Art parlamentarisches Organ gebildet, das sich selbst damals als "Landesärztekammer" bezeichnete. Die erste vorbereitende Ärztekammersitzung fand am 30. Juni 1945 in Bad Segeberg statt. Auf Anweisung der Militärregierung wurde ein fünfköpfiger Vorstand gebildet.(39) Die Verwaltungsarbeiten wurden von einem geschäftsführenden Arzt, erst Karl Haedenkamp, der bald darauf die Geschäftsführung des Nordwestdeutschen Kammerausschusses übernahm, dann Curt Walder im Auftrag des Vorstands erledigt.(40)

Die von der Kammer zu erledigenden Arbeiten waren außerordentlich schwierig. Die Aufgaben hatten einen Umfang, wie es sie für Ärztekammern seit ihrem Bestehen noch nicht gegeben hatte. Hunderttausende von ärztlich unversorgten Flüchtlingen (1,2 Millionen bei einer Gesamtbevölkerung von 2,65 Millionen) standen einer übergroßen Zahl unversorgter Ärzte (knapp 700 gegenüber 350 einheimischen Ärzten) gegenüber.(41) Die sozialhygienischen Probleme, das starke Ansteigen der Geschlechtskrankheiten und Tuberkuloseerkrankungen bei unglaublichen Unterbringungsverhältnissen und einem unvorstellbaren Mangel an allen erforderlichen Materialien, erschwerten der unter provisorischen Bedingungen arbeitenden Kammer die Arbeiten zusätzlich.(42)

Überschattet wurde alles von der unsicheren rechtlichen Lage der Ärztekammer. Formalrechtlich war die Reichsärztekammer nie aufgelöst worden, bestand aber de facto nicht mehr, da sie ihre Tätigkeit als zentrale Reichseinrichtung eingestellt hatte. Die Untergliederungen in den Ländern bestanden, wie in Schleswig-Holstein, fort und nahmen ihre Aufgabe als Funktionsträger der de jure noch fortbestehenden Reichsärztekammer wahr. Diese Auffassung festigte sich jedoch erst durch die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Münster 1951(43) sowie des Verwaltungsgerichtshofs 3. Karlsruher Senat 1952(44) u. a., nachdem es vorher auch gegenläufige Urteile gegeben hatte. Bis dahin war die notwendige, aber nicht unumstrittene Arbeit der Ärztekammern ohne verlässliche Rechtsgrundlage. Hinzu kam die schlechte Stimmung in der Ärzteschaft. Ihr ging es nicht gut. Die Nachfolgeorganisation der Reichsärztekammer wurde mit Misstrauen betrachtet. So gab es starke Widerstände auch aus der Ärzteschaft wie auch Unzufriedenheit und Erbitterung. Besonders als nachteilig empfundene Entscheidungen der Kammer führten zu persönlichen Angriffen und Verunglimpfungen gegenüber den kommissarisch bestellten Leitern der Kammer. Schwerer noch wogen die Hemmnisse, die durch mitunter inkompetente, von der Besatzungsmacht eingesetzte Kommissare der unteren Verwaltungsebenen entstanden, die den Fortgang der Arbeit gelegentlich nachhaltig gefährdeten.(45)

Das schleswig-holsteinische (Landes-)Ärztekammergesetz

Ein Ärztekammergesetz war überfällig. Am 7. Mai 1951, immerhin bereits sechs Jahre nach dem Zusammenbruch des "Dritten Reiches" verhandelte der Landtag in erster Lesung über den Entwurf eines "Gesetzes über die Berufsvertretungen der Ärzte, Zahnärzte und Dentisten (Kammergesetz)", in dem auch wesentliche Ärztekammerwünsche berücksichtigt worden waren. Die SPD war gegen den Entwurf, sie hielt neben anderen Gründen eine Vorabentscheidung auf Landesebene nicht für sinnvoll, da nach Auffassung der Bundesregierung die Länder nicht zuständig seien. Auch sei die vorgesehene Zwangsmitgliedschaft verfassungsrechtlich unzulässig.(46)

Der Gesetzesentwurf wurde an die Ausschüsse überwiesen. Nachdem der Landtagsausschuss für Verfassung und Geschäftsordnung seinerseits sowohl die Zuständigkeit des Landes wie auch die Verfassungsmäßigkeit des Entwurfs in Zweifel gezogen hatte und der hierzu befragte Bundesjustizminister sich dieser Auffassung angeschlossen hatte,(47) stockte das Gesetzesvorhaben. Zu einer zweiten Lesung kam es in dieser Legislaturperiode des Landtags nicht mehr.(48) In der Zeit bis zu einer neuen Befassung des Landtags mit einem Ärztekammergesetz gab es in der Kammer einige Veränderungen. Rodewald war als Präsident der Ärztekammer zum Ende der Wahlperiode der Kammerversammlung am 31. Dezember 1952 ausgeschieden und Schriftleiter des Deutschen Ärzteblattes geworden. Sein Amt musste vom Vizepräsidenten Georg Juretzka/Eckernförde geschäftsführend übernommen werden. Wegen Uneinigkeiten in der Ärzteschaft gegen die bereits 1949 angewandte Wahlordnung konnte weder eine Kammerversammlung noch ein neuer Vorstand gewählt werden.

Am 11. August 1953 lag dem Landtag nach über zwei Jahren wiederum ein Entwurf, diesmal der Entwurf eines Gesetzes nur für die Ärztekammer zur ersten Lesung vor. Neu wurde für das Ärztekammergesetz zur Vermeidung verfassungsrechtlicher Probleme das "Repräsentativsystem" vorgeschlagen, nach dem die Ärzte die Kammer zu wählen hatten, ohne selbst Pflichtmitglieder zu werden. Damit sollte den auf Bundesebene fortgeltenden Bedenken Rechnung getragen werden. Die Lübecker Ärztin Lena Ohnesorge sprach für den Gesamtdeutschen Block (BHE) und stellte den Sinn von Untergliederungen der Ärztekammer infrage. Der Rechtsanwalt Rohloff (CDU) bezweifelte die Rechtmäßigkeit einer Ermächtigung zur Schaffung obligatorischer Versorgungseinrichtungen. Rechtsanwalt Rehs (SPD) bekräftigte die gut zwei Jahre vorher geäußerten Bedenken seiner Partei, plädierte für eine Zurückstellung des Gesetzesvorhabens und wies darauf hin, dass erhebliche Teile der Ärzteschaft einschließlich des Hartmannbundes gegen die Errichtung von Kammern mit Zwangsbefugnissen seien. In der am Tag nach der Landtagssitzung stattfindenden Kammerversammlung wurde von den Delegierten betont, dass die Landesärztekammer Schleswig-Holstein als fortbestehender Teil der Reichsärztekammer bereits existiere. Der Kammergedanke sei, von einigen Außenseitern abgesehen, Gemeingut aller Ärzte.

Der Vorsitzende des schleswig-holsteinischen Hartmannbundes, Otto Beckmann/Rendsburg, erklärte, dass sein Verband eine Ärztekammer und insbesondere auch die Berufsgerichtsbarkeit wünsche. Die Kammerversammlung hielt das vorgeschlagene Repräsentativsystem für annehmbar, jedoch müsste die Möglichkeit in den Kreisen erhalten bleiben, Untergliederungen zu bilden. Zur vorgesehenen von der CDU infrage gestellten Ermächtigung, eine Versorgungseinrichtung bilden zu dürfen wie auch zur Einschränkung der Zuständigkeit der Kammer auf die den Beruf ausübenden Ärzte ist eine Meinungsäußerung der Versammlung zu diesem Zeitpunkt nicht überliefert.(49) Dies wurde in einem offenen Brief an die Landtagsabgeordneten im Dezemberheft des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblattes nachgeholt.(50) Das am 7. Dezember 1953 einstimmig vom Landtag verabschiedete Gesetz trat am 1. Januar 1954 in Kraft, ohne dass die Bedenken der Kammer berücksichtigt wurden. Das Gesetz über die Berufsgerichtsbarkeit folgte am 22. Februar 1954 und trat zum 1. April 1954 in Kraft.

Die Kammer hatte ihr Gesetz. Es waren aber nicht alle Erwartungen erfüllt worden. So bestand anfangs sehr heftige Kritik gegen das Fehlen einer Ermächtigung, Untergliederungen zu bilden, die Beschränkung des Wirkungsbereichs der Ärztekammer auf die Ärzte, die ihren Beruf ausüben, die fehlende Ermächtigung für die Ärztekammer, Versorgungseinrichtungen mit Pflichtzugehörigkeit schaffen zu können, und einige weitere Regelungen fort.(51) Am 6. Juli 1959 wurde eine Änderung des Ärztekammergesetzes durch den Landtag beschlossen. Nunmehr gab es auch die Möglichkeit, Versorgungseinrichtungen zu schaffen, wenn die Mehrheit der Ärzte dieser Einführung zustimmt.(52) Weitere Änderungen im Sinne der Forderungen der Ärzteschaft folgten in späteren Jahren. Eine Ausnahme bildete die Möglichkeit, Untergliederungen zu bilden. Der Kammer gelang es jedoch, durch Berufung der Vertreter eines jeden Kreises in einen Kreisausschuss der Kammer für seine Region die notwendige Verbindung zur lokalen Ärzteschaft und ihren Vereinen aufrecht zu erhalten. Dem 1954 gewählten Präsidenten Kurt Dutte war es nicht mehr vergönnt, das Ergebnis seiner Bemühungen um eine leistungsfähige Ärzteversorgung zu erleben. Er starb am 15. Juli 1961 55-jährig an den Folgen eines Herzinfarktes. Sein Nachfolger wurde im Oktober 1961 für über 15 Jahre der Nervenarzt Edmund Christiani aus Kiel.



Literatur beim Verfasser oder im Internet unter
www.aerzteblatt-sh.de

Dr. med. Dr. phil. Karl-Werner Ratschko, Havkamp 23, 23795 Bad Segeberg


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 10/2014 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2014/201410/h14104a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

*

Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
67. Jahrgang, Oktober 2014, Seite 40 - 47
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz-Joseph Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-119, -127, Fax: -188
E-Mail: aerzteblatt@aeksh.org
www.aeksh.de
www.arztfindex.de
www.aerzteblatt-sh.de
 
Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. November 2014