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GESCHICHTE/540: Gletschermumie Ötzi veranlagt zu Herz-Kreislauferkrankungen - Genomanalyse liegt vor (idw)


Europäische Akademie Bozen / European Academy Bozen/Bolzano - 28.02.2012

Ötzi veranlagt zu Herz-Kreislauferkrankungen

Erste Genomanalyse liegt vor


Vor rund eineinhalb Jahren gelang einem Forscherteam die Entschlüsselung des kompletten Genoms des Mannes aus dem Eis, also seines gesamten Erbguts. Die Weichen, um weitere Rätsel rund um die älteste Gletschermumie der Welt aufzulösen, waren damit gestellt. Nun folgt der nächste Meilenstein: Die Forscher des Instituts für Mumien und den Iceman der Europäischen Akademie Bozen (EURAC), der Institute für Humangenetik der Universität Tübingen und der Universität des Saarlandes haben die Rohdaten der DNA-Sequenzierung auf verschiedene Aspekte hin ausgewertet. Die Ergebnisse hat das Fachmagazin "Nature Communications" soeben publiziert.

Das Foto zeigt eine neue Rekonstruktion des Iceman, im Südtiroler Archäologiemuseum. - Foto: © Südtiroler Archäologiemuseum, Foto Ochsenreiter

Neue Rekonstruktion des Iceman, im Südtiroler Archäologiemuseum zu sehen.
Foto: © Südtiroler Archäologiemuseum, Foto Ochsenreiter

Ötzi hatte eine genetische Veranlagung für Herz-Kreislauferkrankungen. Das ergaben die jüngsten Studien des Forscherteams rund um Albert Zink und Angela Graefen vom Bozner EURAC-Institut für Mumien und den Iceman, Carsten Pusch und Nikolaus Blin vom Institut für Humangenetik der Universität Tübingen sowie Andreas Keller und Eckart Meese vom Institut für Humangenetik der Universität des Saarlandes. An der 5.000 Jahre alten Gletschermumie ist jedoch nicht nur die genetische Veranlagung nachweisbar, sondern auch bereits ein Symptom der Erkrankung in Form einer Arterienverkalkung. Dabei war Ötzi seinerzeit nicht den Risikofaktoren ausgesetzt, die heute Herzkreislauf-Erkrankungen maßgeblich beeinflussen: Er war nicht übergewichtig, bewegte sich viel. "Die Bestätigung, dass solche genetischen Veranlagungen schon zu Zeiten des Ötzi vorhanden waren, ist für uns sehr interessant. Denn es zeigt, dass Herz-Kreislauferkrankungen keineswegs moderne Zivilisationskrankheiten sind.

Uns liegt nun daran, anhand dieser Daten die Entwicklung dieser Erkrankungen besser zu erforschen", unterstreichen der Anthropologe Albert Zink und der Bioinformatiker Andreas Keller.

Eduard Egarter-Vigl und Albert Zink bei der Probenentnahme im November 2010. - Foto: © Südtiroler Archäologiemuseum/EURAC/Marco Samadelli

Eduard Egarter-Vigl (links) und Albert Zink (rechts) bei der Probenentnahme im November 2010.
Foto: © Südtiroler Archäologiemuseum/EURAC/Marco Samadelli

Neben dieser genetischen Veranlagung konnten die Forscher Spuren von Borrelien aufspüren, die die Ursache einer Infektionskrankheit sind, die durch Zecken übertragen wird. Carsten Pusch, der die genetischen Untersuchungen in Tübingen leitete, vermerkt: "Dies ist der älteste Beleg für Borreliose und dafür, dass sie bereits vor 5.000 Jahren übertragen wurde."

Ein Aspekt, dem die Forscher außerdem nachgingen, ist die genetische Herkunft des Mannes aus dem Eis. Ihre Untersuchungen zeigen, dass Ötzi einer so genannten Haplogruppe des Y-Chromosoms angehört, die heutzutage in Europa relativ selten ist. Die Charakteristiken weisen zum einen darauf hin, dass Ötzis Vorfahren in der Jungsteinzeit im Zuge der Ausbreitung von Ackerbau und Viehzucht aus dem Nahen Osten eingewandert sind. Zum anderen zeigt es sich, dass deren DNA sich bis heute in sehr abgelegenen Gegenden, etwa bei Inselbevölkerungsgruppen, gehalten hat wie beispielweise auf Sardinien und Korsika.

Dabei ergaben die genetischen Untersuchungen auch zahlreiche Informationen zu den körperlichen Eigenschaften des Mannes aus dem Eis: Er hatte braune Augen, braune Haare und litt unter Laktoseunverträglichkeit, konnte also keinen Milchzucker verdauen. Dieser Befund stützt die Annahme, dass in der Zeit von Ötzi trotz der bereits vorherrschenden bäuerlichen Lebensweise die Laktoseintoleranz noch sehr weit verbreitet war. Die Entwicklung hin zur Milchverträglichkeit im Erwachsenenalter ging mit der Domestizierung von Tieren einher.

Das Projekt wurde von der National Geographic Society (USA), Life Technologies (USA) und Comprehensive Biomarker Center (Heidelberg) unterstützt.


Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution999


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Europäische Akademie Bozen - European Academy Bozen/Bolzano - 29.02.2012

Richtigstellung: Ötzi war kein Sarde


Die gestrige Aussage eines am Projekt beteiligten Forschers der Universität Tübingen zu den Ergebnissen der ersten Genomanalyse der Gletschermumie Ötzi gegenüber der dpa hat zu einigen Missverständnissen in der Presse geführt. Diese möchte das Forscherteam des Instituts für Mumien und den Iceman der Europäischen Akademie Bozen (EURAC), die das Projekt unter der Leitung von Albert Zink koordiniert hat, richtig stellen.


Herkunft

Das Ergebnis der Forschungsgruppe, dass Ötzis so genannte Y-chromosomale Haplogruppe G2a4, welche die väterliche Herkunft widerspiegelt, heute in Sardinien und Korsika weitaus häufiger als im restlichen Italien vorkommt, führte zur Spekulation, Ötzis Vorfahren kämen aus dieser Gegend. "So können wir dies jedoch nicht deuten", erklärt Angela Graefen, Paläogenetikerin am EURAC-Institut für Mumien und den Iceman, die Erstautorin des Fachartikels ist, den "Nature Communications" gestern veröffentlicht hatte. "Viel wahrscheinlicher ist es, dass diese Haplogruppe ursprünglich von den ersten Ackerbauern und Viehzüchtern im Zuge der so genannten "Neolithischen Revolution" (etwa 1000 Jahre vor Ötzis Lebzeiten) aus dem Nahen Osten nach Europa gebracht wurde und zu Ötzis Zeit wesentlich verbreiteter war. Sie ging allmählich über die nächsten Jahrtausende durch die vielen Wanderbewegungen der Menschheitsgeschichte verloren und ist nur noch in isolierten Regionen wie beispielsweise den mediterranen Inselregionen erhalten geblieben.", erklärt sie. Möglicherweise sei diese Haplogruppe auch im Alpengebiet und Südtirol häufiger.Für diese Gebiete stehen aber noch nicht genügend genetische Daten moderner Populationen zur Verfügung. "Das Archiv an Informationen, welches Ötzis Genom uns bietet, wird im Laufe der nächsten Jahre im Vergleich mit weiteren paläogenetischen Studien Aufschluss über die damaligen Migrations- und Ausbreitungsrouten der ersten Ackerbauern und Viehzüchter bieten.", erläutert Angela Graefen.


Laktoseintoleranz

"Auch die Laktoseintoleranz, welche in der Presse zum Teil als Leiden oder gar als Zivilisationskrankheit gedeutet wurde, ist stattdessen der eigentliche biologische Normalzustand des Menschen in der Geschichte.", erklärt die Wissenschaftlerin. Studien haben ergeben, dass Laktoseintoleranz während der Jungsteinzeit noch die Regel war. Die Fähigkeit, Milch nach der Kindheit zu verdauen, sei einst eine zufällige Mutation gewesen, welche aber dann einen erheblichen Selektionsvorteil bot und sich daher über die nächsten Jahrtausende allmählich ausbreitete. Allerdings sei in vielen Regionen, beispielsweise in Süditalien, die Laktoseintoleranz immer noch der häufigere Zustand. Ötzis Laktoseintoleranz sei somit für seine Zeit normal und keineswegs ein Beleg dafür, dass er noch Jäger und Sammler war - zu einer mittlerweile vom bäuerlichen Leben geprägten Zeit.


Hintergrund: die Forschungsgruppe

An der Bearbeitung des Ötzigenoms waren eine Vielzahl von Instituten beteiligt: Koordiniert wurde das Gesamtprojekt vom EURAC-Institut für Mumien und den Iceman in Bozen, wo auch ein erheblicher Teil der späteren Auswertung stattgefunden hat. Die DNA-Extraktion ist in Tübingen erfolgt, weitere Probenvorbereitungen und die Genom-Sequenzierung haben Forscher der Universität des Saarlandes mit Projektpartnern aus den USA durchgeführt.

Die anschließende Genomanalyse fand ebenfalls an unterschiedlichen Orten statt. Ötzis Herkunft haben Forschergruppen aus Massachusetts und Kalifornien mit den EURAC-Wissenschaftlern gemeinsam untersucht. Die Analyse der bakteriellen DNA in der Knochenprobe haben die EURAC-Forscher hingegen mit den Kollegen der Universität Tübingen durchgeführt. Die Ergebnisse waren im Anschluss mittels Untersuchung einer Zweitprobe an der EURAC bestätigt worden. Die genomischen Daten sind im Internet für Forscher aus allen Forschungszweigen öffentlich zugänglich
(www.icemangenome.net).


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Europäische Akademie Bozen - European Academy Bozen/Bolzano
Laura Defranceschi, 28.02.2012
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. März 2012