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GIFT/179: Bleivergiftung nach Reparaturarbeiten (Thieme)


Thieme Verlag / FZMedNews - Mittwoch, 9. Dezember 2009

Bleivergiftung nach Reparaturarbeiten


fzm - Obwohl die Verwendung von Blei in Deutschland stark eingeschränkt ist, kann es auch heute noch zu Vergiftungen kommen. Eine mögliche Schadstoffquelle sind bleihaltige Rostschutzfarben. In der Fachzeitschrift "DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift" (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2009) berichten Toxikologen über eine Vergiftung von 17 Arbeitern, die Masten einer Hochspannungsleitung erneuert hatten.

Die Arbeiter hatten alte Rostschutzfarbe mit sogenannten Nadelpistolen von den Metallflächen entfernt. Der dabei freigesetzte Staub war bleihaltig, denn die Rostschutzfarbe enthielt Bleioxid, erkennbar an seiner leuchtend roten Farbe. Es wird heute nicht mehr verwendet.

Dem Auftraggeber der Reparaturarbeiten war das Risiko einer Bleikontamination bekannt. Die Masten waren deshalb zum Schutz der Umwelt mit einer Folie umhüllt worden. Doch gerade diese Maßnahme könnte die Belastung der Arbeiter erhöht haben, befürchtet Dr. med. Robert Friedrich Willi vom Klinikum rechts der Isar in München, das einen Giftnotruf anbietet.

Die vom Auftraggeber veranlassten Blutuntersuchungen ergaben, dass die Arbeiter bereits zu Beginn erhöhte Bleiwerte hatten. Nach dem ersten Tag der Arbeiten waren die Bleikonzentrationen im Blut noch einmal sprunghaft angestiegen. Bei 15 der 17 Arbeiter lagen die Blutkonzentrationen zum Teil deutlich über dem biologischen Grenzwert (BGW). Deshalb wurde der Giftnotruf alarmiert.

Dr. Willi vermutet, dass die Arbeiter infolge der sommerlichen Temperaturen die Atemmasken nicht vorschriftsmäßig getragen haben. Der schnelle Anstieg der Bleikonzentration sei am ehesten auf eine Einatmung bleihaltiger Stäube zurückzuführen, deren Konzentration in der Luft infolge der Folienabdeckung sehr hoch gewesen sein dürfte. Denkbar erscheint dem Experten auch eine Aufnahme über die Haut - die Arbeiter trugen jedoch Handschuhe - oder über die Nahrung. Auf Nachfrage hatten die Männer angegeben, während der Arbeit Nahrung und Flüssigkeit zu sich genommen zu haben. Einige hatten trotz Verbot am Arbeitsplatz geraucht. Bei mangelnder Hygiene könnten sich über eine Kontamination der Hände relevante Mengen von Blei auf der Nahrung oder im feuchten Milieu des Mundstücks der Zigarette ansammeln und in den Mundraum gelangen, schreibt Dr. Willi.

Alle Männer mit Bleiwerten über dem Grenzwert wurden mit dem Gegenmittel Dimercaprol behandelt. Der sogenannte Chelatbildner fängt die Metallionen im Blut auf und wird zusammen mit ihnen über die Nieren ausgeschieden. Die Behandlung gestaltete sich allerdings schwierig. Da Bleivergiftungen selten sind, konnte eine internationale Apotheke das Gegenmittel nicht in ausreichender Menge besorgen. Die Therapie musste nach zehn Tagen abgebrochen werden.

Eine Chelattherapie ist nach Auskunft von Dr. Willi nicht immer notwendig, da das Blei auch ohne Behandlung langsam ausgeschieden wird und die Chelatbildner zum Teil schwere Nebenwirkungen haben. Einer der Arbeiter musste das Mittel absetzen, nachdem er einen Hautausschlag bekam. Notwendig ist die medikamentöse Behandlung, wenn die Vergiftung zu Symptomen führt. Diese sind bei einer Bleivergiftung jedoch unspezifisch. Viele Vergiftungserscheinungen wie Kopfschmerz, Nervosität, Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Verstopfung oder Durchfall können andere Ursachen haben. Eindeutige Zeichen, zu denen ein Bleisaum am Zahnfleischrand, eine Verfärbung der Haut oder Lähmungen bestimmter Nerven an Händen und Füßen gehören, traten bei den Patienten nicht auf. Es wurde deshalb auch keine Berufskrankheit festgestellt.

Dr. Willi glaubt nicht, dass es sich um Einzelfälle handelt: Berufliche Bleivergiftungen seien in Deutschland weiterhin möglich, schreibt der Experte. Er fordert deshalb ein "Biomonitoring": Bei allen Arbeitern, die beispielsweise bei Reparaturarbeiten mit Blei in Berührung kommen, sollte das Blut untersucht werden.


R. F. Willi et al.:
Gruppenvergiftung mit Blei am Arbeitsplatz.
DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2009; 134 (50): S. 2556-2560


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Quelle:
FZMedNews - Mittwoch, 9. Dezember 2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Dezember 2009