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GESUNDHEIT/836: Hebammen in der Geburtshilfe - Kompetent, liebevoll und geduldig (Securvital)


Securvital 4/2010 - Juli/August
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen

Hebammen in der Geburtshilfe: Kompetent, liebevoll und geduldig

Von Sibylle Reichenbacher


Viele Schwangere finden keine Hebamme mehr. Die Wartelisten werden länger. Immer mehr freiberufliche Hebammen geben die Geburtshilfe auf. Sie haben einen der schönsten und wichtigsten Berufe der Welt, aber sie werden schlecht bezahlt. Hebammen brauchen größere Unterstützung, damit das Recht der Frauen auf Wahlfreiheit bei der Geburt nicht in Gefahr gerät.


Es gibt "leider keinen anderen Ausweg", sagt Katja Staiger, Hebamme im Geburtshaus Pankow. Ab August werden die sechs erfahrenen Hebammen im Geburtshaus Pankow keine Geburten mehr betreuen, sondern nur noch Kurse für Schwangere, Beratung und Betreuung nach der Geburt anbieten. "Dieser Schritt fällt uns schwer. Wir alle arbeiten mit großem persönlichem Engagement. Aber jetzt werden wir gezwungen, aus der Geburtshilfe auszusteigen. Die Haftpflicht für Geburtshilfe wird jetzt so drastisch erhöht, dass wir uns das nicht mehr leisten können. Das ist wirklich bitter."

Das ist leider kein Einzelfall. Der Beruf der Hebammen ist zwar gesellschaftlich hoch angesehen, aber finanziell eine Einladung zur Selbstausbeutung. Die Honorierung ist "skandalös niedrig", sagt die Kölner Hebamme Lisa von Reiche. Das Einkommen von Hebammen liege umgerechnet bei 7,50 Euro pro Stunde. "Bei dem Stundenlohn muss man schon mit sehr viel Herzblut und großem Enthusiasmus den Beruf ausüben. Wegen des kargen Verdienstes macht keine Hebamme ihren Job", bestätigt Klaudia Zettl-Kaufenstein, Hebamme aus Bayern mit über 30 Jahren Berufserfahrung.


Recht auf Unterstützung

Jetzt kommt noch ein großes aktuelles Problem hinzu: Zur Jahresmitte sind die Haftpflichtprämien, die Hebammen für ihre Geburtshilfe aufbringen müssen, um mehr als 50 % auf 3.689 Euro pro Jahr gestiegen.

Für viele Hebammen ist diese Entwicklung existenzgefährdend, zumal die Geburtshelferinnen die volle Haftpflichtprämie auch bei Teilzeitarbeit aufbringen müssen. Damit verschlingt allein der Haftpflichtschutz in vielen Fällen die Hälfte des Geburtshilfehonorars.

Die Wahl einer eigenen Hebamme gehört wie selbstverständlich zur Familienplanung deutscher Elternpaare. Viele Frauen suchen eine Hebamme ihres Vertrauens, die sie in der Schwangerschaft persönlich begleitet und auch bei der Geburt hilft. Doch das wird in Zukunft weitaus schwieriger. Noch sind freiberufliche Hebammen bei einem Viertel der 650.000 Geburten pro Jahr dabei. Mit ihrer Hilfe kommen auch jährlich über 10.000 Kinder in Geburtshäusern oder zu Hause zur Welt.

"Ich liebe meinen Beruf und kann mir keinen anderen vorstellen", betont Katja Staiger. Aber sie hat großes Verständnis dafür, dass immer mehr freiberufliche Hebammen sich auf Schwangerenvorsorge, Geburtsvorbereitungskurse und Betreuung von Mutter und Kind nach der Geburt konzentrieren. Nur 25 % der 15.700 freiberuflichen Hebammen machen noch Geburtshilfe, teilt der Deutsche Hebammenverband mit. Über 1.000 sind allein in den vergangenen Monaten aus der direkten Geburtshilfe ausgestiegen. Viele Kolleginnen werden ihnen folgen, fürchtet Martina Klenk, die Präsidentin des Deutschen Hebammenverbands.

"Hebammen sind in ihrer beruflichen Existenz gefährdet", mahnt die Initiative "Hebammen für Deutschland". Das Problem trifft freiberufliche und angestellte Hebammen, bei denen ebenfalls eine eigene Haftpflichtversicherung erforderlich ist. Die Versicherungsunternehmen begründen die steigenden Haftpflichtprämien damit, dass sie mit hohen Schadenersatzkosten aus Prozessen rechnen müssen, die eventuell schon 30 Jahre zurück liegen. Der Deutsche Hebammenverband weist darauf hin, dass es die letzten Jahre keine Zunahme von Schadensfällen gegeben hat, die Kosten für einzelne Fälle aber dramatisch in die Höhe gestiegen sind.

"Das Recht der Frauen auf eine angemessene Unterstützung bei der Geburt darf nicht weiter ausgehöhlt werden."
Martina Klenk, Deutscher Hebammenverband e.V.

Die Hebammen geben nicht so schnell auf. Der Deutsche Hebammenverband hat eine bundesweite Protestkampagne gestartet und erinnert die Politik an ihre soziale Verantwortung. "Das Recht der Frauen auf persönliche Unterstützung bei der Geburt darf nicht weiter ausgehöhlt werden", fordern sie. Zu Recht, meint auch die SECURVITA Krankenkasse, die die Hebammen unterstützt.

Kernstück dieses Protestes ist eine Petition an den Bundestag, die in kürzester Zeit über 180.000 Mal unterschrieben wurde. Nun hoffen die Verbände auf die Unterstützung des Parlaments und der gesetzlichen Krankenversicherung.


Wahlfreiheit in Gefahr

Noch haben Schwangere in Deutschland die Wahl, wo sie ihr Kind zur Welt bringen wollen: Im Kreißsaal einer Klinik, in Hebammeneinrichtungen wie den Geburtshäusern oder auch zu Hause. "Viele Frauen wünschen sich eine Ansprechpartnerin, die sie von Beginn der Schwangerschaft an, während der Geburt und in der ersten Zeit mit dem neugeborenen Kind individuell und kompetent betreut", sagt Susanne Schäfer, 1. Vorsitzende des Bundes freiberuflicher Hebammen Deutschlands. "Das Anliegen freiberuflicher Hebammen ist es, diesem Wunsch entgegen zu kommen und sie kompetent und persönlich zu begleiten."

Hebammen setzen aus Erfahrung viel stärker auf natürliche Geburten - ob im Krankenhaus, Geburtshaus oder zu Hause. "Frauen, die sich für eine eigene Hebamme zur persönlichen Geburtsbegleitung entschieden haben, haben die wenigsten Komplikationen während der Geburt", argumentiert der Deutsche Hebammenverband. "92,8 % der Schwangeren, die sich für eine außerklinische Geburt entscheiden, gebären ihre Kinder auch wirklich natürlich. Nur 2,5 % bekommen eine Saugglocke und nur 4,7 % einen Kaiserschnitt."

Aber die Wahlfreiheit für eine natürliche und selbstbestimmte Geburt ist ernsthaft in Gefahr. Schon jetzt ist der Bedarf an Hebammen, die eine Frau individuell in der Schwangerschaft und bei der Geburt begleiten, weit größer als das Angebot.


Positives Signal

Im Internet tauschen sich Mütter zu diesem Thema rege aus. In Blogs und Elternforen wie urbia.de, eltern.de, kidsgo.de und magazin. netmoms.de wird das Dilemma bereits diskutiert. "Es gibt einen zunehmenden Mangel an freien Hebammen", berichtet eine zweifache Mutter. "Ich habe mich in der Schwangerschaft gleich von Anfang an dazu entschlossen, mich um eine 'eigene' Hebamme zu bemühen. Ich bin sehr froh darüber, dass das geklappt hat." "Hebammen sind unersetzlich in der Vor- und Nachsorge sowie in der Geburtsbetreuung!" bestätigt eine andere Mutter. Der Name SECURVITA fällt häufig: "Meine Hebamme hat mir die SECURVITA Krankenkasse empfohlen."

"Die Hebammenbetreuung sollte konsequent in die Gesundheitsfürsorge eingebunden werden."
Susanne Schäfer, Bund freiberuflicher Hebammen Deutschlands e.V.

"Die SECURVITA Krankenkasse setzt ein positives Signal", bestätigt die Präsidentin des Deutschen Hebammenverbands, Martina Klenk. "Die SECURVITA war als erste gesetzlich Krankenkasse bereit, eine Rufbereitschaftspauschale und zusätzliche Honorare für erweiterte Hebammenleistungen in der Schwangerschaftsbetreuung und der Nachsorge zu zahlen." Von den Kassenverbänden erwarten die Hebammen nun eine angemessene Honorierung, nachdem dies in den vergangenen Jahrzehnten versäumt wurde.

Die veraltete Hebammen-Gebührenordnung wurde erst im Jahr 2007 auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt. Seitdem sind die Hebammenverbände Vertragspartner des Spitzenverbands der Krankenkassen. Zurzeit aber stocken die Verhandlungen über eine neue Honorarregelung, ein Schiedsstellenspruch wird erwartet.

"Wir brauchen eine politische Lösung bei der Vergütung, damit der massive Einkommensrückstand der Hebamme aufgeholt wird", fordert Martina Klenk. Außer den Reizthemen Haftpflichtprämie und niedrige Honorare gibt es weiteren Zündstoff. So wurde zum Beispiel eine Zusatzausbildung für anerkannte Familienhebammen eingeführt. Die Familienhebammen sollen Familien in schwierigen Umständen länger als üblich nach einer Geburt betreuen. Eine wichtige soziale Maßnahme, meinen Hebammensprecherinnen, aber die Finanzierung sei nicht gesichert.

Gesundheitsminister Philipp Rösler hat den Hebammen Unterstützung zugesagt. Der Bundestag hat sich in einer öffentlichen Sitzung mit der Petition befasst. Aber mit einer schnellen Lösung rechnen die Hebammen nicht. "Wir werden weiter Druck machen müssen", meint Dr. Edith Wolber, Sprecherin des Hebammenverbands. "Zum Beispiel mit regelmäßigen Mahnwachen in den einzelnen Bundesländern. Sollten weder die Politik noch die Spitzenverbände der Krankenkassen akzeptable Angebote machen, schließen wir auch einen Streik nicht mehr aus". Nur wenn die Hebammen endlich gerecht entlohnt und die Haftpflichtpolicen neu geordnet werden, hat die Geburtshilfe durch Hebammen eine Zukunft. Ansonsten ist vor allem die Versorgung in ländlichen Gebieten gefährdet.

"Ich liebe meinen Beruf und kann mir keinen anderen vorstellen."
Katja Staiger, Geburtshaus Pankow

Dort werden die Probleme am schnellsten deutlich. Doch auch für die Städte gilt: Die Wartelisten werden länger und die Wahlmöglichkeiten der Schwangeren eingeschränkt. "Das ist ein weiterer Schritt zur Zentralisierung", ist Edith Wolber überzeugt. Die Hebammen würden aus der Geburtshilfe rausgedrängt.

Zentrale Geburtskliniken mit medizinischer Ausrichtung wären dann für viele Frauen die einzige Alternative. "Eine Folge wird sein, dass die Zahl der Kaiserschnitte drastisch zunehmen wird", prognostiziert der Deutsche Hebammenverband die unerwünschte Entwicklung. In den Krankenhäusern sei der Anteil der Kaiserschnittgeburten auf mittlerweile 30 % angestiegen, in einigen Regionen schon auf 50 %. Chirurgische Eingriffe verdrängen immer öfter die natürliche Geburt. Kaiserschnitte passen oft besser in den Klinikalltag, etwa zur Vermeidung von langen Bereitschaftsdiensten und Sonntagsschichten.

"Wir wollen Frauen in dem verwundbarsten und wunderbarsten Augenblick ihres Lebens kompetent, liebevoll und geduldig begleiten", betont Lisa von Reiche von der Hebammen-Initiative. Aber die Rahmenbedingungen dafür sind derzeit inakzeptabel. Die Lösung der zentralen Themen ist dringend geboten. Denn ein ganzer Berufsstand steht vor dem Aus, und damit die Wahlfreiheit und die Vielfalt der natürlichen Geburt. Hebammen sind Teil unseres sozialen und kulturellen Lebens. Sie vermitteln Frauen Sicherheit und Selbstvertrauen in ihre eigene Kraft und gemeinsam ermöglichen sie den Neugeborenen einen einzigartigen Start ins Leben.


Weitere Informationen:
Deutscher Hebammenverband, Gartenstraße 26, 76133 Karlsruhe,
Tel. 0721 / 981890, www.hebammenverband.de
Bund freiberuflicher Hebammen Deutschlands, Kasseler Str. 1a, 60486 Frankfurt,
Tel. 069 / 79 53 49 71, www.bfhd.de
Netzwerk der Geburtshäuser, Kasseler Str. 1a, 60486 Frankfurt,
Tel. 069 / 71034475, www.geburtshaus.de
"Babyfreundliches Krankenhaus" (WHO/Unicef-Initiative), Jan-Wellem-Str. 6, 51429 Bergisch Gladbach,
Tel. 02204 / 404590, www.stillfreundlich.de

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Quelle:
Securvital 4/2010 - Juli/August, Seite 6-10
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen
Herausgeber: SECURVITA GmbH - Gesellschaft zur Entwicklung
alternativer Versicherungskonzepte
Redaktion: Norbert Schnorbach (V.i.S.d.P.)
Lübeckertordamm 1-3, 20099 Hamburg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. August 2010