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VORSORGE/813: Fachtagung Impfen in Kiel - Diskussion über Impfpflicht (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 5/2019

Impfen
Überzeugen und Hürden senken

von Martin Geist


Fachtagung Impfen in Kiel: Diskussion über Impfpflicht und weitere Maßnahmen, mit denen die Impfrate erhöht werden könnte.


Groß war am 24. April der Zulauf, als die Landesvereinigung für Gesundheitsförderung zu ihrer jährlichen Fachtagung rund um das Thema Impfen ins Kieler Wissenschaftszentrum bat. Rund 150 Interessierte waren nicht nur da, sondern mit Nachfragen und Diskussionsbeiträgen engagiert dabei. Als Impfskeptiker gab sich zwar niemand im Saal zu erkennen. Wohl aber klang eine deutliche Skepsis gegen die derzeit diskutierte Einführung einer Impfpflicht durch.

Dr. Anne Marcic erinnerte als Infektionsschutzreferentin im Kieler Gesundheitsministerium an die gesetzlichen Voraussetzungen für die Einführung einer Impfpflicht. Infrage kommt ein solcher Zwang nur dann, wenn es um eine Krankheit mit klinisch schwerem Verlauf und der Gefahr einer epidemischen Verbreitung geht. Masern sind nach ihren Angaben in Schleswig-Holstein innerhalb der vergangenen zehn Jahre statistisch bei 0,14 bis 1,45 Betroffenen auf 100.000 Einwohner aufgetreten, das Ziel von einer Erkrankung auf eine Million Einwohner ist damit also noch weit entfernt.

Marcic ist nicht überzeugt davon, dass eine Impfpflicht viel bewirken würde. "Wenn Impfskeptiker gezwungen werden, werden sie zu Impfgegnern", beruft sie sich auf sie Untersuchung der Psychologin Prof. Cornelia Betsch aus Erfurt. Auch der Blick auf andere Länder in Europa gibt aus ihrer Sicht wenig Anlass zu Optimismus. So erhob Italien im Jahr 2017 einen Impfnachweis zur Voraussetzung für die Anmeldung in einem Kindergarten. Prompt machten die Gegner des Impfens derart mobil, dass die Regelung inzwischen faktisch ausgesetzt ist. Kaum besser sieht es in Frankreich aus, wo nach Einführung einer entsprechenden Pflicht die Zahl der Fälle, in denen nichtmedizinische Gründe gegen das Impfen vorgebracht wurden, um 40 Prozent hochgeschnellt ist. Ihr Resümee: "Es gibt immer Mittel und Wege, die Impfpflicht zu umgehen."

Der in Schleswig-Holstein beschrittene Weg dagegen ist aus Sicht der Ärztin nicht der schlechteste: Schon seit fast 20 Jahren müssen Eltern mit der Kita-Anmeldung ihres Nachwuchses nachweisen, dass sie beim Kinderarzt eine Impfberatung in Anspruch genommen haben und der jeweilige Impfstatus überprüft worden ist. Schon das führt nach ihrer Erfahrung ohne jeden formellen Zwang dazu, dass etwaige Lücken meist geschlossen werden. Wirklichen Handlungsbedarf gibt es nach Einschätzung der Infektionsschutzreferentin ohnehin nicht so sehr bei den Kindern, sondern bei jüngeren Erwachsenen und auch beim Personal in medizinischen Einrichtungen. Bei diesen Zielgruppen hilft nach Meinung von Marcic nur eins: "Impfen muss einfach werden." Dazu zählt u.a., dass Betriebsärzte aufsuchend tätig werden, statt in abgelegenen Räumen auf Freiwillige zu warten.

Zwang, so fürchtet Marcic, würde auch in Deutschland Impfgegnern Argumente liefern. Die ganze Debatte um die Impfpflicht ist nach ihrer Wahrnehmung eher dem "politischen Momentum" als der Not entsprungen. Ähnlich sahen es offenbar die Teilnehmer der Fachtagung in Kiel, die sich bei einer Spontanbefragung mit deutlicher Mehrheit gegen die Einführung einer Impfpflicht aussprachen.

Dass eine Impfung auch langfristig segensreiche Wirkungen entfalten kann, wurde beim Vortrag von Prof. Jörg Steinmann vom Medizinischen Versorgungszentrum für Labormedizin und Humangenetik in Hamburg deutlich. Herpes Zoster wird demnach grundsätzlich von meist über viele Jahre abgetauchten Erregern der Windpocken verursacht - egal ob diese von einer tatsächlich erlittenen Erkrankung oder einer dagegen vorgenommenen Impfung stammen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es bei geimpften Personen irgendwann zu einer Gürtelrose kommt, ist laut Steinmann allerdings um ein Vielfaches geringer. Davon abgesehen gibt es nach Angaben des Experten seit einiger Zeit einen Totimpfstoff, der speziell für über 60-Jährige empfohlen wird und auch bei noch einmal wesentlich älteren Menschen sehr gut wirkt.

Eine andere Frage ist indes, wie man Impfen möglichst einfach machen kann. Dr. Jens Uwe Meyer, Kinder- und Jugendarzt in Bad Oldesloe, verteilt in seiner Gemeinschaftspraxis das Anliegen auf möglichst viele Schultern. Fast alle medizinischen Fachangestellten setzen selber Injektionen, sodass praktisch das komplette Team den Impfstatus der Patienten im Blick hat. Nachteile hat diese Regelung aus Meyers Sicht überhaupt nicht. Im Gegenteil: "Die machen das alle super."

Erlaubt ist eine solche Delegation laut Dr. Uta Kunze von der Ärztekammer Schleswig-Holstein grundsätzlich dann, wenn ein Arzt sich von der Qualifikation der Medizinischen Fachangestellten (MFA) überzeugt hat und nach Anamnese, Indikationsstellung und Aufklärung in unmittelbarer Nähe ist, um bei Komplikationen einschreiten zu können. Das wäre nicht möglich, wenn auch Apotheker impfen dürften. Die Verantwortung liegt grundsätzlich beim Arzt. Deswegen spricht sich die Ärztekammer Schleswig-Holstein gegen das Impfen in Apotheken aus. Kunze verwies außerdem auf Aktivitäten in verschiedenen Gremien wie etwa der Planungsgruppe für die Impfkampagne in Schleswig-Holstein. Die Ärzte in Schleswig-Holstein erlebt sie beim Thema Impfen auf breiter Front als engagiert und aufgeschlossen.

Marcic empfahl in Zusammenhang mit der Forderung nach Impfungen durch Apotheker einen Blick auf die Schweiz. Dort lernen angehende Apotheker im Studium das Impfen und auch den Umgang mit möglichen Komplikationen. Die Apotheke sei damit eine bequeme und sichere Alternative für Menschen, die sich schützen wollen, aber den Aufwand für einen Gang zum Arzt scheuten. Wenigstens in Modellversuchen könnte die Sache mit den impfenden Apothekern deshalb auch in Deutschland erprobt werden, unterstützte Marcic einen entsprechenden Vorstoß von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn.

Meyer gewinnt der aktuellen Impfdebatte auch positive Züge ab. Das Thema ist nach seinem Eindruck bei den Eltern deutlich präsenter geworden, deutlich häufiger als früher fragen sie nach seiner Wahrnehmung von sich aus nach Impfmöglichkeiten. Auch die Skeptischen, so sagt Meyer, sind nicht das große Problem, wenn man ihnen mit einer gesunden Mischung aus Gelassenheit und Hartnäckigkeit begegnet: "Man kriegt sie mit der Zeit."


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 5/2019 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2019/201905/h19054a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
72. Jahrgang, Mai 2019, Seite 32
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juni 2019

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