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UMWELT/777: Mutter-Kind-Studie LiNA - Wenn der Stoffwechsel das Gleichgewicht verliert (UFZ-Newsletter)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Newsletter Dezember 2015

Wenn der Stoffwechsel das Gleichgewicht verliert

von Nicole Silbermann


Im Frühjahr 2006 startete das UFZ gemeinsam mit der Kinderklinik des Städtischen Klinikums "St. Georg" Leipzig und dem Institut für Klinische Immunologie und Dermatologie der Universität Leipzig die Mutter-Kind-Studie LiNA. Ihr Ziel ist es, Risiken zu erfassen, die bei Kindern zu Allergien führen. Dabei geht es am UFZ vornehmlich um die Rolle von Umweltfaktoren, etwa Chemikalien in der Luft von Innenräumen, und um Lebenstilfaktoren wie Lärm und Stress - aber auch um den aus dem Gleichgewicht gebrachten Stoffwechsel. Epidemiologische Studien zeigen, dass es zwischen dem Ungleichgewicht im Stoffwechsel von Schwangeren bzw. Neugeborenen und dem Allergie- und Krankheitsrisiko der Kinder eindeutige Zusammenhänge gibt. Bestimmte Zucker und Vitamine können es dabei ganz schön in sich haben.

Beispiel Vitamin D. Auf den ersten Blick gehört es zu den Guten, weil es Knochen, Muskeln und Nerven stärkt und in der kalten Jahreszeit vor Infektionen schützt. Unser Körper nimmt Vitamin D mit der Nahrung auf und kann es unter der Einwirkung von Sonnenlicht auch selbst produzieren. Es gibt Studien, die einen Mangel an Vitamin D als möglichen Auslöser allergischer Erkrankungen sehen. "Vor etwa 15 Jahren gab es aber auch erste Hinweise, dass hohe Vitamin-D-Spiegel die Entstehung von Allergien begünstigen können", sagt Umweltimmunologin Dr. Irina Lehmann. "Wir wollten herausfinden, ob dies bereits in einer ganz frühen Entwicklungsphase der Fall sein kann, also ob der Vitamin-D-Spiegel von Schwangeren das Allergierisiko der Kinder beeinflussen kann." Dafür fahndeten die UFZ-Forscher nach einem Zusammenhang zwischen dem Vitamin-D-Spiegel im Blut werdender Mütter und dem Auftreten von Nahrungsmittelallergien in den ersten beiden Lebensjahren der Kinder. Das Ergebnis ist deutlich: Kinder von Müttern mit hohen Vitamin-D-Spiegeln während der Schwangerschaft entwickeln häufiger Nahrungsmittelallergien als Kinder von Müttern mit niedrigen Werten. "Ein hohes Vitamin-D-Niveau bei Schwangeren trägt also zu einem erhöhten Risiko für die ungeborenen Kinder bei, im Kleinkindalter an einer Nahrungsmittelallergie zu erkranken", sagt Lehmann.

Und nicht nur das: Hohe Vitamin-D-Spiegel im Blut der Mutter führen beim Kind zu einer funktionellen Veränderung von Genen, die im Zusammenhang mit der Entwicklung von Asthma stehen. Diese sogenannte epigenetische Veränderung führt dazu, dass die Gene stärker aktiviert werden. "Die Entstehung von Allergien hängt natürlich nicht allein vom Vitamin-D-Spiegel ab", sagt Lehmann. "Er scheint aber durchaus eine Rolle zu spielen. Schwangeren würden wir die Einnahme von Vitamin-D-Ergänzungspräparaten mit dem Ziel, das Allergierisiko ihres Kindes zu senken, daher nicht unbedingt empfehlen."

Beispiel Zucker. Dringen Krankheitserreger in unseren Körper ein, wird das Immunsystem alarmiert: Mithilfe von Entzündungsprozessen und einer Kaskade von Abwehrmechanismen versucht der Körper, die Eindringlinge außer Gefecht zu setzen. Gerät unser Stoffwechsel aus dem Gleichgewicht, kann das aber auch schon dazu führen, dass das Immunsystem auf den Plan gerufen wird. Und zwar einfach so, ohne jegliche feindliche Übernahme. Der Körper kämpft dann gegen einen Feind, den es gar nicht gibt. "Das kann sogar bereits bei Neugeborenen der Fall sein, ausgelöst zum Beispiel durch erhöhte Zuckerkonzentrationen", sagt Lehmanns Kollegin Dr. Gunda Herberth. "Und das ist gar nicht gut. Denn eine entzündliche Immunantwort begünstigt unter anderem die Entstehung von Atemwegserkrankungen im frühen Kindesalter."

Hohe Konzentrationen anderer Stoffwechselprodukte wie Eiweißbausteine oder Abbauprodukte von Fetten hemmen dagegen die Entstehung von Entzündungen. "Wir vermuten, dass das Gleichgewicht zwischen den unterschiedlichen Stoffwechselprodukten für das Entstehen bzw. Nichtentstehen entzündlicher Prozesse mitverantwortlich ist", sagt Herberth. Man kann sich das so ähnlich vorstellen, wie zu zweit oder in der Gruppe auf einem Bein zu stehen - man kann sich dann gegenseitig stützen und fällt nicht so schnell um. Beginnt dann aber einer zu straucheln, kann es so oder so ausgehen. "Wir müssen verstehen, was unseren Stoffwechsel aus dem Lot bringt, wo die wichtigen Dreh- und Angelpunkte sind, und wie Umweltschadstoffe und insbesondere Chemikalien in unseren Stoffwechsel und die Regulation des Immunsystems eingreifen", sagt Lehmann. "Nur so können wir in Zukunft die Entstehung von Allergien und anderen entzündlichen Erkrankungen vermeiden und besser vorsorgen."

UFZ-Ansprechpartnerinnen:
• Dr. Irina Lehmann, Dr. Gunda Herberth
Dept. Umweltimmunologie

e-mail: irina.lehmann[at]ufz.de,
gunda.herberth[at]ufz.de


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

• Mehr als 600 Mütter und deren Kinder nehmen seit fast zehn Jahren an der Leipziger Mutter-Kind-Studie LiNA teil - von der 34. Schwangerschaftswoche bis zum 18. Geburtstag der Kinder um das Jahr 2024. www.ufz.de/LiNA (Foto: underdogstudios, fotolia.com)

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Quelle:
UFZ-Newsletter Dezember 2015, Seite 7
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Januar 2016

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