Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → FAKTEN

MELDUNG/480: Riskante Herzoperation rettet Schwangere und ihr ungeborenes Kind (idw)


Universitätsklinikum Ulm - 19.12.2011

Riskante Herzoperation rettet Schwangere und ihr ungeborenes Kind


Die kleine Sandra-Kim ist ein fröhliches, zufriedenes und gesundes kleines Mädchen mit dunklen Haaren und hellwachen Augen. "Pflegeleicht und arg lieb", so drücken es Mama Gudrun und Papa Claudiu Theil voller Stolz aus. 3.200 Gramm schwer, 51 Zentimeter groß. Normalwerte eines Säuglings bei der Geburt, die im Nachhinein nicht darauf schließen lassen, dass alles ganz anders hätte kommen können. Dass Sandra-Kim und/oder Mama Gudrun mit hoher Sicherheit gestorben wäre(n), wenn nicht hochspezialisierte Fachärzte aus verschiedenen Kliniken der Ulmer Universitätsmedizin eine außergewöhnliche Herzoperation gewagt hätten.

Eine Herzoperation, die so selten ist, dass sich mittlerweile sogar Spezialisten aus Kanada für die fachlichen Hintergründe dieses interdisziplinären Wagnisses interessieren. Für das glückliche Ehepaar ist die am 26. August dieses Jahres geborene Tochter das vierte Kind, das von den älteren Geschwistern (drei, fünf und sieben Jahre) stets mit viel Neugier und Zuneigung bedacht wird.

Die Geschichte: Gudrun Theil leidet an einer durch Bakterien entzündeten Herzklappe. Das diagnostiziert zunächst aber keiner der niedergelassenen Ärzte, die die werdende Mutter um die 20. Schwangerschaftswoche herum aufsucht. Ohne Ausnahme schieben sie Kurzatmigkeit und lang anhaltende Erschöpfung auf die "anderen Umstände" der 30-Jährigen. "Ich konnte plötzlich kein Fahrrad mehr fahren, ohne völlig außer Atem zu geraten, das Treppensteigen fiel mir immer schwerer, selbst der kurze Weg zum Kindergarten stellte mich vor ein fast unlösbares Problem. Außerdem bekam ich Fieber", erinnert sich Gudrun Theil, die schließlich selbst die Notbremse zieht und Ehemann Claudiu bittet, sie sofort in die Klinik für Innere Medizin II des Universitätsklinikums Ulm zu fahren. Dort erkennen Oberarzt Dr. Jochen Spieß und weitere Kollegen aus dem Team des Ärztlichen Direktors Prof. Dr. Wolfgang Rottbauer sehr schnell die lebensbedrohliche Situation für Mutter und Kind.

Eine fast unlösbare Situation: Einerseits ist Sandra-Kim noch nicht weit genug entwickelt - außerhalb des Mutterleibs hätte sie kaum eine Überlebenschance. Andererseits duldet der Allgemeinzustand von Gudrun Theil kein allzu langes Aufschieben der unbedingt notwendigen Operation. "Die Zerstörung der Herzklappe durch die bakterielle Infektion war bereits weit fortgeschritten. Wir hätten mit einem operativen Klappenersatz nicht bis nach der Geburt warten können, zumal die Schwangerschaft im weiteren Verlauf das Herz immer stärker belastet hätte. Zu einer Operation noch während der Schwangerschaft gab es keine Alternative", fasst Prof. Dr. Andreas Liebold, Ärztlicher Direktor der Klinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie, zusammen.

Was ist also zu tun? Ganz im Sinne einer gelebten Interdisziplinarität wird eine gemeinsame Strategie entwickelt. Beteiligt sind - neben dem herzchirurgischen Team um Prof. Liebold - Oberarzt PD Dr. Frank Reister, Leiter der Sektion Geburtshilfe an der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, der Neonatologe Dr. Wolfgang Lindner aus der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, die Kardioanästhesisten Oberarzt Dr. Wolfgang Öchsner und PD. Dr. Helmut Reinelt, Abteilungsleiter Kardioanästhesie, der Kardiotechniker Stefan Sajgo, sowie die Kardiologen Dr. Jochen Spieß und Prof. Dr. Wolfgang Rottbauer "Uns war klar, dass ein optimal abgestimmtes Timing in Kombination mit einem perfekt umgesetzten intraoperativen Management die wichtigsten Voraussetzungen für einen erfolgreichen Eingriff sein würden, bilanziert Oberarzt Öchsner.

Schritt 1: Engmaschige Überwachung der Schwangerschaft und Stabilisierung des mütterlichen Herz-Kreislauf-Systems. Ziel ist die Erreichung der 24. Schwangerschaftswoche. Ab diesem Zeitpunkt, so die Einschätzung der Kinderärzte, hätte die kleine Sandra-Kim gute Überlebenschancen, falls sie im Notfall doch per Kaiserschnitt geholt werden müsste.

Schritt 2: Übers Wochenende wird ein Operationssaal in der Herzchirurgie komplett umgebaut und um Hightechgeräte aus der Geburtsmedizin ergänzt. Operationstermin ist der 30. Mai, ein Montag. Gudrun Theil befindet sich in der 25. Schwangerschaftswoche.

Auch für den erfahrensten Operateur ist die Situation am Operationstisch alles andere als Alltagsroutine: Während Prof. Liebold den Brustkorb seiner Patientin öffnet und die Herz-Lungen-Maschine anschließt, hält Dr. Reister permanent einen Ultraschallkopf an den Bauch der Mutter und kontrolliert die Vitalfunktionen des Kindes. "Wir mussten bei jeder unserer Entscheidungen an zwei Menschen gleichzeitig denken", verdeutlicht Prof. Liebold. "An zwei Patienten, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Beispielsweise reagieren die Gefäße eines Erwachsenen und eines ungeborenen Kindes sehr unterschiedlich, das macht die Steuerung des Blutflusses nicht einfach."

Weil aber der Klappenersatz nur bei einem still stehenden Herzen ausgeführt werden kann, besteht keine Alternative zur Herz-Lungen-Maschine, deren Steuerung höchste Ansprüche an alle Beteiligten des Teams stellt. Eine eingeschränkte Durchblutung der Gebärmutter etwa hätte schnell Sandra-Kims Leben gefährden können.

Auch die sonst übliche Absenkung der Körpertemperatur während einer Operation, die eigentlich bewährte Praxis ist, hat in diesem Fall ihre Grenzen, da es dadurch zu vorzeitigen Wehen kommen könnte - Kurz: Das Team aus Herzchirurgen, Kardiologen, Kardioanästhesisten, Gynäkologen, Neonatologen und Kardiotechnikern hat an diesem 30. Mai eine Fülle von Herausforderungen zu bewältigen. "Eine solche Operation ist unter Ärzten weltweit gefürchtet", sagt Prof. Liebold. "Niemand möchte sich im Ernstfall zwischen dem Leben der dreifachen Mutter oder dem des ungeborenen Kindes entscheiden müssen."

Die Operation gelingt, Gudrun Theil erhält von Prof. Liebold eine neue biologische Herzklappe - die weitere Schwangerschaft verläuft absolut problemlos. "Heute geht es mir besser, als je zuvor", sagt Gudrun Theil, die sich nicht nur über ihre eigene Gesundheit und den quietschvergnügten Nachwuchs freut, sondern auch über die generelle pflegerische und ärztliche Betreuung in den Kliniken voll des Lobes ist: "Ich habe mich nie ernsthaft unsicher gefühlt. Es wurde offen über die Ängste auf beiden Seiten und die Gefahren der Operation gesprochen, das hat mir und meiner Familie sehr geholfen. Damit konnten wir gut umgehen."


Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/de/institution1093


*


Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Universitätsklinikum Ulm, Jörg Portius, 19.12.2011
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Dezember 2011