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FORSCHUNG/3819: Infektionsbiologie - Gefährliches Zusammenleben (idw)


Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie - Hans- Knöll-Institut (HKI) - 13.04.2018

Gefährliches Zusammenleben


Jena. Forscher um Pierre Stallforth vom Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie in Jena haben zwei von Bakterien gebildete Stoffe identifiziert, die zusammen gegen den gefürchteten multiresistenten Krankenhauskeim MRSA wirksam sind. Auf die Spur der beiden Substanzen Jessenipeptin und Mupirocin kamen die Forscher, weil sie Bakterien der Gattung Pseudomonas erlauben, auch in der Nähe ihres Fressfeindes, der Amöbe Dictyostelium discoideum, aufzutreten. Die Ergebnisse der Studie wurden soeben im renommierten Fachjournal PNAS veröffentlicht.

Amöben leben im Verborgenen, ihr Alltag ist scheinbar von Monotonie geprägt: Nachdem eine Amöbe binnen kurzer Zeit große Mengen an Bakterienzellen vertilgt hat, teilt sie sich und die beiden Tochterzellen beginnen erneut Bakterien zu verschlingen. Dazu bilden die sehr flexiblen Amöbenzellen sogenannte Scheinfüßchen, mit denen sie ihre Opfer umfließen und in sich aufnehmen. Anschließend sorgen Verdauungsenzyme dafür, dass von den Bakterien nichts übrig bleibt. All dies geschieht vor allem in feuchtem Boden und im Wasser. Doch im Laufe der Evolution entwickelten Bakterien Abwehrmechanismen, mit denen sie sich die etwa zehn Mal größeren Amöben vom Leibe halten. So bilden manche Bakterien Biofilme, die sie für Amöben unantastbar macht. Andere schaffen es, unverdaut im Inneren der Amöbenzelle zu überleben oder sie bilden Giftstoffe, mit denen sie die Amöben töten.

Chemische Verbindungen bestimmen Zusammenleben

Der Chemiker Pierre Stallforth ist fasziniert von diesem paradoxen Zusammenleben und widmet sich deshalb mit seinem Team den komplexen Lebensverhältnissen. Er nimmt an, dass am friedlichen Zusammenleben beziehungsweise der feindlichen Auseinandersetzung dieser Organismen bestimmte Stoffe beteiligt sind, die ihre Beziehung maßgeblich mitbestimmen. Im besten Fall sind solche Substanzen auch für uns Menschen nützlich. Viele der heute verwendeten Medikamente - vor allem Antibiotika - werden von Mikroorganismen wie Bakterien oder Pilzen gebildet.

Für die aktuelle Studie untersuchte Pierre Stallforth Bakterien der Gattung Pseudomonas, die mit ihrem Fressfeind, der Amöbe Dictyostelium discoideum, eng zusammenleben. Ist die Amöbe hungrig, bildet sie kleine Fruchtkörper, indem sich viele einzelne Amöbenzellen koordiniert anhäufen. Aus diesen Fruchtkörpern isolierte der Naturstoff-Forscher mit seinem Team nun Bakterien der Gattung Pseudomonas, die von der Amöbe als Nahrung verschmäht wurden. Durch aufwändige genetische Analysen und chemische Untersuchungen identifizierten sie aus den Bakterien schließlich zwei Substanzen und klärten ihre Struktur auf. Eine davon, das Mupirocin, gehört zur Stoffklasse der Polyketide und war bereits aus anderen Studien bekannt. Die zweite Substanz hingegen ist ein bisher unbekanntes Peptid und erhielt den Namen Jessenipeptin. Das neu entdeckte, ungewöhnliche Molekül erwies sich als hochgiftig für Amöben. Jessenipeptin könnte daher ein Appetitzügler für die Amöben sein, der Pseudomonas davor schützt, gefressen zu werden.

Gegen Krankenhauskeim wirksam

Den Forschern gelang jedoch noch eine weitere für die Medizin sehr bedeutende Entdeckung. Sie unterzogen beide Substanzen in unterschiedlichen Kombinationen einem Test gegen verschiedene Krankheitserreger. Bestimmte Mischungsverhältnisse von Mupirocin und Jessenipeptin waren stark gegen die als MRSA bezeichneten Krankenhauskeime wirksam. MRSA sind Bakterien der Gattung Staphylococcus, die gegen nahezu alle bekannten Antibiotika resistent sind. Sie verbreiten sich vor allem unter geschwächten Patienten im Krankenhaus und sind dort für zahlreiche Todesfälle verantwortlich. Weltweit wird daher fieberhaft nach neuen, wirksamen Antibiotika gegen diese gefürchteten Erreger gesucht.

Der Nachwuchsgruppenleiter Pierre Stallforth ist überzeugt von seiner Herangehensweise: "Unser Ansatz, die komplexen Lebensverhältnisse in der Natur genauer zu untersuchen, erweist sich als richtig. Zwar ist es sehr schwierig, allein schon das Zusammenleben zweier Partner genauer zu verstehen. Aber es lohnt sich. Die Interaktion bringt Substanzen hervor, die die Gemeinschaft steuern und für uns Menschen beispielsweise in Form von neuen Antibiotika von großem Nutzen sein können."

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie - Hans- Knöll-Institut (HKI)
Dr. Michael Ramm, 13.04.2018
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. April 2018

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