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FORSCHUNG/2828: Hirnforschung - Aus den Augen aus dem Sinn? (idw)


Eberhard Karls Universität Tübingen - 07.01.2013

Aus den Augen aus dem Sinn?

Wissenschaftler des Exzellenzclusters CIN der Universität Tübingen fanden heraus, wie das Gehirn die Umgebung außerhalb unseres Blickfeldes repräsentiert.



Wir sind uns unserer Umgebung auch dann bewusst, wenn wir sie gerade nicht im Blick haben. So wissen wir, auch während unsere Augen auf ein spannendes Buch gerichtet sind, dass die Tür rechts, der Bücherschrank links und das Fenster hinter uns liegen. Bislang hat sich die Hirnforschung allerdings vor allem dafür interessiert, wie Information innerhalb unseres Blickfeldes im visuellen Cortex kodiert ist. Es war daher nicht bekannt, wie das Gehirn die Umgebung außerhalb unseres Blickfeldes aus egozentrischer Perspektive, das heißt aus Sicht des Betrachters, repräsentiert.

Andreas Schindler und Andreas Bartels, Wissenschaftler am Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften (CIN) der Universität Tübingen, zeigen in der aktuellen Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift "Current Biology" zum ersten Mal direkte Hinweise für diese Art von räumlicher Information im Gehirn.

Im Experiment befanden sich die Versuchsteilnehmer in der Mitte eines virtuellen achteckigen Raumes, in dessen Ecken jeweils ein Objekt stand. Während die Gehirnaktivität mit Hilfe von funktioneller Magnetresonanztomographie aufgenommen wurde, hatte der jeweilige Versuchsteilnehmer eines von acht möglichen Objekten im Blick und die Aufgabe, die Position eines zufällig ausgewählten zweiten Objektes im Raum relativ zu seiner derzeitigen Perspektive zu bestimmen (beispielsweise durch die Aussage: "Das Objekt ist hinter mir"). Nach einigen Durchgängen drehte sich der Teilnehmer im Raum, so dass nun das nächste Objekt ins Blickfeld rückte, und die Aufgabe wurde erneut gestellt. Der gesamte Vorgang wiederholte sich, bis jedes Objekt einmal im Blickfeld stand.

Die Wissenschaftler fanden heraus, dass Gehirnaktivitätsmuster im Parietallappen die egozentrische, also die relative Position der Umgebung zum Probanden, kodieren. Die dort gefundene räumliche Information erwies sich als unabhängig vom jeweiligen Objekt, von dessen Position im Raum und von der absoluten Position des Probanden. Es musste sich also um egozentrische Richtungsinformation im dreidimensionalen Umfeld handeln. Dieses Resultat stellt sich als besonders interessant heraus, da Gehirnschäden im Parietalcortex zu schweren Störungen der egozentrischen räumlichen Wahrnehmung führen können. So fällt es z.B. Patienten, die an optischer Ataxie leiden, schwer, zielgerichtete Greifbewegungen auszuführen, und Neglect-Patienten mit einer halbseitigen Gehirnschädigung haben Schwierigkeiten, die der Gehirnläsion gegenüberliegende Seite ihrer Umgebung wahrzunehmen. Die im Experiment identifizierten Gehirnareale deckten sich genau mit den geschädigten Bereichen der Patienten und führen so erstmals zu Informationen über ihre Funktion beim gesunden Menschen.


Publikation:
Current Biology 23, 1-6, January 21, 2013
a2013 Elsevier Ltd
http://dx.doi.org/10.1016/j.cub.2012.11.060


Kontakt:

Dr. Andreas Bartels
Universität Tübingen
Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften (CIN)
Vision and Cognition Junior research Group
Otfried-Müller-Str. 25
72076 Tübingen
andreas.bartels@cin.uni-tuebingen.de
http://www.cin.uni-tuebingen.de/research/bartels.php

Dr. Ivan Polancec
Universität Tübingen
Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften (CIN)
Wissenschaftlicher Koordinator
Otfried-Müller-Straße 25
72076 Tübingen
ivan.polancec@cin.uni-tuebingen.de
www.cin.uni-tuebingen.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution81

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Eberhard Karls Universität Tübingen, Michael Seifert, 07.01.2013
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Januar 2013