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DROGEN/368: Alkohol in der Schwangerschaft (Securvital)


Securvital 1/2018 - Januar-März
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen

Alkohol in der Schwangerschaft
Null Promille

von Norbert Schnorbach


Wein und Wodka, Bier und Sekt sollten für Schwangere tabu sein. Null Alkohol, empfehlen Hebammen und Kinderärzte. Trotzdem kommen jedes Jahr in Deutschland tausende von Babys mit schweren Gesundheitsschäden zur Welt.


Das Kind im Bauch trinkt mit. Jeder Alkoholkonsum während der Schwangerschaft - ob nun ein gepflegtes Glas Sekt oder ein Partydrink am Wochenende - geht über den Blutkreislauf und die Plazenta auch auf das Ungeborene über. Doch während der erwachsene Körper den Alkoholpegel im Blut leichter verarbeiten und wegstecken kann, ist das ungeborene Kind besonders empfindlich. Alkohol gilt als Zellgift, das sich in jeder Phase der Schwangerschaft schädigend auf alle Organe und auf das Gehirn des Ungeborenen auswirken kann. Deshalb warnen Hebammen, Kinder- und Frauenärzte in aller Deutlichkeit: Jedes Glas Alkohol stellt eine Gefahr für das Baby dar.

Ganz offensichtlich wird diese Gefahr immer noch unterschätzt. Jede vierte Frau in Deutschland trinkt weiterhin Alkohol, auch wenn sie weiß, dass sie schwanger ist, ergab eine internationale Studie kürzlich im Fachmagazin "Lancet Global Health". Weltweit, so die Auswertung der Forscher, kommt jeweils eins von 70 Kindern mit schweren Gesundheitsschäden zur Welt, wenn ihre Mütter in der Schwangerschaft Alkohol trinken.

Schon geringe Mengen

Das gilt insbesondere für diejenigen, die viel trinken. Es kann aber auch alle treffen, die sich nur hin und wieder ein Gläschen genehmigen. Eine sichere Alkoholgrenze, bei der keine Schädigungen auftreten, gibt es nicht. Tatsächlich weiß die Medizin erstaunlich wenig darüber, wie stark sich auch schon geringe Mengen Alkohol auswirken, besonders in der frühen Schwangerschaft, wenn die Organe des Babys noch nicht ausgebildet sind. Als sichere Erkenntnis gilt, dass auch schon bei geringem Alkoholkonsum mehr Kinder zu früh und untergewichtig zur Welt kommen, sagt Prof. Hans-Ludwig Spohr von der Charité-Universitätsklinik in Berlin.

"Nur durch den völligen Verzicht auf Alkohol sind angeborene Alkoholschäden zu hundert Prozent vermeidbar."
Prof. Hans-Ludwig Spohr, Charité-Universitätsklinik Berlin

Die Lehren der Wissenschaft passen zu den Erfahrungen, die Selbsthilfegruppen in Deutschland machen. Trotz steigendem Gesundheitsbewusstsein und verstärkter Aufklärung sinkt die Zahl der alkoholgeschädigten Kinder nicht, sondern steigt sogar weiterhin an, berichtet Gisela Michalowski, die Vorsitzende des Vereins "FASD Deutschland". FASD (Fetal Alcohol Spectrum Disorder) ist die wissenschaftliche Bezeichnung für Gesundheitsschäden durch Alkohol in der Schwangerschaft. Nach Schätzungen des Vereins kommen jährlich 10.000 Babys mit FASD zur Welt. Damit ist FASD die häufigste angeborene Behinderung, die nicht genetisch bedingt ist. Es können auch 15.000 sein. Die Dunkelziffer ist hoch, exakte Zahlen dazu gibt es nicht.

Symptome wie Entwicklungsverzögerung, geistige Beeinträchtigungen und soziale Probleme werden erst in der späteren Kinder- und Jugendzeit klar erkannt. Ähnlich wie ADHS-Patienten fallen viele FASD-Kinder auf, weil sie Konzentrationsschwächen haben, extrem unruhig und latent aggressiv sind.

Nur wenigen Kindern lassen sich die Alkoholschäden schon bei der Geburt in Form von körperlichen Fehlbildungen ansehen. Oft werden die Probleme erst erkennbar, wenn die Kinder erheblich später laufen und sprechen lernen, wenn sie im Kindergarten soziale Auffälligkeiten zeigen oder in der Schule Probleme entwickeln. Das hänge damit zusammen, dass die Anforderungen an das alkoholgeschädigte Gehirn der Kinder mit zunehmendem Alter komplexer werden, erklärt Prof. Spohr von der Charité.

Mehr Aufklärung

Kinder mit der Diagnose FASD haben in allen Altersstufen Schwierigkeiten verschiedener Art, berichtet der Verein FASD Deutschland. Kleinkinder zum Beispiel gefährden sich selbst und andere, da sie Ursache und Wirkung nicht verstehen. Ältere FASD-Kinder neigen oft zu Wutausbrüchen und sind isoliert und einsam wegen gestörtem Sozialverhalten. Im Jugendalter sind sie oft eine Gefahr für sich selbst und andere und "benötigen immer noch Schutz und Beschränkungen wie sechsjährige Kinder", so die Erfahrungsberichte von Eltern.

Mehr Aufklärung ist dringend notwendig. Noch immer wird Alkohol verharmlost, kritisiert die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Knapp 20 Prozent der Bundesbürger meinen laut Umfragen, dass kleine Mengen Alkohol während der Schwangerschaft vertretbar seien. "Viel zu viele Frauen glauben, dass ein Gläschen Alkohol in der Schwangerschaft nicht schaden wird", sagt die Drogenschutzbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler. "Dabei kann es fatale Folgen haben, mit denen Kinder und Eltern ihr Leben lang umgehen müssen. Prävention ist daher ganz wichtig: Wir müssen die werdenden Mütter und ihr Umfeld über die Risiken aufklären."


Weitere Informationen:

- Der Verein FASD Deutschland informiert über Kontaktadressen von Selbsthilfegruppen und spezialisierten medizinischen Zentren: www.fasd-deutschland.de

- Handbuch "Fetale Alkoholspektrumstörung - und dann?", 120 Seiten, 2016, hrsg. von der Drogenbeauftragten der Bundesregierung (kostenloser Download auf www.drogenbeauftragte.de )

- Ratgeber "Fetale Alkoholspektrumstörung - Auf was ist im Umgang mit Menschen mit FASD zu achten?", Schulz Kirchner Verlag, 72 Seiten, 9,49 Euro.

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Quelle:
Securvital 1/2018 - Januar-März, Seite 22 - 23
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen
Herausgeber: SECURVITA GmbH - Gesellschaft zur Entwicklung
alternativer Versicherungskonzepte
Redaktion: Norbert Schnorbach (V.i.S.d.P.)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Februar 2018

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