Schattenblick → INFOPOOL → MEDIZIN → FAKTEN


BILDUNG/1162: Physician Assistant - Ein erfolgreiches Modell aus den USA (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 6/2019

Physician Assistant (PA)
Die Einsicht wird größer

von Martin Geist


Symposium im Kieler Lubinus Clinicum zu PA: Gute Erfahrungen mit dem Beruf, bislang aber keine Ausbildungsmöglichkeiten in Schleswig-Holstein.


Es ist längst kein Geheimnis mehr: Der Fachkräftemangel nimmt zu und betrifft auch die Gesundheitsbranche, sowohl in der Pflege als auch im ärztlichen Bereich. Insbesondere für ländliche Regionen werden Ärzte gesucht. "Wir brauchen dringend neuen Konzepte zur Aufrechterhaltung der Versorgungsqualität", fordert Johann Georg Philipp Lubinus, Medizinischer Vorstand der Kieler Lubinus-Stiftung. Aus diesem Grund war sein Haus vergangenen Monat Gastgeber für ein Symposium, das sich der Suche nach solchen neuen Konzepten widmete.

Im Mittelpunkt der Tagung stand das Modell des Physician Assistant (PA), das wie so manches, was neu ist, aus den USA kommt. Gemeint sind damit wörtlich übersetzt Arzt-Assistenten, aber eben keine Assistenzärzte, betonte Prof. Tom Karbe vom Lehrstuhl für Physician Assistants am Steinbeis-Transfer-Institut Medicine and Allied Health in Berlin: "Der Physician Assistant ist kein Arzt." Insofern gibt es laut Karbe zunächst vieles, was ein PA nicht darf. Selber operieren, eigenständig Diagnosen stellen oder Therapien und Medizin verordnen, all das ist und bleibt allein in der Zuständigkeit approbierter Ärzte.

Wohl aber können die Arzt-Assistenten, von denen es in den USA bereits mehr als 140.000 gibt, nach Karbes Überzeugung enorm wichtige Unterstützung leisten. Das Steinbeis-Transfer-Institut bildet in Berlin und Hamburg Physician Assistants aus und erreicht mit diesem Angebot schon wegen entsprechender Zugangsvoraussetzungen durchweg Teilnehmer mit einschlägiger Berufserfahrung. Zumeist entscheiden sich Pflegekräfte oder Rettungssanitäter, die beruflich weiterkommen wollen, für das sechs Semester umfassende berufsbegleitende Studium und bringen nach ihrem Abschluss von Anfang an erhebliche Kompetenzen mit, egal, ob es um die allgemeine Diagnostik, spezielle Techniken wie Endoskopie, um Intensivmedizin, Schmerzmanagement oder Wundversorgung geht. "98 Prozent gehen nach dem Studium dorthin, wo sie hergekommen sind, aber mit mehr Kompetenz", brachte es Karbe auf den Punkt. Nur selten kommt es demnach vor, dass jemand, der in der Unfallchirurgie tätig war, später in die Onkologie wechselt. Wer einen PA an seiner Seite weiß, darf sich aufgrund dieser hohen Kompetenz nach Überzeugung des Experten in aller Regel glücklich schätzen: "Der Arzt kann sich dann auf seine originären Aufgaben konzentrieren."

Gleichwohl hat die hiesige Heilkunde lange gefremdelt mit diesem im Grunde gar nicht mehr so neuen Berufsbild. Erste Regungen Richtung Physician Assistants gab es bereits im Jahr 2005, es dauerte dann aber bis 2017, ehe sich die Deutsche Ärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung zu einer grundsätzlichen Befürwortung durchrangen. Nicht zuletzt aus diesem Grund hält sich hierzulande die Zahl dieser Assistenten in überschaubaren Grenzen. Gerade einmal 450 gibt es derzeit nach Schätzung Karbes, und so gut wie alle von ihnen sind in Kliniken tätig.

Früher als andernorts öffnete sich die Ärzteschaft in Schleswig-Holstein für das neue Berufsbild. "Wir brauchen alles", betonte denn auch Kammerpräsident Dr. Henrik Herrmann und ergänzte, dass letztlich jeder Beitrag zu begrüßen sei, der zur Stabilisierung und Stärkung des Gesundheitswesens führt. Unbegründet ist dabei aus seiner Sicht die Sorge, dass auf breiter Front vordringende PAs womöglich eines unschönen Tages als günstigere Alternative die Ärzte verdrängen könnten.

Tatsächlich sieht es zugespitzt formuliert eher so aus, dass es kaum Ärzte gibt, die überhaupt verdrängt werden könnten. Das jedenfalls geht aus dem Symposiumsbeitrag von Wilhelm Wolken hervor, der über das mühsame Geschäft berichtete, abseits der Großstädte qualifiziertes Personal zu finden. Wolken ist Geschäftsführender Verwaltungsdirektor des Ludmillenstiftts Meppen, das für 20 Abteilungen 420 Betten vorhält und mit 650 Pflegekräften sowie 186 Ärzten arbeitet. Das ärztliche Personal kommt nach seinen Angaben mittlerweile aus mehr als 20 verschiedenen Nationen, zwei Drittel der Assistenzärzte stammen nicht aus Deutschland. Fachlich klappt es laut Wolken mit den im Ausland angeworbenen Fachkräften zwar überwiegend gut, sprachlich jedoch treten in den ersten zwei bis drei Jahren oft Probleme auf. "Das kann dann sehr viel Arbeit machen, wenn es um Arztbriefe geht", berichtete der Klinikleiter aus dem Emsland. Auch die Kommunikation mit den Patienten gestalte sich dann teils nicht gerade einfach.

Mit konventionellen Mitteln lässt sich die angespannte Personalsituation nach Wolkens Überzeugung nicht kurzfristig und noch nicht einmal mittelfristig verbessern: "Selbst wenn heute die Zahl der Medizin-Studienplätze verdoppelt würde, hätten wir in zehn Jahren immer noch nichts davon." Hoffnungen setzt das Ludmillenstift aber auf die Physician Assistants. Drei davon sind in dem Klinikum bislang tätig, doch ist man nach den Worten des Geschäftsführers "kräftig dabei, das weiter zu erhöhen und alle Abteilungen mit solchen Fachkräften zu versorgen." Mit den bisherigen Assistenten, so betonte der Referent, gebe es ausnahmslos beste Erfahrungen. Hellauf begeistert sind demnach besonders die Ärzte, die sich über kompetente Entlastung freuen. Teils reserviert sind die Reaktionen dagegen im Pflegebereich, und das aus Gründen, die Wolken verstehen kann: "Bei den Leuten, die PA studieren, handelt es sich schließlich um Kräfte, die auch in der Pflege richtig wertvoll sind." Unterm Strich aber ist der Verwaltungsdirektor überzeugt, dass sich sein Haus mit der verstärkten Hinwendung zum Physician Assistant "genau auf dem richtigen Weg" befindet.

Anfang Texteinschub
Das MVZ beschäftigt 75 Medizinische Fachangestellte in Papenburg. Viele davon würde der MVZ-betreibende Hausarzt Dr. Volker Eissing gerne zu PA ausbilden, um noch mehr delegieren zu können.
Ende Texteinschub

Anfang Texteinschub
Das Kieler Lubinus Clinicum beschäftigt 1 Physician Assistant. Bei einer Ausbildungsstätte in Schleswig-Holstein, so die Erwartung von Experten, könnte die Zahl der PA in Schleswig-Holstein steigen.
Ende Texteinschub

Bislang spielen PA im stationären Bereich nur eine kleine, im ambulanten Bereich fast gar keine Rolle. Dabei scheint der Bedarf an solchen Assistenzkräften in ländlichen oder besser gesagt nicht großstädtischen Regionen sogar noch größer. Dr. Volker Eissing war einmal normaler Hausarzt und ist heute Leiter des Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) Papenburg, das mit ihm und einem weiteren Hausarzt sowie sage und schreibe 75 weiblichen und männlichen Arzthelfern 8300 Patienten betreut. Nur 913 pro Arzt sollten es nach den Richtwerten in Niedersachsen sein. Doch hat Eissing im nahen und auch nicht mehr so nahen Umfeld so gut wie keine Kollegen mehr. Oldenburg, die nächste Großstadt, hat mit 160.000 Einwohnern zwar nur halb so viele wie der Kreis Papenburg, dafür aber doppelt so viele Ärzte. Will man auf dem Land den Patienten nicht enorme Entfernungen und lange Wartezeiten zumuten, stellt sich aus Sicht Eissings eine entscheidende Frage: "Was kann man verantwortlicherweise delegieren?"

Diese Frage haben Eissing und seine Mitstreiter beantwortet. Zahlreiche Helferinnen und Helfer erfüllen in der Großpraxis Sonderaufgaben, haben sich auf Geriatrie, Bluthochdruck, Atemwegserkrankungen, Wunderversorgung, Schmerzmanagement und andere Bereiche spezialisiert. Als der Hausarzt erzählte, dass in seinem Versorgungszentrum unter anderem 143 MS-Patienten betreut werden, ging ein Raunen durch den Saal. Überhaupt gewannen die Zuhörer den Eindruck, als sei eher von einer kleinen Klinik als von einer Hausarztpraxis die Rede.

Falsch ist dieser Eindruck nicht, und er beruht auch nicht auf Wunderwerken. "Hausärztliche Versorgung funktioniert bei uns nur durch konsequente Delegation", beschrieb Eissing das maßgebliche Prinzip und verhehlte nicht, dass sich diese Vorgehensweise immer wieder in rechtlichen Grauzonen abspielt.

Genau vor diesem Hintergrund würde das MVZ Papenburg liebend gern Physician Assistants beschäftigen beziehungsweise einen Teil der vorhandenen Kräfte dazu weiterbilden. Dies ergäbe dann aus Eissings Sicht eine juristisch saubere Kette vom Arzt über den PA bis zu den Medizinischen Fachangestellten.

Doch woher sollen die Assistenten überhaupt kommen? Stefanie Kannert bestätigt, wie berechtigt diese Frage ist. Im Jahr 2008 war sie die erste Physician Assistant im Lubinus-Clinicum, und obwohl es nach ihrer eigenen Einschätzung und ebenso nach Meinung der Ärzte hervorragend läuft, ist sie immer noch die einzige. Der schlichte Grund: Stefanie Kannert musste die Präsenzzeiten ihres Studiums am Steinbeis-Institut in Berlin absolvieren, und an dieser Situation hat sich bis heute nicht viel geändert. Weil es in Schleswig-Holstein keine Ausbildungsstätte für Physician Assistants gibt und die Weiterbildungswilligen oft schon Familie haben oder in anderer Weise gebunden sind, ist entsprechendes Personal mehr als dünn gesät.

Bernd Heinemann, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag, sprach sich denn auch dafür aus, dass sich daran alsbald etwas ändern soll. Konkret regte er an, eine der Fachhochschulen im Land für diesen Studiengang zu gewinnen.

Eine andere Möglichkeit bestünde darin, einer anderen Hochschule mit PA-Studiengang zu erlauben, in Schleswig-Holstein eine sogenannte Dependance zu gründen. Für die Theorie-Blöcke könnte dann gewissermaßen eine wohnortnahe Filiale genutzt werden, ohne dass ein aufwendiges Zertifizierungsverfahren für einen neuen Studiengang nötig wäre.

Ginge es nach Ärztekammer-Präsident Dr. Herrmann, würde es mit der im Land verwurzelten Ausbildung von Physician Assistants jedenfalls schon im Jahr 2020 losgehen. Nach seiner Überzeugung wird es einfach höchste Zeit dafür: "Die Einsicht wird immer größer, dass es so nicht weitergeht."


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 6/2019 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2019/201906/h19064a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

*

Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
72. Jahrgang, Juni 2019, Seite 10 - 11
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
Schleswig-Holstein
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-272, -273, -274,
E-Mail: aerzteblatt@aeksh.de
www.aeksh.de
www.arztfindex.de
www.aerzteblatt-sh.de
 
Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juli 2019

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang